dem L aurer’sehen Canal ja eine C o m m u n i c a t i o n m i t dier A u s s e n w e ' l t , die als Abzugsk
anal fungiren könnte, wenn der verfügbare Raum erschöpft ist. Dadurch liesse es sich begreifen,
dass viele Receptacula in ihren Füllungszuständen nicht über ein gewisses Maass hinausgehen.
Aber w ir kennen doch Formen, denen ein solcher Abzugskanal f e h l t , und bei diesen müsste,
wenn unsere Anschauung rich tig ist, die Existenz eines im Verhältniss enormen Receptaculums
nich t n u r verständlich, sondern selbstverständlich sein. Sollen w ir es nun als einen Zufall betra
chten, dass zunächst von unseren Froschdistomen das Dist. variegatum, welchem der L aurer’sehe
Canal abgeht, ein so mächtig entwickeltes Receptaculum b e sitzt? Dann wäre es auch Zufall,
dass das Distomum Richiardii, das nach M onticelli und wie ich bestätigen kann, des L aurer’sehen
Canales ebenfalls e n tb e h rt, gleicherweise ein an Grösse sogar den Keimstock übertreffendes
Receptaculum aufweist; dann wäre es Zufall, dass w ir auch bei den Apoblema&rten, die nach
J uel keinen LAURER’schen Canal haben, wiederum ein theilweise so s ta rk entwickeltes Receptaculum
finden. Wenn w ir aber an keinen Zufall glauben, dann müssen w ir diesem Zusammentreffen
eine Bedeutung beimessen; und ich th u e dies: ich sehe in ihm die n a t ü r l i c h e F o l g e d e r
F u n c t i o n de s R e c e p t a c u l u m s , der F unc tion, die bei der Eibildung n ich t verwandten
Samenfäden in sich aufzunehmen und zu sammeln.
U n te r solchen Umständen v e rlie rt aber auch die au f den e rsten Blick so frappante That-
sache, dass in dem Receptaculum bei D. variegatum so viele und so regelmässig Spermatozoen in
k r a n k h a f t e m Zustande und z e r f a l l e n d angetroffen werden, ih r Abnormes. Es entpuppt
sich sogar die Samentasche h ie r in gewissem Sinne als ein Sp a rap p a ra t, in welchem die sonst
verloren gehenden Samenmassen aufgelöst und d a s . in ihnen enthaltene organische Material wieder
verflüssigt und vielleicht fü r das T h ier von neuem n u tzb a r gemacht wird. Ic h habe schon frü h er
den eigenthümlichen Bau der Samentasche von Apoblema excisum, appendiculatum und rufoviride,
den J ü e l beschrieb, a u f dieselben Umstände zurückzuführen versucht, wie ich sie bei Distomum
variegatum selbst beobachtete; wenn sich das als ric h tig herausstellt, woran ich kaum zweifle,
dann h ä tte n w ir in dem V e rha lten auch der Apollemen eine werthvolle Analogie zu den bei
unserem Wurme herrschenden Verhältnissen.
Bei dieser Lage der Dinge h ä tte allerdings das Receptaculum seminis fü r den Thierk
örper eine weit weniger wichtige Function, als w ir sie ihm bisher zugeschrieben haben. Es
wäre nichts anderes, als ein Sammelraum fü r nich t mehr brauchbare, zu r Entfernung aus dem
Körper bestimmte Elemente, die n u r aus gewissen, zunächst nicht n äh er bestimmbaren Gründen
zurückbehalten werden. E s wäre fü r den Körpe r n ich t unbedingt nothwendig, n ich t unentbehrlich,
es könnte schliesslich auch fehlen — und es feh lt thatsächlich bei einer sehr grossen
Zahl unserer Würmer! Bei ihnen bleibt betreffs der Schicksale der überflüssigen Samenfäden
nichts anderes übrig, als die Annahme, dass sie durch den LAURER’schen Canal direct nach aussen
abgeführt werden. Das Vorkommen von Samenfäden in diesen! is t eine o ft co n sta tirte That-
sache, während e r in anderen Fällen absolut leer, oder mit anderen Elementen gefüllt gefunden
wurde. Betreffs der le tz teren is t schon mehrfach die Ansicht aüfgetaucht und verfochten worden,
dass sie nach aussen abgeführt würden; ich nehme das je tz t als zweifellos auch fü r die Samenfäden
an, die in ihm sich finden. Ic h glaube in der T h a t, dass der L a u r e r ’s e h e C a n a l e in
A b f ü h r u n g s c a n a l ist, und zwar vorzugsweise fü r die bei der Eibildung nich t zu r Verwendung
gekommenen Spermatozoen; dass mit diesen gelegentlich auch an4ere, nicht mehr verwendbare
Elemente nach aussen gebracht werden, e rgiebt sich dann von selbst. In vergleichend anatomischer
Hinsicht is t e r dabei nichts anderes, als ein vollständig nach aussen abgeschlossenes
Receptaculum seminis, resp. dieses is t ein LAURER’s c h e r Ca n a l o hn e ä u s s e r e Mün d u n g .
Beide Entwickelungsformen gehen, wie wir sehen, durch eine ganze Menge Zwischenformen in
einander über, sie können sich gegenseitig ersetzen; aber bemerkenswerther Weise kennen wir
bis je tz t meines Wissens k e i n e D i s t o m e n f o rm , wo L aurer,scher Canal und Receptaculum
g l e i c h z e i t i g f e h l t e n ; wo also k e i n Abzugscanal vorhanden wäre und die nicht verbrauchten
Samenfäden den Weg, den sie gekommen, z u r ü c k machen müssten!
Ich bin zu den h ie r geschilderten Ansichten gekommen durch das, was ich beobachtete,
besonders durch die Existenz und die energische W irk u n g des mehrerwähnten Flimmerepitheles;
es h a t sich herausgestellt, dass eine ganze Anzahl anderer, bisher nicht näher gewürdigter Tliat-
sachen der neuen Auffassung nicht hinderlich im Wege stehen, und ich könnte mich füglich
damit zufrieden geben. Aber die Gelegenheit leg t es doch nahe, ein p a a r kurze theoretische
Erwägungen anzufügen, nicht, um das Gesagte w e ite r zu beweisen, sondern nur, um zu zeigen,
dass es auch der inneren Wahrscheinlichkeit, der Analogie mit anderen Verhältnissen nicht entbehrt.
Wenn das von uns bisher als Receptaculum seminis bezeichnete Gebilde ein solches in
W irk lich k e it w ä re , d. h. die zur Befruchtung n o t hwe n d i g e n Samenmengen enthielte, dann
wäre es ein wi c h t i g e s Or g a n fü r den Körper. Von wichtigen Organen aber wissen wir, und
sehen w ir täglich, dass sie c o n s t a n t auftre ten, und nicht scheinbar willkürlich h ie r fehlen, und
d o rt zu enormer Grösse .sich entwickeln. Das th u t aber unser Receptaculum, und deshalb können
w ir kein wichtiges Organ in ihm erkennen, umsoweniger, als auch da, wo es fehlt, nichts zu
bemerken ist, was als E r s a t z fü r dasselbe in Anspruch zu nehmen wäre u n d s e i n e F u n c t i o n
e r f ü l l t e 1). Es sind weiter gelegentlich Bedenken darüber geäussert worden, dass bei der notorischen
Sparsamkeit des Organismus g a r ein besonderer A p p a rt dafür da sein sollte, um „überflüssig“
producirte Stoffe nach aussen zu schaffen2). Ich bin mit dieser Ansicht vollkommen einverstanden,
n u r nehme ich dabei die männlichen Geschlechtsstoffe aus; zur Begründung wird es
n u r eines leisen Hinweises auf die Verhältnisse bei a l l e n anderen Thieren bedürfen, wo von
einer Sparsamkeit mit d i e s em Producte wohl kaum zu reden sein dürfte. Solche Analogieen
aber sind m itu n te r so gut, wie Beweise. Dass endlich durch die Entfernung der übrig bleibenden
Samenfäden in einer anderen Richtung als derjenigen, in welcher sie ‘gekommen sind, im ganzen
Geschlechtsapparat eine wundervolle Ordnung erzielt wird, mag n u r nebenbei erwähnt werden.
Fassen w ir nun die Resultate unserer Betrachtungen nochmals kurz zusammen, dann
ergiebt sich: 1) Die bei der Eibildung zu r Verwendung kommenden Samenfäden halten sich im
Receptaculum seminis uterinum auf. 2) Die bei der Eibildung nich t verwendeten Samenfäden
werden durch den LAURER’schen Canal nach aussen abgeführt, u n te r Umständen vergesellschaftet
mit anderen, ebenfalls nich t mehr nutzbaren Elementen. Sie sammeln sich vorher in manchen
*) Natur gemäss ist dann anch der Name Receptaculum seminis für das Gebilde nicht mehr am Platze; ich lasse
ihn einstweilen, um keine Verwirrung anzurichten, bestehen; vielleicht, dass sich im Laufe d erZ eit von selbst eine andere
Bezeichnung dafür findet.
8) Dieser Einwurf gegen die Auffassung des LAURER’schen Canales als Abführtmgscanal rührt von BRANDES
her (Die Familie der Holostomiden ; Zool. Jahrb. V, 1890 p. 565). Er wird wieder aufgenommen von MONTICELLI, der
(1. c. p. 109) darüber schreibt: „è questa una considerazione importante del Brandes . . . . Non è infatti plausibile
nell'economia della natura la produzione di materiali in eccesso che devono essere eliminati e che gli organi genitali producano
più del bisogno . . . . “. Is t Monticelli wirklich so überzeugt davon, dass die Geschlechtsorgane immer und
überall nur' so viel produciren, als zur Erzeugung der Nachkommenschaft thatsächlich verwendet wird? (Nachtr. Zusatz.)
Bibliotheca zoologica. Heft 16. 29