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Die Hauptganglienschicht (g), der ich diesen Namen gehen möchte, weil sie beim erwachsenen
Thiere die Rolle der in der Retina der meisten übrigen Wirbelthiere als Ganglienschicht xar
bezeichneten Gewebstheile spielt, ist erst im späteren Verlaufe der Entwicklung in Funktion getreten.
Ihre Aufgabe erfüllte vorher eine Ganglienschicht, die, wie sonst immer, in unmittelbarer Nachbarschaft
der von ih r herstammenden horizontalen Opticusfaserschicht verblieben war. Auf dieser Stufe der Entwicklung
zeigte die spätere Hauptganglienschicht überhaupt noch keine eigentlichen Ganglienzellen.
Eine Veränderung in diesen Verhältnissen wurde erst durch das scheinbare Wandern der Opticusfaserschicht
herbeigeführt.
Es nahm nämlich, auf niederen Stufen der Entwicklung, die Opticusfaserschicht auch hei Ammo-
coctes denselben Platz ein, wie im Auge fast aller übrigen Wirbelthiere, d. h. zwischen der Limitans
interna und der Ganglienschicht, aus der sie herstammt. Im Laufe der weiteren Ausbildung mag sich
nun das Bedürfniss einer grösseren Annäherung der funktionirenden Ganglienschicht (um die mit den
Opticusfasern direkt im Zusammenhang befindliche so zu bezeichnen) an die Sehzellschicht geltend gemacht
haben, und es entwickeln sich deshalb der Reihe nach immer wieder Lagen tiefer gelegener
Nervenzellen zü faseraussendenden Ganglienzellen, sodass also nach einander die in den Figuren mit 1, 2
und 3 bezeichneten Zelllagen und schliesslich die Zellen der, bisher wohl höchstens als leitende Zwischenschicht
fungirenden, gegenwärtigen Hauptgaüglienschicht (g) den Dienst einer „funktionirenden“ Ganglienschicht
versehen haben resp. noch versehen. Die von den Ganglienzellen ausgesendeten Nervenfasern
schlugen naturgemäss immer einen möglichst nahen Weg nach ihrer Sammelstelle zum Nervus opticus
d. h. nach dem alten Augenblasenstiel ein, und so schien dann die Opticusfaserschicht immer mehr in
die Tiefe der Retina zu wandern.
Der Raum zwischen den dadurch ausser Betrieb gesetzten Ganglienzellen wurde theils durch
Auflösung der hei den Jugendformen sich zwischen den Ganglienzellen findenden Körner, theils durch
Zerfall der, jenen Ganglienzellen entsprechenden Opticusfasern zur Granulosa interna. Von jenen Körnern
finden sich beim erwachsenen Petromyzon zuweilen an der proximalen Grenze der Granulosa interna
noch Spuren (y) in Gestalt kleiner, augenscheinlich im Zerfall begriffener Protoplasmaballen (Kernchen);
als letztes Ueberbleibsel der Opticusfasern dürften wohl die zuweilen auftretende faserige Textur der
Granulosa resp. die ah und zu sich zeigende horizontalfaserige Anordnung des Protoplasmagerinnsels
dieser Schicht aufzufassen sein.
Es erklärt sich so einmal das von aussen nach innen stärker ausgesprochene Verkümmern der
der Granulosa interna eingelagerten Zellen von ganglionärem Charakter, und dann auch die mit fortschreitender
Entwicklung zunehmende Stärke jener Schicht.
Die M ü lle r ’s c h e n F a s e r n sind/ wie auch meine Untersuchungen an nahestehenden Cyclo-
stomen (s. u.) ergeben, mesodermalen Ursprungs. Sie verdanken ihre Entstehung demselben durch die
fötale Augenspalte einwandernden Bindegewebszuge, der auch den Glaskörper liefert, und bleiben durch
ihren festen Anschluss an die Limitans interna in dauerndem Zusammenhang mit diesem. Bei der in
den Präparaten nicht selten durch die Reagentien herbeigeführten Schrumpfung des Glaskörpers folgt
diesem stets die Limitans interna, so dass dieselbe sich demgemäss von der Retina ahheht. Die dreieckigen
Füsschen der Müller’schen Fasern (und sehr oft noch Stücke von diesen seihst) bleiben hierbei
immer mit der Limitans interna in Verbindung, werden also aus der Retina herausgezogen. Ich glaube,
dass auch dies Verhalten in etwas für den bindegewebigen Ursprung, sowohl der Limitans interna, als
der Müller’schen Fasern spricht.
Die letzteren ziehen sich quer durch die ganze Retina hin und tragen durch Abgabe von Seitenverzweigungen
in hervorragender Weise bei zur Bildung besonderer Stützschichten in der Netzhaut. Diese
Schichten, die Zwischenganglienschicht und die Granulosa externa, werden, wie hier ebenfalls kurz
wiederholt sein mag, in zweiter Linie durch Protoplasmagerinnsel und Systeme besonderer, von den
Müller’schen Fasern unabhängiger Faserzüge gebildet. Beide Elemente sind m. E. auf Zerfalls- resp.
Umwandlungsvorgänge von Stützzellen zurückzuführen, es setzen sich die Stützschichten der Retina also
lediglich aus ursprünglich bindegewebigen, somit mesodermalen Gewebsformen zusammen.
Die Müller’schen Fasern endigen nicht am Margo limitans externus, sondern ziehen sich zwischen
den Zapfen hindurch nach dem Pigmentepithel hin. Sie mögen an dieser Stelle viel beigetragen haben
zum Zustandekommen der häufig vertretenen Meinung, dass in der Sehzellschicht des Petromyzon auch
Stäbchen vorhanden seien.
Die Stützfasern treten schliesslich zwischen den Zellen des Pigmentepithels hindurch, um sich
sofort mit der Zwischenmembran zu vereinigen, in deren Substanz sie aufgehen.
Es wird auf diese Weise ein Netz (Fig. 22) bindegewebigen Ursprungs gebildet, das alle nervösen
Theile des Auges durchsetzt, resp. umhüllt. Dasselbe besteht aus der Membrana limitans interna, die
in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zwischenmembran und durch diese wieder mit der Pialscheide
des Nervus opticus steht. Diese Membranen bilden den Rahmen für ein zwischen ihnen sich ausspannendes
Netzwerk1), das für die Retina aus den Müller’schen Fasern und ihren Verzweigungen, für den
Opticus aus den Ausläufern der Zellen seines Axenstranges (s. u.) besteht.
Gefässe habe ich in der Retina selbst nicht nachweisen können, wohl aber in dem intraretinalen
Verlaufe des Sehn'erven.
Der Nervus opticus,
Auf allen Entwicklungsstufen zeigt der Sehnerv ein von dem der übrigen Wirbelthiere abweichendes
Verhalten. E r bildet nämlich von seinem Austritt aus dem Bulbus an nicht einen mehr
oder weniger walzenförmigen, k om p a c te n nervösen Körper; seine Fasern ordnen sich vielmehr in der
Weise an, dass sie die Wand eines Hohlcylinders bilden, der durch einen Strang quer zur Längsaxe
gestellter Zellen vollkommen ausgefüllt wird.
-1) So schon Leydig, Lehrbuch der Histologie. 1857.