Die Bewegung, welche von Tieren aktiv entweder der Atemluft oder den Riechorganen gegeben
wird, hat den Zweck, erstens zahlreichere riechende Gasteile mit dem Riechorgane in Berührung
zu bringen, zweitens aber durch wiederholte raschfolgende Berührung mit jedem einzelnen Gasteilchen
den Reizeffekt zu steigern. Es ist klar, dass der angestrebte Zweck gleich gut erreicht wird, wenn
z. B. die Fühler einer Schlupfwespe in konstanter zitternder Bewegung sind, wie wenn ein Säugetier
die Luft in seine Nase schnüffelnd einzieht.
Es giebt Insekten, denen diese beiden Möglichkeiten des Luftwechsels fehlen, indem ihre Riechorgane
nur geringer aktiver Bewegung fähig sind (Musciden, Lepidopteren). Man wird erwarten dürfen,
dass diese Tiere im Ruhestande nicht fein riechen. Das Experiment bestätigt die Vermutung, gleichwohl
können diese Tiere im F lu g e ein äusserst scharfes Riechvermögen besitzen; die rasche Vorwärtsbewegung
ersetzt dann schon einigermassen die aktive Bewegung der Fühler. Besonders wichtig
wird es auch sein, dass das ganze Tier, und mit ihm die Fühler, während des Fluges nicht ruhig
dahin schweben, sondern wenigstens bei den Insekten mit schnellem Flügelschlage, in steter vibrierender
Bewegung sich befinden, welche dasselbe leistet, wie das aktive Vibrieren der Ichneumonidenfühler.
Aus dem Gesagten geht wohl zur Genüge hervor, dass, wenn Experimente die Lokalisation des
Riechvermögens getrennt vom Atmungsorgane nahelegen, der Mangel aktiver Luftzufuhr durch die
Atmung jedenfalls kein Grund zum Zweifel an der Richtigkeit dieses Resultates ist.
Man hat weiterhin behauptet, in te g r ie r e n d e r B e s ta n d te il e in e s R ie c h o rg a n e s
s e i e in e b e fe u c h te te S ch le im h au t, d eren D rü s e n s e k re t b e so n d e re E igen sch a ften
h a b e n m ü ss e , (z.B. Wolff’s Riechschleimdrüse der Biene). Diese von anthropomorphisierender
Tendenz eingegebene Behauptung ist durchaus willkürlich und nicht zutreffend. Wir haben eine viel
zu geringe Kenntnis von den beim Riechen und Schmecken sich abspielenden Vorgängen, um solche
Erklärungsversuche in anderer als in hypothetischer Form aufzustellen. Man kann die Wirkungsweise
der Riechstoffe durch eine Hypothese zu erklären suchen, muss aber dann die Hypothese den That-
sachen anpassen, und nicht umgekehrt die Thatsachen läugnen, die nicht zur Hypothese stimmen;
und Thatsachen sind es, die P e r r i s u. A. schon lange festgestellt haben: Insekten riechen eben auch
ohne Schleimhaut.
In ähnlicher Weise, wie man Riechen und Atmung in Zusammenhang brachte, aber vielleicht
mit mehr Berechtigung, betrachtete man den Geschmackssinn als an den Eingang des Nahrungskanals,
den Mund geknüpft. Die teleologische Auffassung der Bedeutung sowohl des Schmeck- wie des
Riechvermögens erfreut sich einer besonderen Popularität, und zwar wird der teleologische Begriff
dabei etwas plump angefasst. Man hat diese Anschauungsweise etwa in den Satz zusammen gefasst:
der Geruchssinn ist der Wächter des Respirationsapparates, der Geschmack der Wächter des Darmkanals.
Diese Auffassung ist eine ganz einseitige und desshalb unzureichende. Sie lässt wichtige
Funktionen der beiden Sinne ganz ausser Acht. Nicht einmal die Funktionen der menschlichen chemischen
Sinne charakterisiert sie genügend. Es ist überhaupt zu beachten, dass es eine vom teleologischen
Standpunkte ausgehende Definition der einzelnen Thätigkeiten des Riech- und Schmeck-
vermögens nicht in allgemeiner Fassung geben kann, sondern dass sie für jede Tiergattung anders
lauten müsste. Was man über den Zweck des chemischen Sinnes im allgemeinen sagen kann, ist in der
obenstehenden Definition desselben ausgesprochen (pg. 49). Was darüber hinausgeht, gilt nicht mehr
allgemein für alle Tiere.
Die Bedeutung des Riechorganes als Schutzmittel für den Respirationstraktus ist bekanntlich
eine der nebensächlichsten und zweifelhaftesten. Weder ist Zusammenwirken mit der Atmung für das
Riechen notwendig, wie wir sahen, noch ist die Atmung auf den Schutz des Riechorganes angewiesen.
Richtiger ist es, dass das Schmeckvermögen bei der Nahrungsaufnahme von Wert ist. Neuerdings
aber, wo man auch Schmeckvermögen an anderen Stellen als am Munde kennt, ist auch die Beziehung
zwischen Nahrungsaufnahme und Geschmackssinn nicht mehr ausreichend, um diesen Teil des chemischen
Sinnes gegen den ändern, den Geruch, abzugrenzen.
Nachdem so auch der Versuch fehlgeschlagen, aus dem Zweck oder der Aufgabe der beiden
Teile des chemischen Sinnes eine Definition derselben herzuleiten, welche geeignet wäre, eine scharfe
Abgrenzung beider zu gestatten, wie wir sie brauchen, bleibt noch ein Gesichtspunkt zu berücksichtigen.
Der Auffassung mancher Physiologen wird es entsprechen, wenn man sagt: Geruchs- und Geschmackssinn
sind dadurch absolut scharf geschieden, dass ihre Sinnesapparate verschiedene spezifische Energien
besitzen, dass die von beiden Sinnen vermittelten Empfindungen verschieden sind.
Ich kann dem nicht zustimmen. Indem ich zunächst davon absehe, dass ich die spezifische
Verschiedenheit der Geruchs- und Geschmacksempfindungen beim Menschen nicht anerkenne (worauf
ich sogleich zurückkommen werde), ist zu betonen, dass wir, indem wir jene Unterscheidung der beiden
Sinne als die massgebende ansehen, die Möglichkeit aus der Hand geben, vergleichende Untersuchungen
über Geruch und Geschmack bei Tieren anzustellen: Wir könnten ja nie sagen, ob im einzelnen Falle
das Tier eine Geschmacks- oder Geruchsempfindung gehabt hat.
Nach den einleitenden Bemerkungen über die Unterscheidung der Sinne überhaupt erscheint es mir
zweckmässig und notwendig, dasselbe Prinzip, nach dem die Sinnesthätigkeiten in vier Primitivsinne getrennt
wurden, auch zur Unterscheidung der beiden Unterabteilungen des chemischen Sinnes zu verwenden.
Geruch und Geschmack gehören insofern zusammen, als sie beide durch chemische Sinnesreize in
Thätigkeit gesetzt werden: Sie bilden somit zusammen den chemischen Sinn oder die chemischen Sinne.
Das Unterscheidungsprinzip zwischen den beiden Teilen muss nun wieder die Re iz form sein,
denn - - und hiermit komme'ich auf meine oben ausgesprochene Behauptung zurück — sp e z ifisch
durch d ie E m p f in d u n g sq u a litä t g e tre n n t sind die b e id e n S in n e s th ä tig k e ite n
des R ie c h e n s und Schmeckens nicht.
Ich will nicht so sehr darauf Wert legen, dass nach meinem subjektiven Urteil die ausgeprägten
Geruchsempfindungen den Geschmacksempfindungen weit eher vergleichbar sind, als jeder anderen
Gattung von Sinnesempfindungen. Am wichtigsten scheint mir vielmehr folgende Thatsache, die allgemein
bekannt ist: Eine grosse Zahl derjenigen Eindrücke, die für gewöhnlich als Geschmacksempfindungen
aufgefasst und bezeichnet werden, werden in Wirklichkeit durch den Geruch perzipiert.
Aber selbst demjenigen, welcher dieser Thatsache vollständig sich bewusst ist, ist es nicht möglich,
in dem Wesen dieser sogenannten aromatischen Geschmacksarten einen durchgreifenden Unterschied
gegenüber den wirklichen Gesckmackseindrücken ausfindig zu machen. Man mag es sich so klar
machen, wie man will, dass man Vanille nicht schmeckt, sondern riecht: sowie man sie im Munde hat
und sie als solche erkennt, glaubt man sie zu schmecken und nicht zu riechen. Es kommt ein weiterer
Umstand hinzu: Die meisten Menschen leben ruhig im Glauben, sie schmecken diese Stoffe, das
Organ der Wahrnehmung für sie befinde sich im Munde. Die Empfindung wird also ganz falsch
lokalisiert. Auch auf die Natur der Empfindung ist diese falsche Lokalisation von Einfluss, wie
folgende Beobachtung zeigt, die ich an mir mache, die aber auch für andere zutreffen wird. Folgende
drei Versuche gehören zusammen: