5. Vergleich der Augen von pelagischen und auf dem Grunde lebenden
Tiefseecrustaceen.
„Tantum pictoribus atque poctis, quibns quaelibet
fingendi potestas, antecellit natura polydaedala.“
0. F. M ü lle r , Entomostraea, 1785 p. Ü9.
"' Bau und Leistung eines Organes verhalten sich wie die Glieder einer Gleichung, welche
beide nur eine aequivalente Aenderung zulassen, wenn sie Giltigkeit behalten soll. Der direkt
umlbrmendo Einfluss veränderter Existenzbedingungen, wie ihn L am a rc h als treibendes Motiv
für die Artumwandlung in Anspruch nahm, lässt sieh denn auch an wenigen Organsystemen in
ähnlich instruktiver Weise veranschaulichen und dem Verständnis-näher bringen , als an . den
Sehorganen. Man hat bei derartigen Betrachtungen bisher allerdings mehr die negative Seite, .
nämlich die Rückbildung der Augen; betont, während in den-vorhergehenden Mittheilungen der
Versuch unternommen wurde, Angenformen zu schildern und in ihrer Anpassung an die Existenzbedingungen
dem Verständniss näher zu bringen, welche in positivem Sinne zu den feinsten und
gleichzeitig anch monströsesten: Sehorganen gehören, welche ans dem ThierreiU^hkannt wurden.
Das Auge von Styheheiron mastigophomm, welches ein Sechstel der Korperlängc erreicht, und dis:,
umfänglichen Phronimidenaugen dürften an relativer Grösse unter den lebenden Crusljaceen nicht
übertroffen werden. Unter den fossilen sind es einige Trilobiten, welche durch den: Um lang ihrer
Augen imponiren und ähnliche relative Dimensionen erkennen lassen.
; a. Die Augen der pelagischen Tiefseeemstaeeen.
Bevor wir nun die Erage erörtern, inwieweit die Augen der auf dem Me'eresboden lebenden
Tiefseecrustaceen Umformungen eingingen, welche wiederum nur durch die Anpassung an
die Existenzbedingungen:' ihre Erklärung finden, sei es gestattet, kurz das Ergebniss der bisherigen
Betrachtungen über die Angen pelagischer Tiefseeformen zusammenzufassen.
Als Grundform des Facettenanges der Arthropoden betrachten wir ein Kugelauge, dessen
Facettenglieder von einem idealen Mittelpunkt radiär ausstrahlen und annähernd von gleicher
Länge sind. Die Fäeettenglieder werden in der Höhe der Krystallkegel von einem Irispigmente,
in der Umgebung der Rhabdome von einem Retinapigmente umscheidet. Ein derartiges Kugel-
ange kommt den pelagischen Oberflächenformen zu, während diejenigen Arten, welche entweder
ausschliesslich oder doch wenigstens vorwiegend in dunklen Regionen schweben, eine bemerkens-
werthe Abweichung von der Kugelform des Auges aufweisen, die bei den verschiedenartigsten
Ordnungen in eonvergenter "Weise zum Ausdruck gelangt. Die nach oben resp. schräg nELch,
vorne gerichteten Facettenglieder beginnen sich zu verlängern, indem" %ie entweder continuirlich
in die verkürzten Glieder übergehen oder als ein gesondertes „Frontange“ von dem „Seitenauge“
sich abgliedern. Bei weitergehender Anpassung, an dasijaghen in der Dunkelheit macht sieh eine
Pigmentarmuth geltend, indem entweder das Irispigment (retinopigmentäre Augen) oder das
Retinapigment (iridopigmentäre Augen) schwindet. Während anfänglich noch das Frontauge
dem Seitenauge gegenüber in den Hintergrund tr itt, so kehrt sich später das Verhältniss um,
indem das Frontauge an Umfang zunimmt und das Seitenauge derart überflügelt, dass schliesslich
überhaupt nur noch das Fröntauge persistirt (Arachnomysisjm In negativem Sinne tritt bei auffällig
wenigen pelagischen Crustaceen eine Verkümmerung des Auges durch Anpassung an den
Aufenthalt in der Tiefe ein (Sciniden, Mimonectiden, Halocypriden)||$ Der Grund zu der relativ
seltenen Verkümmerung der Augen hei pelagischen Organismen mag wohl wesentlich darin liegen,
dass alle Arten — auch die blinden ^ gelegentlich in belichtete Regionen, ja selbst bis an die
Oberfläche gerathen.
Wir haben nun an der Hand der neueren Untersuchungen über die Tiefenverbreitung
pelagischer Organismen den Nachweis zu führen versucht, dass der Umbildung der Augen die
Lebensweise^! d. h. der Aufenthalt in mehr oder minder beträchtlichen Tiefen — parallel läuft.
Die mit reichlich pigmentirten Kugelaugen ausgestatteten Arten sind Oberflächenformen, während
die Anpassung an den Tiefenaufenthalt in sich steigerndem Maasse Pigmentmangel verbunden
mit monströser Ausbildung des Frontauges bedingt.
Gleichzeitig gelang es durch eine Erörterung der verwandtschaftlichen Beziehungen der
Schizöpoden, die sich auf den G-esammtbau des Organismus bezog, darzuthun, dass die pelagischen
Oberflächenformen primitivere Charaktere wahren, als die an den Tiefenaufenthalt angepassten
Arten. Die Umbildung der Augen erweist sich demgemäss nur als ein Glied in einer Kette von
Aenderungen, die im Laufe der phyletischen Entwicklung eintraten, und die schön mehrfach
geäusserte Ansicht, dass die Besiedelung der tieferen Wasserschichten von der Oberfläche aus
erfolgte, erhält durch diese Ableitungen eine neue Stütze.
Als ein wesentliches Ergebniss dieser Betrachtungen darf ich demgemäss den Nachweis
erachten, dass die Gestaltung des Auges und die Vertheilung des Pigmentes einen getreuen Spiegel
für die biologische Eigenart pelagischer Organismen abgeben. Wer aus dem temporären Erscheinen
pelagischer Tiefenformen an der Oberfläche den Schluss ziehen wollte, dass es sich um
Tagesformen handelt, würde ebenso fehl greifen, wie jener, der nächtlich lebende Insekten und
Wirbelthiere als solche nicht will gelten lassen, weil sie gelegentlich auch bei Tage sich umhertummeln.
Manche Arten sind so selten, dass nur ein besonderer Zufall sie in die Schliessnetze
gerathen lässt; wer da im Zweifel ist, ob es sich um Bewohner der Oberfläche oder grösserer
Tiefen handelt, kann durch die Untersuchung der Augenstruktur in vielen Fällen bündigen Aufschluss
erhalten. Zudem lehren die leider erst recht spärlich ausgeführten Schliessnetzfänge,
dass pelagische Organismen in vertikaler Richtung oft einen weiten Verbreitungsbezirk beherrschen.
Immerhin scheinen die mediterranen Formen insofern vor den atlantischen einen Vortheil voraus
zu haben, als im Mittelmeere die Temperatur bis in die grössten Tiefen nicht unter J 3 0 C. sinkt,
während im freien Ocean die rasche Erniedrigung der Temperatur dem Vordringen mancher Arten
in grössere Tiefen eine Grenze setzt.
Der physiologische Werth der Verlängerung der Facettenglieder beruht, wie die Untersuchungen
von E x n e r lehren, darauf, dass ein Superpositionsbild entsteht, welches vor dem
Appositionsbild der Tagesformen den Vortheil grösserer Lichtstärke voraus hat. Da zudem bei
Organismen, welche ihr ganzes Leben in dunklen Regionen zubringen, Pigmentwanderungen zum
B ib lio th e c a Zoologien. Heft 19. 8 2