Der ganze Charakter der Gegend verkündete den Anfang eines
neuen Gebietes. Mächtige Waldriesen zu beiden Uferseiten breiteten
ihre Aeste so weit über den 50—60 m breiten Fluss aus, dass sie
einander berühren zu wollen schienen.
Hart am Uferrand wuchsen Bäume, die in ihren hohen, breiten
Bretterwurzeln genügende Stütze fanden, um ihre meterdicken Stämme
und schweren Kronen in horizontaler Richtung' über o den Fluss beuogen
zu können. Bei Hochwasser sind die Stämme oft auf eine Länge von
ungefähr zehn Metern überschwemmt und auch jetzt konnten wir nur
mit Mühe unter ihnen hindurch fahren. Auffallender Weise kommt in
den Urwäldern von Mittel-Borneo längs den Flussufern stets nur diese
eine Art von Bäumen vor, während man in einiog er Entfernunog vom
Ufer überhaupt nur selten zwei oder drei Exemplare der gleichen Spezies
beieinander stehend findet. Die Früchte dieser Bäume sind essbar,
werden aber nie gross, so dass nur Kinder sich bemühen, den
Fischen die Ernte streitig zu machen. Infolge ihres eigentümlichen
Wuchses und der Steilheit der Ufer des Kapuas, zog sich das grüne
Dach dieser Urwaldbäume vom Wasserspiegel an in breiten, welligen
Falten bis Hunderte von Metern an den Wänden der Kluft hinauf.
Ergriffen von dem grossartigen und geheimnisvollen Charakter unserer
Umgebung nahmen wir in feierlicherer Stimmung als gewöhnlich
unser Mahl ein und begaben uns früh zur Ruhe. Wir hatten hoch
oben auf der Bank Zelte und in diesen unsere Klambu aufschlagen
lassen, nur B i e r bestand, trotz seines Unfalles in der vergangenen
Nacht, darauf, wieder in seinem Boot zu schlafen. Nachts fiel aber
ein kurzer, heftiger Regen, der seine Lagerstätte, diesmal von oben,
•vollständig durchnässte. Als aber morgens die Sonne wieder schien
und der Wasserstand sich noch als günstig erwies, zogen wir in heiterer
Stimmung in das unbewohnte Gebiet hinein. Weiter oberhalb
musste aber doch viel Regen gefallen sein, denn im Laufe des Morgens
stieg das Wasser, was uns das Passieren verengter Stellen und
überhängender Bäume sehr erschwerte. Als an einer Stelle ein quer
im Fluss halb unter Wasser liegender Baumstamm umfahren werden
musste, schien das grosse Boot von T i g a n g A g i n g , in dem sich der
Kontrolleur befand, der Mannschaft zu schwer zu werden; denn die
besonders bei steigendem Wasserstande heftige Strömung drohte das
Boot, sobald sich sein vorderer Teil um das Ende des Baumes dem
Ufer zuwandte, der Länge nach an den Stamm zu drücken, wodurch
das von unten reissende Wasser das Boot zweifellos erst in schiefe
Stellung und dann zum Umschlagen gebracht hätte. In der Mitte des
Flusses wiederum konnte gegen die starke Strömung überhaupt nicht
gefahren werden. Zwei Männern, die erst auf den Baumstamm und
dann in das Wasser gesprungen waren, gelang es endlich, die Spitze
des Bootes so lange gegen die Strömung zu haltengjjbis die übrigen
Leute mit ihren Stangen am Ufer eine Stütze gefunden hatten.
Wir kamen aber doch noch ein gutes Stück vorwärts, wohl mit
Hilfe des tgländjäng, des wahrsagenden Vogels, der sich günstiger
Weise am rechten Ufer hören liess. E s war für die Kajan eine grosse
Beruhigung, dass nun auch der tglandj&ng seine Zustimmung zum
■ Unternehmen gab; sie hatten ja vor unserer Abreise an der Mündung
des Mendalam vergeblich auf ihn gewartet. Uns kostete diese Seelenberuhigung
unseres Gefolges jedoch zwei Nächte Aufenthalt {ni$lo njako),
da die Religion den Kajan vorschreibt, an der Stelle, wo sich der
Vogel gezeigt hat, das Lager aufzusehlagen. Allein die Ueberzeugung,
dass unsere Leute nur auf diese Weise mit Vertrauen unseren weiteren
Zug mitmachen würden, brachte mich dazu, ihrem Aberglauben wiederum
zwei kostbare Reisetage zum Opfer zu bringen.
Abends sassen wir still in unserem Waldlager, die einen mit Lektüre,
die anderen mit allerhand Kleinigkeiten beschäftigt, als 6 Malaien in
einem kleinen Boote flussabwärts gefahren kamen und uns um Hilfe
baten. Sie hatten nämlich etwas oberhalb unseres Lagers mit einem
grossen Boot voll Handelswaren an einem Felsen, den sie umfahren
mussten, Schiffbruch gelitten; die reissende Strömung hatte das Boot
gegen einen halb unter Wasser liegenden Stein geworfen und zum
Umschlagen gebracht. Die unglücklichen Leute hatten nichts übrig
behalten und baten um ein Unterkommen.
In unserer Ruheperiode war es jedoch /«A, mit irgend welchen
anderen Menschen in Berührung zu kommen, und die armen Tröpfe
kannten das unerbittliche Festhalten der Kajan an ihrer adat zu gut,
um überhaupt noch einen Schritt bei mir zu wagen, und zogen mit
hungrigem Magen weiter nach Lunsa.
Für die Meinen bildete das Missgeschick der Malaien einen Glücksfall.
Da die adat ihnen bei Tageslicht einen kleinen Ausflug gestattete, fuhr
T i g a n g in Gesellschaft einiger Stammesgenossen in einem leeren Boote den
Kapuas hinauf, um die Unglücksstätte zu untersuchen, und kam abends
mit einem Gong zurück, den sie durch Tauchen aufgefischt hatten.