schützen. Hat die Kunstentwicklung einmal diesen Weg eingeschlagen,
-so wendet sie sich ohne besonderen Anlass nicht mehr neuen, willkürlich
gewählten Motiven zu, wie wenn sie sich gänzlich frei bewegt
hätte. Bei einem Volke auf diesem Bildungsstandpunkt beherrscht der
Glaube noch in so hohem Grade das ganze Dasein, dass auch der
Künstler Motive wählt, die in diesem Glauben eine Hauptrolle spielen.
Für den relativ hohen Standpunkt, den die Kunst bei diesen Bahau
und Könja trotz deren ungünstigen L-ebensumständen einnimmt, spricht
die- Art, wie sie die ursprünglichen Motive in ihrer Ornamentik verwenden.
Bei einem grossen Teil der gegenwärtig erzeugten Kunstprodukte
sind diese Motive, wie wir gesehen haben, so sehr umgestaltet,
dass man nur durch eine sorgsame Vergleichung der Übergänge den
Ursprung gewisser Figuren aus bestimmten Motiven erkennen kann.
Unter den Stämmen selbst ist dieser Ursprung auch durchaus nicht
mehr bei allen Figuren bekannt, sondern nur wenige tragen noch die.
ursprünglichen Namen. Gegenwärtig rechnet ein Künstler denn auch
beim Entwerfen weit mehr mit den umgebildeten Motiven, die er auf
bestimmten Gegenständen zu sehen gewöhnt ist, als mit'den Formen,
die diese Motive in Wirklichkeit tragen.
In bezug auf die künstlerische Anlage beim einzelnen Individuum macht
sich bei ' der Vergleichung der Produkte von beginnenden und von bereits
hochentwickelten Künstlern der Unterschied geltend, dass es er-
steren anfangs leichter fällt, beim Entwerfen eines Ornaments Variationen
eines Motivs^,anzubringen, als sich selbst zu strenger Durchführung
des betreffenden Motivs zu zwingen;, je mehr Talent und
Übung in der Komposition ein Künstler dagegen besitzt, desto genauer
wird er sich an sein Motiv zu halten wissen. So stammt die
Handtätowierung a von Tafel 85 Teil I zweifellos von einem geübten
und begabten Künstler, da die ursprünglichen Motive, die in
der Tätowierung b Vorkommen, hier schön stilisiert sind und das
früher bereits behandelte Motiv streng angewandt und durchgeführt
ist. Zugleich • sind auch die Tätowierbrettchen oder anderen Produkte
eines talentvollen und geübten Künstlers viel gleichmässiger und sauberer
in den Linien geschnitzt als die eines Anfängers. Das in bezug
auf die Durchführung des Motivs Gesagte gilt auch für die Beo- '
bachtung der Symmetrie: nur diejenigen, die einen Ruf als Künstler
geniessen, halten sich genau an eine symmetrische Verteilung ihrer
Verzierungen, insoweit sie hierfür Symmetrie überhaupt anzuwenden
gedachten. Dass eine exakte Durchführung der Symmetrie den Bahau-
künstlern jedoch schwer fällt, lässt sich aus der relativ kleinen Anzahl
wirklich symmetrischer Tätowierpatronen und anderer Muster, denen
man begegnet, schliessen. Wie leicht die übrigens oft nur flüchtig geschnitzten
Gegenstände asymmetrisch werden, geht deutlich aus* Fig. e
auf Tafel . 91 Teil I hervor, die sicher von einem sehr talentvollen Mann
entworfen sein muss und vor manchem sehr geschätzten europäischen
Ornament nicht zurückzustehen braucht. Hier ist es dem Schnitzkünstler
offenbar nicht geglückt, oder er hat es nicht der Mühe wert gehalten,
die Symmetrie zu wahren, und so ist-die rechte, Hälfte viel schmäler
geraten als die linke. Eine strenge Wahrung des Motivs und der
Symmetrie im Kunstwerk bedeutet daher bei den Bahau und Könja
einen hohen Entwicklungsstandpunkt des Künstlers.
Was den Kunstgeschmack dieser dajakischen Stämme betrifft, so
zeigt er eine eigentümliche Begrenztheit in der Fähigkeit, Produkte
einer anderen Geistessphäre zu beurteilen. Während nämlich ihre eigenen
Kunsterzeugnisse, wie wir sahen, von einem so hochausgebildeten
Sinn 'für Form und Farbe zeugen, schätzen sie auch die aus Europa
oder anders woher bei ihnen eingeführten Produkte, die für sie den
Reiz des Aussergewöhnlichpn haben, in Wirklichkeit aber unschön in
Form und Farbe sind, und stellen aus diesem fremden Material Dinge
her, die einen äusserst schlechten Geschmack bekunden.
Dieselben Frauen z. B., die sich mit grössem Opfer an Zeit und
viel Kunstfertigkeit auf die Herstellung mit Stickereien und ausgeschnittenen
Figuren verzierter Röcke legen, tragen andere, die aus
verschiedenen Arten von eingeführtem geblümtem Kattun auf die unvorteilhafteste
Weise zusammengesetzt sind. Auf anderen Gebieten tritt
diese Erscheinung weniger hervor, weil die eingeführten Produkte, wie
Eisen und Töpfe, besser sind als die eigenen Erzeugnisse.
Dass dieses Verhalten der Dajak die Entartung der Frauenarbeit befördert,
ist selbstverständlich, es wirft aber auch ein interessantes Licht
auf eine besondere Eigenschaft des bei den' Bahau so stark ausgebildeten
Formen- und Farbensinnes. Dieser hat sich ursprünglich bei jenen Stämmen
unter dem Einfluss der sozialen Verhältnisse und der isolierten
Lage in der für ihre Kunst charakteristischen Weise entwickelt, und
sie waren deshalb gewöhnt, nur diese Kunst und deren Produkte
zu sehen und zu beurteilen. Die eingeführten geschmacklosen Erzeugnisse
einer anderen Kultur, die einen gänzlich anderen Charakter