Roh und rachsüchtig sind sie ebenfalls nicht, sie verraten vielmehr
ein zart entwickeltes Gefühl, was man von Kopfjägern wohl nicht erwartet
hätte. Ihr Abscheu vor Gewalttätigkeit, der sich schon in dem
Verhältnis der Stämme untereinander zeigt, tritt noch viel stärker
hervor im Betragen der Familienmitglieder o o untereinander. Hier äussern
sie ein grosses Mass von Selbstbeherrschung und Mitgefühl für ihre
nächste Um0geb0ung im Gegoensatz zu den nicht durch Verwandtschaft
mit ihnen verbundenen Menschen. Besonders massgebend für ihre Haltung
ist der Verwandschaftsgrad, in dem der Bahau zu jemand steht,
und der Umstand, ob dieser ein völlig Fremder ist oder nicht.
Am innigsten ist das Band zwischen Eltern und Kindern; Roheiten
kommen zwischen diesen nie vor. Schon die jahrelange Versorgung
des kleinen Kindes durch die Mutter mit Aufopferung beinahe
aller ihrer Arbeit auf dem Felde oder im Walde zeugt von liebevoller
Fürsor0ge. 0Obg leich die Kinder bei allzuogrossen Unarten ab und zu
wohl einen Schlaog erhalten,» so ist doch von Stren0ge, *üb0rigens auch
von ernster Erziehung nicht die Rede. Die Eltern sind bisweilen aus
übertriebener Zärtlichkeit so schwach, dass sie schliesslich von den Kindern
tyrannisiert werden. Das beste Beispiel eines solchen verzogenen
Kindes war der elternlose Enkel der Priesterin U sun, der seine Grossmutter
entsetzlich plagte und ihr die Sorgen,- die er ihr bereitete,
schlecht Vergalt. Da er ständig krank war, genoss ich täglich das
Vergnügen ihn zu behandeln, und wenige zeigten sich so ungeduldig 0 0 o o o o
wie die Alte, bis dem Bengel geholfen wurde.
Es scheint, dass eine derartige milde oder schwache Erziehung vollkommen
ausreicht, um einen Kajan für die Erfüllung der Forderungen,
die das Zusammensein an ihn stellt, vorzubereiten; denn unter den
Erwachsenen findet man wenige, die in ihrer Umgebung ernstlich An-
stoss erregen.
Über die Innigkeit der Gefühle, welche Eltern ihren Kindern ent-
o-ecenbringen, überzeugte ich mich am leichtesten während meiner b b O ' o
ärztlichen Praxis. Bei so ergreifenden Momenten wie Krankheit und
Tod zeigten auch so zurückhaltende Charaktere wie die Kajan ihre
wahre Natur. Ich kannte Eltern, welche ihre kranken Kinder mit unermüdlicher
Hingabe Tag und Nacht verpflegten. Obgleich bei ihnen
selbst gute Heilmittel unbekannt sind, griffen sie doch nach allem,
was nach ihrer Meinung den Leidenden Linderung verschaffen konnte.
Ich erinnere mich eines Falles in Tandjong Karang, wo meine ärztliehe
Hilfe nicht ausreichte und wenige Tage nach meiner Ankunft ein
Kind nach monatelangen Leiden starb. Das verzweifelte Jammern der
Frau blieb mir noch lange in den Ohren, und ich sah die Eltern, die
sich aus Kummer über den Verlust ihres einzigen Söhnchens nur sehr
selten zeigten, einen Monat lang nicht wieder. Als die Mutter eines
Abends wieder zu mir kam, erzählte sie mir mit tränenden Augen
von ihrem Kleinen. Ich hatte sie früher als lebhafte, fröhliche Frau
gekannt, jetzt stand sie als ein Bild des Jammers vor mir, mit eingefallenen
bleichen Wangen und tonloser Stimme. Sie berichtete, dass
ihr Mann das Haus noch nicht verlassen wolle, weil der Anblick von
Kindern im gleichen Lebensalter wie das seine ihn zu sehr angreife.
Diesem sehr entwickelten menschlichen Empfinden sind wohl auch
zum Teil die strengen Vorschriften für die Trauer und die Sorge,
dem Toten durch eine gute Ausrüstung den Weg nach Apu Kösio
und seinen dortigen Aufenthalt so angenehm als möglich zu gestalten,
zuzuschreiben.
Von einer Angst vor den Seelen ihrer Verstorbenen habe ich bei
diesen Stämmen nie etwas gemerkt. Als die Leiche des alten Bo
A djang L edjü wochenlang über der Erde in der Wohnung stand, wurde
sie dreimal täglich liebevoll mit Speise versorgt, seine Frauen schliefen
nachts ohne Furcht neben dem schön verzierten, gut geschlossenen
Sarg, junge Männer wurden gebeten,, dem alten Manne auf der klgdi
vorzuspielen, und zogen Fremde vorüber, die sich im Rezitieren alter
Überlieferungen auszeichneten, so wurden sie hierzu aufgefordert. Das
tägliche Leben ging in dieser Zeit seinen gewöhnlichen Lauf.
Wenn die Frauen der Kajan am oberen Mahakam hinter dem Sarge’
eines Verstorbenen, der zu Grabe getragen wird, einhergehen und den
Geist der früher verschiedenen Mutter zu Hilfe rufen: Ing ulo kg
(Mutter, hole mich!), so zeugt auch dieser Zug von Furchtlosigkeit
gegenüber der Seele der Verstorbenen.
Die guten Geister von Apu Lagan werden als die Vorfahren aus
längst vergangener Zeit aufgefasst und stets wieder um Hilfe angerufen
(Teil I pag. 99). Von einem Ahnenkultus, der nur auf Angst
beruht, ist bei diesen Stämmen nichts zu merken. Sie fürchten sich
zwar vor Begräbnisplätzen und vor den Leichen derjenigen, deren
plötzlicher Tod sie erschreckt hat, wie Selbstmörder, Verunglückte,
Erschlagene, Wöchnerinnen und erklären dies als Strafe der Geister
für die Schuld der Verstorbenen, aber hierauf beruht bei ihnen kein