lieh. Noch früher hatten L eydig (185) und H au s e r (132) für die Geruchsorgane, Will (330)
für die Geschmacksorgane durchbohrte Chitindecke gefordert und angenommen.
F o re l (106) ist der erste, der die Überlegungen, welche jene Autoren zu ihren Behauptungen
geführt hatten, mit Bestimmtheit als irrtümlich zurückwies. Ich selbst habe, wie ich schon früher
(216 pg. 24) ausgeführt habe, weder die aprioristischen Beweisgründe jener Autoren anerkennen können,
noch jemals einen Anhaltspunkt für die thatsiichliche Existenz von Löchern in der Chitindecke finden
können, wohl aber manches, was dagegen spricht. Und in zahlreichen Fällen habe ich unter dem
Mikroskop mit Bestimmtheit die verschliessende Membran sehen können.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zurück zu den Fühlern des Maikäfers. Als 4.) habe
ich eine Form von Sinnesorganen zu erwähnen, die mir auf zahlreichen Schnitten nur ganz vereinzelt
begegnet ist, und eben durch diese Seltenheit ein gewisses Interesse beansprucht. Es ist ein typischer
Grubenkegel, welcher sich von den gekrümmten Grubenhaaren merklich unterscheidet. Er erhebt sich
nicht auf einer flachen Kuppel wie diese, sondern der Boden der Grube geht allmählich in den Kegel
über (Fig. 106 d). Das Chitin ist am Grubenboden ziemlich dick, am Kegel selbst dünn. An der
Übergangszelle zwischen beiden zeigt sich eine ringförmige Zone durch das Hämatoxylin intensiv
gefärbt, wie dies bei manchen anderen Kegeln der Fall ist, vergl. z. B. Sirex Fig. 109, Cryptus
Fig. 114, 115., Vespa Fig. 110, Polistes Fig. 111. Die Bedeutung eines solchen stark färbbaren
Ringes ist noch ganz dunkel, ebenso warum er bei einzelnen Geruchskegeln vorkommt, bei anderen
(z. B. bei einzelnen Schmetterlingen) fehlt.
Diese Organform scheint bei Melölontha bis jetzt nicht beobachtet gewesen zu sein; R uland
spricht allerdings von geraden und gekrümmten Kegeln, scheint aber diese Form nicht gesehen zu
haben, da er sich sonst nicht mit den krummen Grubenhaaren zusammengeworfen hätte.
Was die Deutung aller dieser Organe beim Maikäfer angeht, so kann man wegen der erheblichen
Verschiedenheiten bezweifeln, ob sie alle derselben Funktion dienen. Die Kuppeln (a) und die
seltenen Grubenkegel (d) entsprechen den Bedingungen, welche man an ein Riechorgan der Insekten
zu stellen sich gewöhnt hat, völlig. Bei den Schüsseln und Grubenhaaren kann man eher im Zweifel
sein, namentlich, da es nicht feststeht, dass die Haare hohl sind. Gehörsfunktion glaube ich bei allen
Formen ausschliessen zu können. Die Schüsseln dürften wohl in der Funktion sich nicht weit von
den Kuppeln entfernen, da sich morphologisch Übergänge zwischen ihnen finden. Die Kuppeln erinnern
stark an die „Porenplatten“ (oder „Spalten“) mancher Hymenopteren, bes. der Schlupf- und
Gallwespen. Sie jedoch mit diesen funktionell zu identifizieren, macht Schwierigkeiten, da es nicht
abzusehen ist, wie der Maikäfer, der durchaus kein Zeichen von feinem Riechvermögen giebtj zu so
zahlreichen Riechorganen kommen sollte *). H au s e r schätzt sie beim 3* auf 39 000, beim $ auf 35000
an jedem Fühler. Den Verwandten des Maikäfers, Necrophorus-, Geotrupes, Getonia, welche offenbar
ein entwickelteres Riechvermögen haben, fehlen die Kuppeln gänzlich, dafür besitzen diese zahlreiche
Haare und Kegel. Ich würde nun durchaus keine Schwierigkeit darin sehen, wenn sich Gründe ergeben
sollten, beim Maikäfer die Kuppeln, bei ändern Lamellicorniern Kegel, bei dritten Haare als
Riechwerkzeuge zu bezeichnen. Selbst die Annahme scheint mir nicht gezwungen, dass bei einem
und demselben Tiere, dem Maikäfer, so verschiedene Organe, wie die Kuppeln, Schüsseln, Haare und
Kegel, dem gleichen Sinne, dem Gerüche, zugeteilt würden. Man könnte, wie dies auch vom R a th
*) Dem Ausspruche von H. J. Kolb (Einführung in die Kenntnis der Insekten, Berlin 1893, pg. 177) möchte
ich mich nicht anschliessen, welcher lautet: „Vielleicht liegt aber gerade den Maikäfern daran, die Reinheit und Milde der
Luft zu erforschen, wenn es ihnen beliebt, bei Sonnenuntergang die Kronen der Bäume zu umschwärmen.“
(255) betont, denken, die verschiedenen Organformen teilten sich, infolge spezifischer Anpassung, in
die Perception der verschiedenen Geruchsarten. Aber dies ist wohl nicht unbedingt nötig; wenn man
die Antennalorgane, überhaupt die Hautsinnesorgane einer grösseren Reihe von Insekten durchgemustert
hat, ist man überrascht von der Fülle der Formen, unter welchen sich diese Sinnesorgane, alle zurück-
führbar auf einen Grundtypus, uns darstellen. Die Natur hat hier eine so mannigfaltige und formenreiche
Gestaltungskraft enfaltet, wie wir sie bei den entsprechenden Organen anderer Tierreihen nicht
finden. Wie monoton erscheinen die Sinnesepithelien in der Haut der Würmer, Mollusken und Echi-
nodermen, allenfalls, wenn sie hoch entwickelt sind, zu Knospen zusammengeordnet, gegen die zierlichen,
jeder Art eigentümlichen chitinisierten Nervenendorgane der Insekten. Man kann entfernt nicht daran
denken, die Verschiedenheiten in der Formgebung, welche sich hier zwischen den Sinnesorganen der
einzelnen Arten und Familien bekunden, auf Anpassung und Zweckmässigkeit für die Lebensweise
der einzelnen Art zurückzuführen. Noch vielfach im Laufe dieser Schilderung werden wir Sinnesapparaten
begegnen, die eine geradezu architektonische Ausgestaltung darbieten, ohne dass man einen
Modus ausfindig machen könnte, diese Gestaltung mechanistisch oder nach dem Zweckmässigkeitsprinzip
zu erklären. Schon unter dem bisher Beschriebenen giebt es vielfach Beispiele für dies Spielen
der Natur mit der Form der Sinneswerkzeuge in der Klasse der Insekten. Wer wird z. B. daran
denken, die zierlich modellierten Becherhaare der Dytiscus-Larve (s. o. pg. 85) könnten diesem Tiere
ein Übergewicht über andere im Kampfe ums Dasein geben, weil jene schlichte, glatte Haare ohne
solche Verzierungen besitzen. An geschlechtliche Auswahl ist hier bei der Larve auch nicht zu denken.
Ähnliche Fälle werden im folgenden noch mehrfach sich bemerklich machen.
Gerade auch die unter Nro. 4) aufgeführten, so ganz spärlichen Grubenkegel des Maikäfers
dürften hieher gehören. Ich glaube nicht, dass man in diesen so vereinzelten Exemplaren jener Form
die Vermittler einer eigenartigen Sinnesempfindung sehen darf, dass also eino spezifische Verschiedenheit
zwischen den Grubenkegeln einerseits und den Grubenhaaren und Kuppeln andererseits besteht. Eher
möchte ich darin eine Abirrung in der Entwicklung jener Organe, vielleicht ein atavistisches Zurückoder
Hinüberschlagen auf die Organe anderer Insekten sehen, welche mit dem Maikäfer phylogenetisch
Zusammenhängen. Das Beispiel steht nicht vereinzelt. In Fig. 10 meiner Arbeit über „die niederen
Sinne der Insekten“ habe ich neben die gewöhnliche Form der Sinneskegel von Polistes eine andere
gestellt, welche ich bei diesem Tiere, auf vielen Schnitten durch die Fühler, nur ein einzigesmal gesehen
habe. Bei den Tastzäpfchen am Ende der Dytiscus-Taster wies ich schon darauf hin, dass
zuweilen einzelne derselben zu viel grösseren, derberen Kegeln auswachsen können, welche die Funktion
der übrigen eher stören als befördern. In Fig. 10 und 11 habe ich zwei Sinnesorgane neben einander
gestellt, welche bei einem Exemplare von Dytiscus als entsprechende Gebilde auf den beiden Tastern
standen und morphologisch durchaus verschieden sind. Fig. 11 ist jedenfalls eine Abirrungsbildung
Eine solche Abirrung in der Organbildung wird um so leichter in einer Tierreihe Vorkommen
können, je grösser der Formenreichtum ist, welchen diese Reihe in der Gestaltung eines bestimmten
Organsystems aufweist.