Steht ein Stammesglied im Verdacht, Gift {p u lt) zu besitzen, mit
dem es Menschen tötet oder krank macht, so riskiert es, von dem
einen oder anderen niedergemacht zu werden, natürlich oft unschuldiger
Weise.
Bei Ehebruch kommt es vor, dass der betrogene Ehemann die
Schuldigen, wenn er sie überrascht, tötet; er ist jedoch verpflichtet, für
die getötete Person Schadenersatz zu bezahlen. Nicht immer hat der
Ehebruch eine Scheidung der Gatten zur Folge.
Frauen, welche ausserehelich schwanger werden, und die schuldigen
Männer haben nach Anschauung der Bahau eine Missetat begangen,
welche die Geister erzürnt und dem Stamme Unglück bringt. Die
Strafe, die man ihnen auferlegt, gleicht daher einem Opfer an die
Geister. Die Long-Glat am Mahakam lassen die Schuldigen mit einem
Schwein als Opfergabe auf einem Floss mit der Strömung flussabwärts
treiben. Das Schwein ertrinkt in den Wasserfällen, während sich das
schuldige Paar durch Schwimmen rettet.
Zur Entdeckung des Schuldigen sah ich die Bahau von folgendem
Mittel Gebrauch machen: Der Bestohlene lie'ss jeden ein Ei anrühren
in der Ueberzeugung, dass der Schuldige das Ei nicht zu berühren
wagen würde, aus Furcht krank zu werden.
Die Bahau schwören auf den Zahn des Königstigers; in ernsten
Fällen jedoch geschieht die Eidesleistung unter gleichzeitigem langsamem
Töten eines Hundes. Dem Tiere werden mittelst eines Schwertes
Stichwunden beigebracht und derjenige, der den Eid leistet, bestreicht
sich mit dem ausströmenden Blute. Bei Meineid wird der Schuldige,
nach dem Glauben der Bahau, später durch den Hund, d. h. durch
den Geist, der in ihm steckte, verfolgt, gebissen und getötet.
Die Vollziehung der Strafen ist für die m an tri keine leichte Aufgabe,
denn sie besitzen keine Zwangsmittel und im Kajanstaat geniesst jeder
die grösste Freiheit. Die m an tri finden aher für die Aufrechterhaltung
der Ordnung in zwei Faktoren eine wesentliche Stütze: erstens in der
Achtung der Kajan vor der öffentlichen Meinung, zweitens in ihrer
Furcht, bei Uebertretung der adat zur Strafe krank zu werden, dem
sog. „ takut p a rid .
Dass Menschen, die ihr ganzes Leben gemeinsam in einem Hause,'
in unmittelbarer Nähe von einander, verbringen, doch ein so ausgesprochenes
Gefühl der Eigenwürde und beinahe eine Ueberempfind-
lichkeit für die Meinung ihrer Umgebung besitzen, setzt uns in E r staunen!
Die adat und diè Art ihrer Handhabung ist überhaupt nur
bei einem Stamm mit derartigem Charakter denkbar.
Wird in einer öffentlichen Versammlung oder durch den Häuptling
und die m antri einem Schuldigen eine Busse auferlegt, so wagt er es
nur in seltenen Fällen, sich zu widersetzen. E s kommt noch hinzu,
dass sich seine ganze Familie bei der Angelegenheit betroffen fühlt.
Nicht minder als die öffentliche Meinung trägt das Ttakut p a r id '
dazu bei, im Staate und in der Familie der Kajan Ordnung und Sitte
aufrecht zu erhalten. Der Aberglaube p a r id , krank, kachektisch zu
werden, sobald man dieses oder jenes Verbot Übertritt, übt auf das
Tun und Lassen von alt und jung den grössten Einfluss aus. Im allgemeinen
wird bei den Kajan jemand p a r id , wenn er etwas tut oder
anrührt, das nur Aelteren oder Höherstehenden zukommt. Das takut
i>arid gilt somit nicht für sämmtliche, sondern nur für b e son d e re
Uebertretungén. Kindern ist es verboten, Gegenstände, die älteren
Männern oder dem Häuptling gehören, hauptsächlich aber Kriegswaffen,
anzurühren. Junge Männer dürfen keine Schwertgriffe aus
Horn schnitzen oder eiserne Schwerter und Speere gravieren oder
Gestelle für Reiskörbe mit Rotang umflechten oder endlich' sich nicht
mit den Schwanzfedern des Nashornvogels schmücken — alle diese
Dinge sind nur alten, tapferen Männern gestattet.
In bezug auf alles, was den für die Borneobewohner mystischen
Tiger {ledjo) betrifft, ist jeder in hohem Masse takut p a r id ; nur einige
der vornehmsten Häuptlinge wagen es, den Zahn eines Königstigers
anzurühren. Als ich daher auf meiner letzten Reise als grosses Geschenk
für die obersten Häuptlinge am Mahakam einige Tigerzähne
aus Ja v a mitnahm, hütete ich mich davor, zu verraten, in welcher
Kiste sie sich befanden, da sonst kein Kajan sie hätte tragen wollen.
Aus dem gleichen Grunde musste ich auch einen Tigerschädel in
Putus Sibau zurücklassen. Jeder fürchtete sich davor, auch nur mit
dem Staub des Tigerzahnes in Berührung zu kommen, den Demmeni
für den Pnihinghäuptling B e l a r e einst feilte.
Auch in allem, was den Gottesdienst angeht, seien es Gebräuche,
Verbote oder religiöse Gegenstände, ist jeder Laie takut p a rid . Selbst
die jungen Priesterinnen können p a r id werden und nur die ältesten,
wie U s u n in Tandjong Karang, wagten es, über ihre Wissenschaft zu
sprechen und religiöse Gegenstände fparang la li) für mich nachzumachen.
Dass in einem Gèmeinwesen, das, wie wir gesehen haben, mehr