Material für die Darstellung des Milchgebisses innerhalb mehrerer Säugethiergrnppen gesamtalt.
Bald kam ich jedoch zur Einsicht, dass dieses Material sc lange der rechten Beleuchtung entbehre
, als die ontogenetischen Beziehungen zwischen Milch- und Ersatzzähnen nicht aufgeklärt
wären, weshalb, ich mich entschloss zunächst diese letztere Jfrage in Angriff: zu nehmen-.- Alsdann
suchte ich die gemachten Erfahrungen durch Herbeiziehen sowohl: lebender als fossiler Formen
phlylogenetisch zu verwerthen.
Mit der Veröffentlichung meiner Untersuchungen aber, von denen ich einige Theile schon
seit Jahren abgeschlossen und in meinen Vorlesungen vorgetragen, habe ich immer noch gezögert,
theils weil ich keine Uebereinstimmung zwischen dem von mir Geforderten und den erlangten
Resultaten hatte erzielen können, theils weil mich folgender Umstand zurückhielt. Es könnte
nämlich fast als eine logische Unmöglichkeit erscheinen, dass nicht eine der vielen und verschiedenartigen
Anschauungen über die Phylogenie des Säugethiergebisses, welche im Laufe der
letzten Jahre ausgesprochen worden sind, das Richtige getroffen haben sollte; es scheinen hier
alle. Möglichkeiten erschöpft zu sein. Aber kaum dürfte eine dieser einander widerstreitenden
Ansichten sich rühmen können, eine solche Begründung erbracht zu haben, dass sie sich wesentlich
über die übrigen oder über den Rang einer mehr oder weniger plausiblen Hypothese erhebt.
Erst als meine Untersuchungen soweit geführt waren, dass die Durchmusterung meines
eigenen recht bedeutenden Materials sowie desjenigen meiner Vorgänger mich zu der Ueberzeugung
gebracht hatte, dass wenigstens auf dem o n to g e n e t i s c h e n Gebiete fortgesetztes Arbeiten
kaum nennenswerte weitere Aufschlüsse p r i n c i p i e l l e r Art zu Tage fördern würde, entschloss
ich mich in zwei 1892—93 erschienenen Aufsätzen (III und IV)1) einen vorläufigen Bericht
meiner Untersuchungen zu veröffentlichen.
Den oben ausgesprochenen Erwägungen gemäss behandle ich im vorliegenden ersten Theile
der definitiven Publikation die Ontogenie des Zahnsystems der Säugethiere, mit besonderer Berücksichtigung
des Verhaltens der Milch- und Ersatzzähne, wie sich dasselbe aus der Untersuchung
lückenloser Serienschnitte einer grössern Reihe von Säugethierformen und Altersstadien ergiebt.
In diesem Theile werde ich nur auf solche phylogenetische und allgemein morphologische Fragen
eingehen, welche sich unmittelbar aus den dargelegten ontogenetischen Thatsachen ergeben oder
mit, diesen in unmittelbarem Zusammenhänge stehen. Auch die histogenetischen Vorgänge werden
nur in dem Maasse berücksichtigt werden, als sie im Stande sind, das Verständniss der morphologischen
Befunde zu fördern.
Während sich bisher unsere Kenntniss von der Ontogenie des Gebisses auf die Untersuchung
einzelner weniger und meist unabhängig von einander untersuchter Thierformen stützte,
liegt meiner Arbeit das Bestreben zu Grunde, durch zusammenhängende Untersuchungen einer
grössern Formenreihe eine Uebersicht über die Entwicklungsmodi zu gewinnen, Unwesentlich-:
keiten zu eliminiren und so wo möglich eine Basis zu schaffen, von der aus wir mit Aussicht
auf Erfolg weiter arbeiten können.
Diesem ersten wird ein zweiter Theil folgen, zu welchem die Vorarbeiten theilweise schon,
abgeschlossen sind. In diesem werden, unter steter Berücksichtigung und Benutzung der ontogenetischen
Ergebnisse das — f e r t ig e Milchgebiss, sein Verhalten zum Ersatzgebiss bei möglichst
i) Vergleiche dag Verzeichniss der citirten Litteratur am Schlüsse dieses Theiles.
vielen lebenden und ausgestorbenen, Repräsentanten einzelner geeigneter Säugethierordnungen
dargelegt werden, um dann aus diesen Befunden Einsicht in die Umgestaltungsgesetze des Zahnsystems
immer weiterer und weiterer Formenkreise zu gewinnen und schliesslich unter kritischer
Berücksichtigung der Gesammtorganisation die gewonnenen Resultate genealogisch zu verwerthen.
Die in diesem ersten Theile niedergelegten Untersuchungen sind an lü c k e n lo s e n
S c h n i t t s e r i e n von folgenden 28 Thierarten gewonnen:
Insectivora: E r i n a c e u s e u ro p a e u s ,
E r i c u lu s s e to su s ,
S o re x v u lg a r is ,
C ro s s o p u s fo d ie n s ,
T a lp a e u ro p a e a ,
S c a lo p s a q u a t i c u s ,_
C o n d y lu r a c r is t a t a .
Carnivora: F e lis d om e stic a ,
C a n is f am ilia r is ,
P h o c a g ro e n la n d ic a .
Chiroptera: P h y llo s tom a h a s ta tum ,
D e sm o d u s ru fu s ,
V e sp e ru g o s e ro tin u s ,
C y n o n y c te r is a e g y p tia c a .
Marsupialia: D id e lp h y s m a r s u p ia lis ,
M y rm e coM u s f a s c ia tu s ,
.P e ram e le s n a s ü ta ,
T rie .h ö s u ru s v u lp in u s ,
P h a s e o l a r c tu s e in e re u s,
M a c ro p u s u a la b a tu s .
Edentata: T a tu s i a p eba,
h y b r id a ,
B r a d y p u s sp.,
T am an d u a tr id a c ty l.a ,
M a n is t r i c u s p i s ,
Cetacea: P h o c a e n a communis,
B a la e n o p t e r a b o r e a lis ,
Primates: Homo sa p ien s.
Wie man erkennen dürfte, sind die von mir untersuchten Formen so zahlreich und so
gewählt, dass die auf denselben basirte Untersuchung eine Uebersicht über die wichtigeren Modi-
ficationen der Entwicklung des Säugethiergebisses zu geben geeignet ist. Nagethiere und Huf-
thiere sind aus mehreren Gründen absichtlich ausgeschlossen; für Halbaffen hoffe ich später
genügendes Material, das mir bis jetzt fehlte, beschaffen zu können,
Von den meisten Tieren sind mehrere Stadien untersucht worden, wie weiter unten bei
den betreffenden Formen näher angegeben wird. Ausserdem sind Schnittserien mehrerer Stadien
v o n S ire d o n p i s c if o rm is , A n g u is f r a g i l i s , L a c e r ta v iv ip a r.a u n d Ig u a n a tu b e r -
c u la ta (IV) zur Vergleichung herangezogen worden.