K A P I T E L V.
Religiöse Vorstellungen der Bahau — Wichtigste Götter -^Einteilung des Weltalls — Gute und
böse Geister — Seelen der Bahau — Charakter und Schicksal der bruwä und ton luwä — Seelen
der Tiere, Pflanzen und Gesteine — Vorzeichen —- Erklärung der peinali — Priester und Prieste-
rinnen — Beseelung der däjung —- Pflichten der däjung — Erklärung der melä Das Ei als
Opfergabe. ,
Um die Höhe der geistigen Entwicklung und die Eigenart eines
Volkes beurteilen zu können, muss man vor allen Dingen die Vorstellungen
kennen lernen, die dieses sich von seiner Stellung gegenüber
der umgebenden Natur bildet. In höherem oder geringerem Masse
sind diese Vorstellungen, die wir als Religion bezeichnen, jedem denkenden
Wesen eigen. Je widerstandsfähiger ein Volk sich seiner Umgebung
gegenüber fühlt, desto verschiedener und erhabener wird es
sich ihr gegenüber Vorkommen. Ein Volk gewinnt aber nur dann
eine gewisse Furchtlosigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den auf
sein Dasein einwirkenden Naturkräften, wenn es bewusst oder unbewusst
so viel Kenntnis von der Natur erlangt, dass es sein Leben mit deren
Forderungen in Uebereinstimmung zu bringen im Stande ist.
Berücksichtigen wir, dass die Bahau und Könja von Borneo ackerbautreibende
Stämme sind, deren Lebensunterhalt von der Witterung
und anderen sichtbaren Naturänderungen unmittelbar abhängig ist,
dass ausserdem die schädlichen Einflüsse des Klimas ihr körperliches
Befinden durch Krankheit so stark beeinträchtigen, dass sie an Zahl
wenig zunehmen, so kann es uns nicht wundern, in den religiösen Ueber-
zeugungen dieser Stämme das Gefühl der Abhängigkeit von der sie
umgebenden Natur stark ausgeprägt zu finden. In der Tat ist die
Stellung, die sich die Bewohner von Mittel-Borneo im Reiche der
Natur anweisen, eine sehr bescheidene; denn sie kommen sich selbst
von den Pflanzen, Tieren und Gesteinen ihrer Umgebung nicht wesentlich,
sondern nur graduell, verschieden vor.
Charakteristischer Weise schreiben die Bahau nicht nur sich selbst,
sondern auch allen belebten und unbelebten Wesen den Besitz von
Seelen (b rw w a )zu. Nach ihrer Auffassung reagieren die Seelen eines
Baumes, eines Hundes oder eines Felsens auf dieselbe Art wie die eines
Menschen, sie werden von denselben Empfindungen der Lust und
Unlust bewegt. Daher suchen die Bahau die erzürnten Seelen der
Tiere, Pflanzen und Steine, welche sie zu verletzen oder zu vernichten
gezwungen sind, durch Opfer zu besänftigen; im übrigen aber empfinden
sie vor ihnen keine besondere Angst. Die Wirkungen der
Naturkräfte erscheinen ihnen dagegen für das Wohl und Wehe des
Menschen viel bedeutungsvoller und auch gefährlicher.
Die wahren Ursachen von Donner, Blitz, Regen und Wind nicht
kennend stellen sich die Bahau diese als Aeusserungen von Wesen
oder Geistern (to) vor, die zwar mächtiger sind als sie selbst, sonst
aber Angenehmes und Unangenehmes auf die gleiche Weise wie die
Menschen empfinden. Die Geister können daher einerseits durch Geschenke
und Opfer von lebenden oder toten Wertgegenständen günstig
gestimmt werden, andererseits durch diejenigen Dinge, die auch den
Menschen Abscheu und Angst einflössen, in die Flucht geschlagen
werden. Ich beobachtete einige Male, dass der Sohn K w i n g I r a n g s ,
des Häuptlings der Mahakam Kajan, bei heftigem Sturme aus dem
Hause stürzte und, um den Geistern zu imponieren und sie gleichzeitig
zu besänftigen, das erste beste Tier, das ihm in den Weg kam, einmal
ein Schwein, einmal ein Huhn, mit Schwertschlägen tötete. Ein
anderes Mal stürzte ein Mann, in der einen Hand ein gezogenes Schwert
in der ändern einen Schädel haltend, während eines Sturmes a u s dem
Hause, um den Sturmgeist in die Flucht zu schlagen.
Auch durch Schreien suchen die Bahau die Wind- und Regengeister
zu vertreiben; hilft dieses Mittel nicht, so stellen sie zur Abschreckung
einen Schädel vor das Haus. Als wir auf einer Reise mit den Mendalam
Kajan von einem heftigen Gewitter überfallen wurden und sehr nahe
Donnerschläge uns erschreckten, zogen die Kajan sogleich ihre Schwerter
halb aus der Scheide, um die gewaltigen Geister zu verjagen.
Diese Naturgeister üben auch direkten Einfluss auf das Leben der
Menschen aus ; so werden bestimmte Vergehen durch die to 6glare,
Donnergeister, bestraft. Das Lachen über Tiere z. B., das bei' den
Bahau als Verbrechen gilt, wird durch die to bglare sogleich gestraft,
indem sie dem Schuldigen den Hals umdrehen. Es ist daher sehr
unvorsichtig, mit einem Huhn, Hund oder Schwein etwas vorzunehmen,