Reichtum der Variationen. 279
Motiven verraten; ebenso auffallend ist es, dass bei dem sehr ausgesprochenen
Sinn für Form und Farbe, von dem ihre Kunstgegenstände
zeugen, eine Zeichen-, Mal- oder Bildhauerkunst, also eine
Kunst, die um ihrer selbst willen geübt wird, sich nicht entwickelt hat.
Mit der Annahme,, diese eigentümliche Erscheinung hänge mit einer
beschränkten künstlerischen Schöpfungskraft zusammen, stehen jedoch
wieder andere Tatsachen in Widerspruch. Vor allem ist ihr Schop-
fungsvermögen auf bestimmten Gebieten, wo die sozialen Verhältnisse
zu einer weiteren Entwicklung anspornen, ein sehr reiches, so
z. B. in der Tätowierkunst. Hierfür spricht bereits, dass die meisten
Individuen, obgleich mit denselben Motiven, doch verschieden tätowiert
sind und jedes für sich eigene Muster hat schneiden müssen oder
schneiden lassen. Böte das Entwerfen neuer Figuren Schwierigkeiten,
so hätte diese Sitte nicht entstehen können.
Ein Beweis für den Reichtum der Variationen, die ein und dasselbe
Motiv liefern kann, ist, dass • unter den relativ wenigen Tätowierpatronen,
die ich mitbrachte und nur zufällig erlangte, von den 6
Stilisierungen des Motivs kerip manak kwe (5 auf Tafel 90 Teil I
und eine in der Schenkeltätowierung Tafel 86) alle verschieden sind.
Auch die 4 Schlussstücke a, b, c und d auf Tafel 91 stellen ebenso-
viele Variationen des gleichen Motivs dar, und zweifellos bestehen
in Wirklichkeit noch fast ebensoviele andere, als Individuen in den
Stämmen sind oder gewesen sind. Auch entwickelt sich bei jeder
Stammgruppe ein eigener Stil aus denselben Motiven, so dass ein
Stil der Kapuas-Bahau, der Long-Glat, der Uma-Luhat, der Könja
und der vielen anderen Stämme von den Dajak selbst unterschieden
wird und der Hauptsache nach auch für Europäer unterscheidbar ist.
Dasselbe gilt in bezug auf die Zeugfiguren der Kleiderverzierung, die
Bambusschnitzerei und sogar die Schnitzerei von Horngriffen, trotzdem
dieser durch die Beschaffenheit des Materials engere Grenzen
gesteckt sind.
Von nicht geringem Einfluss auf die Wahl der Motive sind bei den
Bahau, wie wir ^gesehen haben, ihre religiösen Vorstellungen. In ihren
Ornamenten und in den Gegenständen selbst, welche diese tragen,
spiegelt sich ihr Glaube an die Geister wieder. Die schönen Bildhauerarbeiten
an ihren Häusern, auf ihren Gräbern, zahlreiche Veizierungen
auf ihren Kindertragbrettern, Schilden, Schwertern u. s, w. danken ihr
Entstehen dem Bestreben der Dajak, sich vor den bösen Geistern zu