Nachts fiel das Wasser, daher machten sich am zweiten Tage des
melo beinahe alle Kajan auf, um ebenfalls etwas von den verunglückten
Habseligkeiten aufzufischen. Vor Einbruch der Dunkelheit mussten alle
wieder zurück sein, aber sie hatten ihre Zeit augenscheinlich gut
angewandt, denn beinahe jeder brachte ein Beutestück mit. Von den
aufgefischten Leckerbissen, die eigentlich für die malaiischen Busch-
produktensucher am oberen Krehau bestimmt waren, genossen die
Kajan leider nicht viel, da sie ihnen unbekannt waren.
Der eine verzehrte aui ein Mal eine ganze Büchse Sardinen, so
dass ihm übel wurde, der andere leerte eine grosse Flasche mit konzentriertem
Himbeerensirup und bekam Magenbeschwerden und selbst
der glückliche Besitzer des erbeuteten Gongs beunruhigte sich seines
zweifelhaften Eigentumsrechtes wegen.
Wir übrigen hatten inzwischen, um eine Aussicht über unsere Umgebung
zu erlangen, einen nach den Aussagen der Leute günstig
gelegenen Hügel bestiegen. A uf dem Gipfel des Berges angelangt
standen wir jedoch, wie es uns häufig bei noch viel höheren Bergen
passierte, in einem ebenso dichten Urwald als an seinem Fuss und
einen Ausblick zu erlangen war also unmöglich.ö O Um uns für unsere
Enttäuschung etwas zu entschädigen, machten uns unsere Begleiter auf
einige botanische Merkwürdigkeiten aufmerksam, von denen zwei Lianen
allerdings interessant genug waren. Sie hiessen vaka k a h ir" und „aka
h ilin g " und bildeten wahre Milch- und Wasserquellen, wenn man ihre
Stämme durchschnitt und vertikal hielt. Im übrigen brachten wir von
diesem Ausflug nicht viel mehr heim als ermüdete Gliedmassen.
Die im Lager zurückgebliebenen Kajan hatten uns unterdessen
eine Ueberraschung bereitet und das dichte Ufergebüsch vor unserer
Hütte umgehackt, so dass wir jetzt eine freie Aussicht genossen. Das
gegenüberliegende Ufer lag nun in seiner ganzen Grossartigkeit vor
uns. Die in allen Schattierungen von Grün prangenden Abhänge stiegen
300 m an und wurden von einer hohen, beinahe senkrechten, nackten
Wand abgeschlossen. Die Wand trug eine schwere Decke von hohen
Stämmen, deren zum Flusse hin frei entwickelte Kronen auch in dieser
bedeutenden Entfernung ihren verschiedenen Charakter erkennen Hessen.
Der Eindruck dieser Umgebung wurde nicht wenig durch die scheinbar
völlige Abwesenheit tierischen Lebens erhöht. Die kleinen Vögel in
den weit entfernten Baumkronen fielen nicht auf und nur selten bemerkte
man einige Rhinozerosvögel, die in grösser Höhe über den
grünen Wreilen vorüberschwebten. Nur der Argusfasan Hess seinen
hellen, vollen Ruf von ,nah und fern ertönen und zeugte von der reich
entwickelten Tierwelt des tropischen Urwaldes, von der der Mensch
trotz aller Anstrengung nur einen sehr kleinen Teil wahrnehmen kann.
Am anderen Morgen, den 24. August, begannen die Kajan, vergnügt
über den günstigen Wasserstand, bereits bei Sonnenaufgang unsere
Kisten und den Reis in die Böte zu verteilen, verpackten unsere
Klambu und brachen das Zelt ab, so dass wir, als das ganze Kapuas-
tal noch in Morgennebel gehüllt war, bereits in unseren Böten sassen
und unter den besten Auspizien flussaufwärts fuhren. Nach Ueber-
einkunft sollten wir unsere erste Mahlzeit an der Stelle halten, wo
das malaiische Handelsboot gesunken war, denn meine Ruderer
wollten während der Vorbereitungen-zum Mahl noch einige Habselig-
keiten herausfischen.
Nach einer Stunde erreichten wir die Unglücksstätte, ein Becken
unterhalb Pulau Balang, in welchem hervorragende Felsblöcke in
der Mitte und zu beiden Seiten so heftige Strudel verursachten, dass
wir auch jetzt, bei niedrigerem Wasserstande, nur dank der Geschicklichkeit
und Anstrengung der ganzen Bemannung vorwärts kamen.
Die Verunglückten hatten versucht, ihr Boot längs eines Felsvorsprunges
des linken Ufers über eine kleine Stromschnelle hinaufzuschaffen, und
ihre Ladung war beim Umschlagen in das durch Felsblöcke vom
Flusse abgeschiedene Becken gesunken.
Auch musste eine grosse Menge Reis gesunken sein, denn noch
jetzt Hessen sich auf dem Grunde des Wassers dicke, weisse Schichten
erkennen. Gleich nach unserer Ankunft entledigte sich ein Teil der
jungen Männer seiner ohnehin spärlichen Kleidung und verschwand
im Becken, während andere überlegten, wohin die Strömung noch
weitere Gegenstände weggeführt haben könnte. Ausser einigen Flaschen
und Konservenbüchsen wurde noch ein Gong zum Vorschein gebracht,
aber die leichteren Sachen, wie Packen Kattun, mussten vom Wasser
bereits fortgetragen worden sein. Die Taucher blieben in ihrem Eifer
bisweilen so lange unter Wasser, dass ich besorgt wurde. Sie berichteten,
dass noch viele Säcke Reis am Grunde lagen, aber dass das
Wasser zu tief sei, um sie hervorholen zu können; übrigens war der
Reis durch das lange Liegen im Wasser sicher auch schon verdorben.
So konnten denn die Kajan nach dem Essen mit ruhigem Gemüt von
diesem kostbaren Fleckchen Abschied nehmen und ihre Aufmerksam-
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