Ch i r o p t e r a .
Die in der älteren Literatur über Milchzähne und Zabnwecbsel bei einzelnen Fledermäusen
vorkommenden Angaben habe ich in einer früheren Abhandlung (I) ausführlich besprochen. Eine
vollständigere Kenntniss vom Milchgebiss hatte man nur bei vier Arten, als ich (I, II) 1876
und 1878 die Milchzähne von 30 Arten, 20 verschiedenen Gattungen angehörig, beschrieb und
ihr Verhalten zum bleibenden Gebiss feststellte. Ich konnte- nachweisen, dass bei Fledermäusen
mit stark reduzirter Zahuanzahl im bleibenden Gebiss, die ursprünglichere, grössere Anzahl sich
im Milchgebiss erhalten hat. Ferner ergab sich aus diesen Untersuchungen die bemerkenswerthe
Thatsache, dass, während bei der überwiegenden Mehrzahl der übrigen Säugethiere der allgemeine
Charakter der „Milchzähne“ bei den Ersatzzähnen wiederkehrt, dies bei den Chiropteren nicht
der Fall ist. D a s p e r s i s t i r e n d e G eb is s i s t n äm lic h b e i d en l e t z t e r e n g u t a u s g
e b ild e t u n d zw a r a u s g e p r ä g t h e te r o d o n t, w ä h r e n d d a s „M ilc h g eb iss“ aus
m e h r o d e r w e n ig e r rü c k g e b ild e te n C om p o n en ten b e s t e h t u n d sic h e n ts c h ie d e n
dem h om o d o n te n S ta d ium n ä h e r t. Meine damalige Auffassung, dass es sich bei dem
annähernd homodonten Charakter des Milchgebisses der Chiroptera um etwas Primitives handelt,
habe ich bereits früher (III pag. 530, Note 1) zurückgenommen; dies ist hier ebensowenig
wie bei den ändern, bisher bekannten homodonten Säugethieren der F a ll1). Eine Reduction in
der Ausbildung der „Milchzähne“ bei den Fledermäusen ist unverkennbar; bei einigen werden
besagte Zähne bereits vor der Geburt resorbirt. Die „Milchzähne“ würden bei den Fledermäusen
jedenfalls zu Grunde gegangen sein, wenn sie sich nicht einer anderen, den Zähnen ursprünglich
fremden Funktion angepasst hätten: d a s Ju n g e h ä l t sic h m i t t e l s t d e r s e lb e n an d e r
Z itz e d e r M u tte r fe s t, wenn d ie s e u m h e r f l a t t e r t , eine Funktion, die selbstredend von
wesentlicher Bedeutung ist. Zu einem solchen Gebrauche eignen sich nämlich die „Milchzähne“
mit ihren scharfen, lingualwärts gekrümmten Spitzen sehr gut, wie schon T omes für die von ihm
beobachteten Schneide- und Eckmilchzähne bei Desmodus, sowie später D obson (II) für alle Chiroptera
angenommen haben. Es l i e g t a lso h i e r e in e r j e n e r in t e r e s s a n t e n F ä l l e v o r, wo
e in O rg a n d u r c h F u n k tio n sw e c h s e l u n d d u r c h e in e d u rc h d ie s e n b e d in g te
A n p a s su n g sic h vom v ö l l ig e n -U n te rg a n g e r e t t e t . Auf diese durchaus verschiedenartige
Funktion der beiden Dentitionen ist auch die hier besonders stark ausgeprägte Unabhängigkeit
derselben von einander zurückzuführen, welche unter anderem darin einen prägnanten Ausdruck
findet, dass die Anzahl der Backenzähne in der ersten Dentition — abgesehen von einer
Gruppe — constant § beträgt, während die Anzahl der Prämolaren in der zweiten Dentition
x) Betreffs dieses Punktes vergleiche die Ausführungen in III pag. 537—539.
sich zwischen § und | bewegt. Diese beiden Milchbackenzähne entsprechen stets dem 2. und 3.
Prämolaren. Da nun, wie vergleichend-anatomische und embryologische Untersuchungen lehrten,
bei Reduction der Präraolarenreihe oft der 2. Prämolar zuerst verschwindet (so dass bei Formen
mit zwei Prämolaren z. B. Vesperugo die Prämolarenformel 4Hr ist), kann der erste Milchbackenzahn
ohne Nachfolger im persistirenden Gebiss sein (vergleiche unten).
Auf Schnittserien ist die Zahnentwicklung innerhalb dieser Ordnung zuerst von S chwink
und zwar bei einer nicht, näher bestimmten Art untersucht worden. S. beschreibt die allgemeinen
Beziehungen zwischen Zähnen erster und zweiter Dentition,, ohne auf specielle, für die Chiroptera
charakteristische Verhältnisse einzugehen. Er bestätigt die bereits Von früheren Untersuchern
gemachte Beobachtung, dass die Zähne der zweiten Dentition besonders zeitig gebildet
werden.
Ich habe schon früher (IV) die Resultate meiner Untersuchungen an Schnittserien von
JPhyllostoma Jiastaüm, Desmodus rufus, Vesperugo serotinus und Gynonycteris aegyptiaca veröffentlicht.
Die folgende Darstellung ist wesentlich eine durch Figuren verdeutlichte Wiedergabe dieser Arbeit.
Phyllostoma hastatum.
Nach den vergleichend-anatomischen (I, II) und embryologischen Befunden zu urtheilen
erhält die Zahnformel folgendes Aussehen:
1. 2. 3. 1. 2. 3.
1. 2. 3.
M
I1. 1*
2. 3.
1. 1. .3. ‘) . W M 2. 3.
sind:
Stadium A: Länge vom Scheitel zur Schwanzwurzel 29 Mm.
„ B: , „ 44 „
Stadium A.
Zunächst hebe ich die ausserordentlich zeitige Ausbildung sämmtlicher Zähne beider
Dentitionen hervor. Obgleich das Thier bei seiner Geburt fast doppelt so gross als der vorliegende
Embryo ist, ist bei dem letzteren nichtsdestoweniger das Gebiss so weit entwickelt,
dass an den Milchzähnen die Schmelzpulpa entweder stark reduzirt oder schon gänzlich verschwunden
ist, und bei mehreren bleibenden Zähnen bereits Hartgebilde entwickelt sind. .
Die Sohmelzleiste ist in beiden Kiefern sehr dick, geht cüütmuirlicli durch aie ganze
Kieferlänge und hat stellenweise noch ihren Zusammenhang mit dem Mundhöhlenepithel bewahrt.
Unterkiefer. Bei allen Milchzähnen haben sich Hartgebilde entwickelt, aber nur bei C d
ist die Schmelzpulpa schon verschwunden. Von den bleibenden Zähnen stehen J 1, J 2 auf der
|H l > i e Prämolaronformel macht nur Anspruch darauf, die Homologien innerhalb der Chiropterenordnun'g ans-
zudräcken. Vergleiche betreffs dieser Homologisirungen meine frähern Arbeiten I nnd H.