Auch bei einer guten Einsicht in die beherrschenden Motive bestimmter
Handlungen wird es einem Europäer schwer, objektiv zu
bleiben, sobald er selbst das Opfer dieser Motive wird, und eine
grosse Selbstverleugnung wird besonders dann von ihm gefordert,
wenn er in seinen wichtigsten wissenschaftlichen Untersuchungen fortwährend
gehindert wird oder wenn diese ihm sogar unmöglich gemacht
werden.
Die Art des Reisens, die ersten Begegnungen mit den scheuen Eingeborenen
stellen an die Objektivität des Forschungsreisenden hohe
Anforderungen und er wird denn auch viel mehr Zeit, als die meisten
zur Verfügung haben, brauchen, um eine richtige Einsicht in die Verhältnisse
und in die Persönlichkeit der Eingeborenen zu gewinnen;
dies um so mehr, je weniger er sich in ihrer eigenen Sprache mit
ihnen unterhalten kann.
Im folgenden soll nun gezeigt werden, wie auf Grund eingehenderer
Kenntnisse und längerer Beobachtung sich das Bild der geistigen Konstitution
der Dajak wesentlich anders gestaltet, als hei oberflächlicher
und kürzerer Beobachtung, Man hat die Bahau und die anderen noch
ursprünglichen dajakischen Stämme unter dem Eindruck ihrer kriegerischen
Tracht, ihrer in der Tat hinterlistigen ^ o Art der Knegos führunoe,'
ihrer Sitte Sklaven zu opfern und beim Tode von Häuptlingen Köpfe
zu jagen, rachsüchtig, blutdürstig, hie und da sogar tapfer genannt.
Hätten die Betreffenden gewusst, dass ernstliche Zwistigkeiten in einem
Bahaustamme überhaupt nicht Vorkommen, dass alle Vergehen von
Verbrechern und Feinden, selbst Morde am liebsten mit Bussen erledigt
werden und dass nur ihre innige religiöse Überzeugung und
Liebe zu den Verstorbenen sie zum Töten von Menschen treibt, dann
hätten sie die Dajak unentwickelt und feige, aber niemals rachsüchtig,
blutgierig oder tapfer genannt.
In Ländern, die von verschiedenen Rassen bewohnt werden, wie
Borneo, ist derjenige Teil der Bevölkerung, den man sich zur Untersuchung
aussucht, von massgebendem Einfluss auf das Bild, das man
von der Bevölkerung erhält. Lässt man sich unter dajakischen Stämmen
nieder, die bereits lange unter der Herrschaft oder unter dem
Einfluss der Malaien gestanden haben, so erhält man eine unrichtige
Vorstellung von den ursprünglichen Eigenschaften ihrer Rasse, da
solche Stämme in hohem Masse entartet sind. Nur die Dajak an den
Ober- oder Mittelläufen der. Flüsse, die nicht oder wenig: von Malaien
beeinflusst worden sind, können als die wahren Vertreter dieses Volkes
angesehen werden.
Für eine gerechte Beurteilung der Individualität der Stämme von
Mittel-Borneo, eine Beurteilung, die nicht nur von wissenschaftlichem
Wert ist, sondern von der auch die Möglichkeit eines erfolgreichen
Eingreifens seitens zivilisierter Völker in das Los der Eingeborenen
abhängt, genügt es nicht, deren Sitten, Gewohnheiten und Glauben
an und für sich zu kennen, sondern man muss sich ausserdem ein
möglichst unparteiisches Bild von ihren Lebensbedingungen und dem
Einfluss, den diese auf physischem und psychischem Gebiet ausgeübt
haben, zu schaffen suchen. Auf diese Weise erhält man am besten
eine Vorstellung davon, welche Verhältnisse für ihr Bestehen am günstigsten
wären und inwieweit die gegenwärtigen einer Verbesserung
fähig sind. Für einen derartigen Gedankengang liegt das Material
wohl in dem bereits früher Behandelten bereit, bevor wir jedoch in
dieser Hinsicht ein Urteil fällen, wird es zweckmässig sein, die zerstreuten
« N o t i z e n nochmals zu einem Gesamtbild zu vereinigen.
Eine der auffallendsten Erscheinungen ist die sehr geringe Dichte
der Bevölkerung auf Borneo inv allgemeinen und der von Mittel-Borneo
im besonderen. Die Zahl von 2—3 Köpfen auf den qkm, die man
für die ganze Insel annimmt, ist für den1 mittleren Teil wahrscheinlich
noch zu hoch; im Vergleich zu Java, das 150 auf den qkm zählt,
also sehr niedrig. Hieraus folgt bereits, dass die Bevölkerungszahl im
Laufe der Zeit sicher nicht sehr gewachsen ist, viel eher abgenommen
hat oder um ein sehr niedriges Mittel schwankt; jedenfalls müssen
die Lebensbedingungen einer Menschenrasse sehr ungünstig sein, um
zu einem derartigen Ergebnis zu führen. Doppelt bemerkenswert wird
diese Erscheinung, .wenn wir berücksichtigen, dass eine derartige geringe
Bevölk,erungsziffer im Vergleich zu der eingenommenen Bodenfläche
bei allen auf niedriger Entwicklungsstufe stehenden Völkern des
Festlandes oder sehr grösser Inseln vorkommt. Demnach erscheint es
nicht unwahrscheinlich, dass zwischen der Entwicklungsstufe und der
Zahlstärke eines Volkes ein Zusammenhang besteht.
Inbezug auf Borneo hat die Frage nach der Ursache dieser geringen
Bevölkerungsdichte bereits seit lange das Interesse erregt und man
hat als Gründe hierfür ohne Zögern die schlechten Sitten dieser Stämme,
die- einander ausrotteten und ein ausschweifendes Leben führten, angegeben.
Von solchen Gründen kann bei den hier beschriebenen Stäm