Die Annahme einer Rückbildung früher vorhandener Augenmuskeln scheint mir schon durch die
Beschaffenheit der vorhandenen Spuren ausgeschlossen zu werden.
Sclero - Chorioidea und Cornea.
Eine wirkliche, immer durchführbare scharfe Trennung von Chorioidea und Sclera fehlt dem Sehorgan
von Myxine. Dasselbe besitzt jedoch eine deutliche Augenkapsel, die gegen die Mesodermmassen
der weiteren Umgebung stets ganz klar sich absetzt. Dieselbe umschliesst den Bulbus in seinem ganzen
Umfange ungefähr in derselben Stärke, mit Ausnahme der Stelle der noch offenen foetalen Augenspalte.
Ignorirt man nun diesen kleinen Pieck und nimmt einmal an, dass die Augenkapsel überall die gleiche
Dicke besitze, so lassen sich aus einer Vergleichung dieser S t ä r k e n V e r h ä l t n i s s e einige Schlüsse ziehen.
Es hat nämlich die Sclero-Chorioidea bei einer Anzahl der untersuchten Thiere etwa eine Dicke
von 0,0183 mm, was bei einem Bulbusvolum von 0,0192 cbmm ein Volumen von etwa 0,0043 cbmm
bedeutet. Zieht man zum Vergleich einen erwachsenen Petromyzon mit ca. 3,178 cbmm Bulbusvolum
heran, dessen Sclera. und Chorioidea zusammen 0,0389 mm dick sind, so ergiebt sich hier ein Augenkapselvolum
von ca. 0,392 cbmm. Es wurde dabei die besondere Differenzirung der Cornea ebenfalls ausser
Betracht gelassen.
Während nun bei Myxine das Volumen der Sclero-Chorioidea zu demjenigen des ganzen Bulbus
sich verhält, wie 1 : 4,46, ergiebt sich für Petromyzon hierbei das Verhältniss 1 : 8,107.
Es differiren nun die Maasse von Augenhöhe, Tiefe, Volumen etc. für die verschiedenen Exemplare
auch bei gleicher Thierlänge oft nicht unbedeutend, und ist es daher natürlich, dass bei einem anderen zu
obigen Vergleichungen benützten Individuum sich auch andere Zahlen ergeben können, die oft ziemlich weit
auseinandergehen werden. Weiterhin mussten ja für die Messungen bei Myxine die Stelle der offenen Augenspalte,
bei Petromyzon die etwas abweichende Stärke der Cornea ignorirt werden. Auch infolge dieses
Umstandes können dann die angegebenen Zahlen nur auf ganz annähernde Richtigkeit Anspruch machen.
Trotz alledem geht aber aus ihnen deutlich hervor, dass der Antheil, den die Sclero-Chorioidea an der
Zusammensetzung des Bulbus hat, bei Myxine stets ein ganz erheblich grösserer (fast das Doppelte betragend)
ist, als im Auge des erwachsenen Petromyzon, dass die Augenkapsel von Myxine also immer
ganz unverhältnissmässig stärker ist, als diejenige von Petromyzon.
Ob bei den verschiedenen Ammocoetesstadien die Augenkapsel jemals einen so grossen Antheil am
Aufbau des Augapfels nimmt, wie bei der erwachsenen Myxine, vermag ich nicht zu sagen, da mir keine
Petromyzonlarven der frühen Entwicklungsstufen zur Verfügung waren. Der jüngste Ammocoetes, den ich
untersuchen konnte, besass, wie öfters bemerkt, eine Länge von 6 cm. Sein Sehorgan war noch sehr
wenig ausgebildet,*) doch immer viel höher, als das weitestentwickelte Myxineauge. Es hatte bei ihm
die Sclero-Chorioidea eine Stärke von 0,0084 mm, ein Volumen von ca. 0,0034 cbmm. Das Verhältniss
von Augenkapselvolum zu Bulbusvolum kommt auf 1 : 7,7 zu stehen, ein Verhältniss, das dem beim erwachsenen
Petromyzon sich findenden ziemlich ähnlich ist. Altere Stadien von Ammocoetes zeigen dann
wieder andere Verhältnisszahlen, wie 1 : 14,4; 1 : 8,1; 1 : 11,1' etc., ohne dass dabei sich eine Gesetz-
*) Theil I pag. 6 f.; pag 16 ff.
mässigkeit erkennen liesse. Immer aber ist der Anteil, den die Augenkapsel am Aufbau des Augapfels
nimmt, ein sehr viel geringerer, als dies im Myxineauge der Fall ist. Dieses steht also, das genannte
Verhältniss als Massstab genommen, auf viel tieferer Stufe, als die Ammocoetesstadien, mindestens bis zu
Tierlänge 6 cm hinunter.
Das Gewebe der Augenkapsel bleibt bei Myxine durch die offene foetale Augspalte dauernd in
festem Zusammenhang mit den Massen der Glaskörperanlage. In anderen Augen verliert sich diese Verbindung
schon sehr früh. Fürs Myxineauge hierin eine Bückhildungserscheinung sehe®, zu wollen, wäre
widersinnig, es handelt sich vielmehr lediglich um eine Hemmung in der Weiterentwicklung, die in diesem
Falle schon auf sehe .niedriger Stufe eingetreten ist, viel niedriger z, B. als diejenige des mehrfach er-
wähnten jüngsten Ammocoetesauges.
Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem f e i n e r e n Ba u der Augenkapsel, der bei Myxine
zweifellos ebenfalls eine noch niedrigere Stufe darstellt, als bei dem jüngsten der von mir untersuchten
Ammocoetes. Die verschiedenen Myxineaugen zeigen zwar einen verschiedenen Grad in der Differenzierung
ihrer Augenkapsel; sehr selten ist dieselbe jedoch über die allerersten Anfänge einer Trennung in zwei
Teile hinausgekommen, jedenfalls nie weiter, als bis zu dem geringen Grade, den schon die Sclero-Chorioidea
der Ammoooetes von 6 cm Tierlänge aufweist.
Auch bei Myxine berechtigen die äusseren Lagen der Sclero-Chorioidea hauptsächlich durch ihren
Zusammenhang mit den — unverkennbaren — Anfängen der duralen Opticusscheide dazu, sie als künftige
Sclera. aufzufassen und von den inneren, eines solchen Zusammenhanges entbehrenden, zu unterscheiden.
Ob diese letzteren sich selbst zu einer Chorioidea umgebildet haben würden, oder ob eine solche auf
andere Weise zustande gekommen wäre (etwa durch das Perivasculargewebe hereinwachsender Gefässe),
dafür fehlt noch jeder Anhaltspunkt.
In der Verteilung der Gefässe findet die Unterscheidung zweier getrennter Häute der Augenkapsel
absolut keine Unterstützung, da jene, von sehr geringer Entwicklung, ganz gleichraässig in den äusseren,
wie in den inneren Lagen der Augenkapsel angetroffen werden.
Pigmentierung fehlt der Sclero-Chorioidea des Myxineauges stets durchaus; dasselbe steht also in
dieser Beziehung unbedingt auf einer tieferen Stufe, als das Sehorgan jenes kleinsten Ammocoetes, bei
welchem ja stets ganz unverkennbare, oft aber schon recht bedeutende Anfänge von Pigmentansammlungen,
auch in der Augenkapsel, zu konstatieren sind.
Die Anlage der Augenkapsel erfolgte kurz nach Bildung des Augenbechers, indem sich das Bindegewebe
aus der nächsten Nachbarschaft des letzteren fest an ihn anlegte und sich dann bald gegen die
Mesodermmassen der weiteren Umgebung scharf absetzte. Mit den Bindegewebszügen, die die Einstülpung
zum Augenbeoher bewirkt hatten, also der Glaskörperanlage, blieb der Zusammenhang ungestört erhalten.
Im Inneren der Augenkapsel begann sich dann ¿ine Scheidung in zwei Blätter vorzubereiten, die indessen
niemals..sehr weit gedeiht. Ebensowenig kommt es zur Ausbildung einer Z w i s c h e nm emb r a n ,
wenn auch einzelne dem Pigmentepithel anliegende Gewebszüge der Kapsel durch die Thatsache ihres
Zusammenhanges mit aus der Ketina kommenden Bindegewebsfasern, sich als Anlage einer solchen darstellen.
Ehe es jedoch zur Durchführung dieser Differenzierungen kommen kann, tritt ein vollständiger
Stillstand der Entwicklung ein.
Dass schon früher eine Hemmung, ein Nachlass der Wachstumsenergie, stattgefunden haben muss,
geht daraus hervor, dass normalerweise die Verbindung zwischen Augenkapsel und Glaskörperanlage schon
Bibliotheca zoologica. Heft XIV.