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I. Genitalsinus.
Die von mir untersuchten Würmer zeichnen sich, wie w ir gesehen haben, alle dadurch
aus, dass bei ihnen die Oeffnung der Genitalorgane n u r eine e i n z i g e und e i n f a c h e ist. Sie
führ t in einen fü r männliche und weibliche Leitungswege gemeinsamen Abschnitt, der schon hier
und da von den Autoren beobachtet und mit dem Namen des Genitalsinus, des Geschlechtsatriums
oder auch der Geschlechtscloake bezeichnet w orden is t; n u r S ommer l) v e rsteht, wie schon L euckart *)
und auch B raun s) hervorheben, u n te r dem genannten Ausdrucke etwas anderes. Da wir übrigens
mit dem W o rte Cloake gewöhnlich den Endabschnitt des Darmes bezeichnen, der die Mündungen
der Genitalien in sich aufnimmt, so scheint mir. die Bezeichnung Cloake fü r den h ie r in liede
stehenden Körpe rthe il weniger günstig, als die beiden anderen, denen ich darum den Vorzug gebe.
Alle unsere Distomen, und, wie ich vermuthe, noch eine grosse Zahl, wenn nicht alle
anderen, besitzen also ein Genitalatrium, einen fü r männliche und weibliche Leitungswege geme i n same
n Endabschnitt. Was mir zu dieser weitgehenden Behauptung Anlass giebt, is t die ganz
charakteristische Entwickelungsweise der Endstücke der Leitungswege, die wir im folgenden Ab-
E in tk e i lu n g “ unserer Thiere, welche ihn zur Aufstellung seiner Untergattungen auf der Basis eines einzigen, ä u s s e r l
i c h e n Charakters geführt hat. Jene Unmöglichkeit- ergiebt sich führ ihn daraus, dass „eine Classification in Untergenera,
die ausschliesslich auf eine Art (ordine) anatomischer Charaktere gegründet sei —• sei es auf die Configuration
des Darmapparates, sei es auf Verschiedenheiten in dem Baue und den gegenseitigen Beziehungen des männlichen und
weiblichen Geschlechtsapparates und die Form seiner Theile hin, wie z. B. seiner Oeffnung auf einer Seite oder in der
Mitte der Bauchfiäche — dass eine solche Eintheilung nicht möglich sei, wie aus seinen eigenen Versuchen hervorgehe.
Es seien keine genügenden Daten vorhanden, sie vorzunehmen und sie führe öfter zu Annäherungen von Species, die nach
ihrer äusseren Form und nach allen anderen Eigenthümlichkeiten weit auseinander stehen“ (1. c, p. 151). Dass zu einer
guten und sachgemässen Eintheilung unserer Würmer uns heute ein Theil der nöthigen anatomischen Daten noch fehlt,
will ich M o n ti c e ll i gerne zugeben, dass aber damit die Berechtigung zu einer Classification vorliegt, die allen Principien
der neueren, w is s e n s c h a f tlic h e n Systematik Hohn spricht, is t nicht einzusehen. Und abgesehen hiervon bessert die von
M o n ti c e ll i vorgenommene Eintheilung die bisher allgemein gefühlten Uebelstände in keiner Weise! Was nützt es, wenn
aus der ansehnlichen Zahl der gegenwärtig dem Genus Distomum angehörigen Arten einige wenige herausgenommen werden,
während die bei Weitem grössere Mehrzahl doch immer noch in einem Genus Distomum verbleibt, welches die gegenüber
der bisherigen nur unbedeutend modificirte Diagnose: „Geschlechtsöffnungen vor dem'Bauchsaugnapf, entweder diesem
oder dem Mundsaugnapfe genähert, oder in gleicher Entfernung zwischen beiden; Bauchsaugnapf sessil, Mundsaugnapf ohne
Stacheln oder fleischige Anhänge; ohne Schwanzanhang“ erhält! Es tritt ferner bei dieser Eintheilung der oben von
M o n ti c e ll i als Grund gegen eine naturgemässe Classification auf der Basis anatomischer Verhältnisse geltend gemachte
Uebelstand — dass verwandte Species getrennt, und entfernte einander ganähert werden — iu noch verstärktem Maasse
hervor. Man vergleiche nur die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von Formen in dem Genus Mesogonimus Montic.
und Polgorcliis S to s s ic h (das von M o n ti c e ll i als gerechtfertigt anerkannt wird), Formen, die meiner Ansicht nach
nicht in einem Genus nebeneinander stehen d ü r f e n ! Andererseits werden aber eben dadurch auch ganz nahe verwandte
Formen auseinandergerissen; ich erinnere hier, um nur ein Beispiel zu nennen, an Dist. cygnoides und D. folium
(cf. oben pag. *28 und 63) von denen das erstere zu Polyorchis, das andere zu Distomum gehören würde. Noch stärker
endlich zeigt sich die Unhaltbarkeit von Gattungen, wie der von M o n ti c e ll i und STOSSICH aufgestellten, in dem Umstande,
dass das Dist. cygnoides in seiner Jugend, wo es nur zwei Hoden hat, zu Distomum, im späteren Alter, nach der
Fragmentirung der Hoden, dagegen zu Polyorchis gehören würde. Und ähnliche Missständ^ würden sich wohl bald noch
anderweit ergeben. Nur beiläufig mag hier noch die Frage aufgeworfen sein, warum in der von M o n ti c e ll i gegebenen
Systematik der Genusname Mesogonimus als Masculinum behandelt wird (Mesog. pulmonal i $, commutatus, 1. c. p. 156),
wohingegen die ganz entsprechend gebildeten Urogonimus (Urog. cercatum) und Cephalogonimus P o i r i e r (Ceph. pelluci-
d um -1. c. pag. 157) als Neutra fungiren? (Nacliträgl. Zusatz.)
J) Sommer, Anatomie des Leberegels 1. c. p. 53.
2) Leuckart, Parasiten des Menschen. II. Aufl. Tremat. p. 216 u. 218.
8) Braun, Bronn’s Classen und Ordnungen p. 737 Anm,
s chnitte noch genauer besprechen werden. In direqiem Gegensatz dazu Steht allerdings eine
gewisse Anzahl von Angaben der L itte r a tu r, wo von dem Vorhandensein eines Sinus genitalis
entweder nichts erwähnt, oder wo die Existenz eines solchen.geradezu in Abrede gestellt wird.
Das le tz tere geschieht fü r Distomum. lanceolatwn von - L e u c k a r t '), fü r Distomum cylmdraeeum von
v. L i n s t o w ? ) u . a.; jedoch äi®sert sich L e u c k a r t an anderer S te lle 8) dahin, dass „eine Geschlechts-
cloake häufiger ist;, als man frü h er a n n a hm ^ Dass diesh-Ansicht berechtigt is t und auch das
Richtige trifft, werden w ir balii-genauer einsehen. In den meisten Fällen nun, wo ein Sinus
fehlen Söll, findet sich wenigstens die Thatsache verzeichnet, dass die "beiderlei Geschlechtsöffnungen
in u nmittelbarer Nähe von einander auf der Jvörperfläche gelegen sind; n u r bei ganz
vereinzelten Formen lau te n , die Angaben d e r'A u to ren auch hier noch anders. Schon V i l l o t ')
erwähnt bel-Disi. brmhysmmmi aus Tringa varialrilis gesonderte Genitalöffnungen, .die allerdings
noch beide in der Nähe des Bauchsaugnapfes liegen 5) | | Aehnlich verhalten sich nach v. L in s t o w
auch die Genitalöffnungen des Distomum. agamos aus Gammarus palexSy hei dem der Cirrus von
der Vulva „durch den Bauchsaugnapf“ g e tren n t ist. . Durch grössere Zwischenräume geschieden
sind sie nach v. Lmsiowl^jei Distomum spimsum: aus Sylvia rufa ’),. wo der männliche A pparat
¡vom im Körper, der weibliche hinten münden soll. Noch ungewöhnlicher endlich sind nach den
Angaben Z s c h o k k e ’s s) die Genitalpori bei dem, schon erwähnten Distomum Mieschen aus dem
.Oesophagus von Tmtta salar gelegen, wo die weibliche Oeffnung v e n tra l unterhalb des Jtund-
saugnapfes, die männliche s ta rk der Riickenfläche angenähert sich finden soll.
Abgesehen von diesen aussergewöhnlichen Verhältnissen dürften nun die übrigen in der
l i t t e r a t u r niedergelegten Angaben über doppelte, a b e r b e n a c h b a r t e Genitalöffnungen bei
unseren Thieren zweifellos auf die g rosse V a r i a b i l i t ä t des Genitalsinus zurückzuführen sein.
W ährend derselbe, bei verschiedenen A rte n deutlich zu erkennen, ist, wird er bei anderen so flach
und kurz, dass er n,ur als die gemeinsame O e f f n u n g beider Leitungswege erscheint. E r kann
weiterhin auch bei den Individuen d e r s e l b e n A r t in Folge seiner C o n tra e tilitä t die Form mehr
oder minder ändern, vor allem nicht selten durch Erw eiteru n g des eigentlichen Genitalporus mi t '
den Körperwänden so verstreichen, dass in der T h a t beide Genitalöffnungen n u r in einer sehr
flachen Einsenkung der Körpe rhaut oder in dieser selbst gelegen zu sein scheinen (besonders
Dist. cylindraceum und variegatum Fig. 134, 147, Taf. VII).
Ln Gegensätze hierzu kann das At rium aber auch ganz enorme Dimensionen annehmen,
wie w ir es hei gewissen Amphistomen durch Braun ’) und bei dem PomiER’sehen Genus Gasiro-
th y h z 10')jb e rä ts kennen. W ir finden h ie r den Genitalvorraum zu einer ansehnlichen Tasche ent-
. ; J) Leuckart, Paras. d. M. 2. Aufl. p. 368.
*) v. Linstow, Arch. f. mikr. Anat. 36. 1890. p. 180.
8) Leuckart, Paras. d. M. II. Aufl. p. 43.
4) YlLLOT, Ann. d. sc. nat. Zool. VIe S6r. To VIII. 1879. p. 24.
5) Und meiner Ansicht nach hier sicher durch einen gemeinsamen Sinus verbunden sind.
°) v. LlNSTOW, Arch. f. Naturgesch. 38, I. 1872. p. 3.;
■7) v. Linstow, Arch. f. Naturgesch. 1880. p. 71.
8) ZSCHOKKE, 1. c. p. 783.
°) Braun, Bronn’s CI. u. 0. p. 738 und Verh. d. deutsch, zool. Ges. 1892. p. 49.
10) POIRIER, Bullet, de la Soc. philomat. 7e S6r. To VII. 1883. Na c h t r. Zusat z: Das Verhalten der Bauchtasche
bei der schon mehrfach erwähnten, in Egypten massenhaft im Magen des Büffels lebenden Gastrothylaxart, die ich
genauer untersuchen konnte und über die ich bei nächster Gelegenheit berichten werde, spricht indessen nur wenig für
die Deutung, dass wir es in ihr mit einem stark erweiterten Genitalsinns zu tliun haben.