Ein neuer Fund pädogenetisclier Larven wurde 1864 von Pagenstecher (63) in Heidelberg
gemacht und zwar diesmal nicht in faulendem Holze, sondern in halb verdorbenen Preßrückständen
von Runkelrüben, welche zwecks einer zoologischen Prüfung von einer Zuckerfabrik an die Heidelberger
Universität geschickt worden waren. Der Genuß dieser Abfälle war dem Rindvieh sehr schlecht
bekommen, und man schob die Schuld auf die zahlreichen „Rübentrichinen“ (Anguilluliden), die
sich darin aufhielten. Bei der Durchsuchung der Rübenreste fand nun Pagenstecher neben einer
reichen Fauna von Anguilluliden, Poduren, Tyroglyphen, Gamasen, Käferlarven, Tausendfüßlern
und Fliegenmaden auch eine kleine Zahl von Dipterenlarven, die er mit Embryonen erfüllt sah. Er
erkannte sofort, daß hier derselbe Fortpflanzungsprozeß vorhege, den Wagner beschrieben hatte;
Die nähere Untersuchung ergab außerdem, daß er eine neue Art proliferierender Dipterenlarven
vor sich hatte.
In demselben Jahre wurde noch ein weiterer Fund von Ganin (20) in Charkow gemacht. Er
entdeckte die viviparen Larven in einer russischen Wohnung in einem sehr eigenartigen Milieu, von
dem er eine höchst ergötzliche Schilderung gibt. Es war da in einem dunklen Winkel des Hauses
das Waschgefäß aufgestellt, darunter aber war im Fußboden ein tiefes Loch entstanden, das von der
Dienerschaft bequemerweise als Kehrichtgrube benutzt wurde. Infolgedessen waren hier die
mannigfachsten Ingredienzien versammelt: faulende Holzstückchen, allerlei Papier, verkleisterte
Pappe, Baumwolle, Watte, Schalen von Haselnüssen, Samenkerne von Helianthus, von Arbusen
und Kürbissen. Alles das war mit Erde untermischt und wurde durch die Nähe des Waschgefässes
immer feucht erhalten, sodaß die ganze Masse in langsamer Vermoderung begriffen war. In diesem
Substrat aber lebte neben anderen Tieren eine starke Kolonie viviparer Cecidomyidenlarven, welche
sich darin anscheinend recht wohl befanden. Ganin fand sie hier nicht nur in Holzstücken, sondern
auch in Papier und Pappe, in den Samenkernen versteckt und auch frei in der Erde. Sie trugen in
der Hauptsache die Charaktere der Pagenstecher’sehen Larven und waren von Wagners Form
wesentlich verschieden.
Ein Jahr später, also 1865, war es auch Leuckart (48) in Gießen beschieden, in den Besitz
einer solchen Larvenkolonie zu gelangen. Er fand sie unter der Rinde eines halb abgestorbenen
pilzkranken Apfelbaums. Auch diese Larven glichen der von Pagenstecher beschriebenen Form.
Leuckart hat über ihre Entwicklung die grundlegende Arbeit geschaffen, hat aber später, mit anderen
Arbeiten beschäftigt, die weitere Untersuchung seinem Schüler Metschnikoff (58, 59) überlassen.
Auf die Untersuchungsergebnisse der einzelnen Autoren werde ich im Verlauf meiner eigenen Darstellung
zu sprechen kommen.
II. Biologische und systematische Notizen.
Im Jahre 1872 erschien die letzte Untersuchung über die Miastorlarven von Meinert (67),
der sich wiederholt mit ihrem Studium beschäftigt hatte., , Seit dieser Zeit waren die viviparen
Cecidomyiden verschollen. Es hat sie niemand wieder aufgefunden, wahrscheinlich, weil sie niemand
ernstlich gesucht hat. Im Jahr 1905 erhielt ich nun von Herrn Professor Chun den Auftrag, den
Miastorlarven einmal eifrig nachzuforschen, um ihre noch wenig geklärte Entwicklungsgeschichte
mit den modernen Untersuchungsmethoden zu bearbeiten. Die Nachforschungen hatten sehr bald
Erfolg. Am 7. Mai 1905 beteiligte ich mich an einer entoiriologischen Exkursion in die Gegend von
Grimma, die von Prof. zur Strassen geleitet wurde. In dem dortigen „Stadtwald“ fanden wir unter
Rinde eines alten Buchenstumpfes eine starke Kolonie ldeiner, weißer Larven, die zur Strassen
sofort als die gesuchten Miastorlarven erkannte.
I p H p f k 'H j « daraui Ä g™2e Leipziger Umgebung in allen Richtungen durchsucht und habe
die pädogenetischen Larven fast überall in alten Baumstümpfen aufgefunden. Ich erhielt dabei
zwei von einander sehr v e r s c h i|l|J Larvenformen, die ich zunächst als die undurchsichtige und
durchsichtige Form bezeichnen will. Waren auch manche Exkursionen ergebnislos; So lernte ich
doch allmählich eine Anzahl Fundorte in unseren Wäldern kennen, auf denen ich die Larven
besonders zahlreich antraf Ich will hier einige dieser Steifen bezeichnen: Das Wäldchen am Ausflugsort
„zum heitern Blick“, im Besitze., des Herrn Rittergutsbesitzers; Kämet *), die Wälder am
Bienitz, welche sieh hinter den Leipziger Militärschießständen bis Schkeuditz und Maslau erstrecken,
die Wälder am Kohlenbefg bei Brandis, in den Hohburger Bergen, bei Frohburg, bei Delitzsch, der
S'täätsförst bei Wermsdörf. Ich schätze, daß i | f im Laufe der zwei verflossenen Jahre die Larven
in etwa 2JKMÄ) Baumstümpfen angetroffen habe. B f ¡viviparen igecidomyiden erschein'en mir
darnach als^jhr häufige Insekten, und da sie früher auch im östlichen und südlichen Rußland und
dann wieder in Dänemark, Südsehweden, und im westkchbn^Deutschland (Heidelberg, Gießen)
gefundenggfl&li, müssen sie-eiijtesehr weite Verbreitung über Kuropa besitzen. Die durchsichtige
Form ist das seltenere Tier, das ich nur an zwei Stellen,, am „heiteren Blick“ und bei Schkeuditz
gefunden habe.
Es ist mein Wunsch, an dieser Stelle Herrn Prof. Chun, meinem hochverehrten Lehrer, für
das lebhafte Interesse und für den stets anregenden, fördernden Einfluß, den er auf meine Untersuchungen
a-usgeübt hat,, aufs wärmste zu danken, insbesondere fühle ich mich- weiter Herrn
Prof, zur;|trassen zu Danke verpflichtet, .der mir für das .vorliegendeijhema ein in jeder Hinsicht
beschlagener und immer förderlicher R ä t t e r , war. Auch Herrn Prof. Woltereck spreche ich für
seine rege Anteilnahme meinen Dank aus.
Die pädogenetischen Larven leben also in faulendem Holze, besonders unter der Rinde alter
Baumstümpfe, wo sie sich von dem in Fäulnis befindlichen Baste ernähren. In der Art des Baumes
scheinen sie wenig wählerisch zu sein; denn ich habe sie in den S ta p f e n der Eifff, der Buche, der
Birke, der Ulme, der Hainbuche (Carpinus) und auch der Fichte angetroffen. Wagner hat sie dazu
m der Linde und Vogelbeere, Meinert in Pappel und Esche und Leuckart im Apfelbaum gefunden.
Nimmt man hierzu noch die Pagenstecher’schen Larven, die von Rübentrebem lebten, und die
Ganin’schen, die Sich in Papier und Samenschalen aufhielten, so sieht man, daß die Cecidomyiden
in sehr verschiedenen vegetabilischen Verwesungssubstanzen ihr Fortkommen finden. Bezüglich
der Baumstümpfe, in denen die Larven lebten, machte ich die Erfahrung, daß solche bevorzugt
wurden, deren Stämme vor etwa drei bis vier Jahren geschlagen waren. Der Bast hat sich in solchen
Stümpfen bereits dunkel gefärbt, die Rinde liegt .aber nach ziemlich straff dem Holze an. In jüngeren
Stümpfen mit noch weißem, saftigem Bast fand ich sie nicht, und auch in sehr alten Stümpfen, deren
Borke nur noch ganz locker anliegt, deren Bast %. staubigen Mull zerfallen ist, und in denen sich
vielleicht schon Ameisen und andere größere Insekten angesiedelt haben, werden die Cecidomyiden-
larven nicht angetroffen.
*) Herr Kärner, der selbst Entomologe ist, hat mich beim Sammeln in sehr entgegenkommender Weise unterstützt,
und ich spreche ihm dafür meinen besonderen Dank aus,