h e rv o r ru f t,“ ist auf die Sinnesentwicklung ohne weiteres anzuwenden. Die Veränderlichkeit oder
wenn man will, der Veränderungstrieb der Organismen wie ihrer einzelnen Organe und Organsysteme
bedarf erst eines äusseren Anstosses, der die Richtung und Abänderung vorzeichnet. Für den Sinnesapparat
geben diesen Anstoss die äusseren Reize, deren Art und Zahl wieder durch die Lebensverhältnisse
des Tieres bestimmt ist. Für das Gedeihen und Bestehen des Organismus wie des einzelnen
Organes ist Thätigkeit ein unbedingtes Erfordernis, und diese setzt ihrerseits vorhergegangene Reizung
voraus. Ohne Reiz kann das Leben auf die Dauer nicht bestehen, und Sinnesorgane, welche von
keinen Reizen getroffen werden, verschwinden. Solche dagegen, welche genügend stark in Anspruch
genommen werden, erhalten sich, werden besser ernährt, und nehmen damit an Erregbarkeit und
Energie der Thätigkeit zu. Dasselbe gilt aber auch für die einzelnen Funktionen eines Organes;
wenn ein solches deren mehrere in der Anlage besitzt, andauernd aber nur eine oder zwei dieser
Funktionen in Anspruch genommen werden, verschwindet allmählich ganz oder fast ganz die Fähigkeit
noch andere Funktionen ausser jenen auszuüben. Jene aber werden vorzüglich ausgebildet. So
werden aus der ursprünglichen Zelle, die Reize aufnehmen, Reize leiten, sich kontrahieren, secernieren,
sich fortbewegen, Stoffe aufnehmen und zerlegen konnte, schliesslich durch Übung und „Anpassung«
Zellen, welehe manche dieser Eigenschaften fast ganz verloren haben, in anderen aber es bis zu einer
hohen Vollkommenheit gebracht haben. Die Eigenschaft der Kontraktilität beispielsweise, in der
Anlage überall vorhanden, nahm bei einzelnen der Zellen allmählich zu, und diese wurden zu richtigen
contractilen Zellen, ehe sie noch äusserlich die Charaktere etwa einer komplizierten Muskelfasser
zeigten, wie wir sie an den höchstentwickelten contractilen Zellen kennen. Die Funktionsänderung
war somit ihrem äusserlich sichtbaren Merkmal, der Gestaltveränderung, um einen erheblichen
Schritt voraus.
Diese Verhältnisse können nun einfach auch auf die Sinnesäpparato übertragen werden. Die
Anpassung an bestimmte Thätigkeiten, an Aufnahme und Leitung bestimmter Reizarten geschieht
schon, ehe wir sie an äusseren Merkmalen erkennen können, und sie ist cs, welche die letzteren erst
herbeiführt. Demnach kann schon eine Mehrheit von Funktionen, hier also von Empfindungen, auftreten,
ehe noch äusserlich die Sonderung der einzelnen Apparate erfolgt. Dieses Durchgangsstadium repräsentieren
eben die Wechselsinnesorgan'e, welche Empfindlichkeit und ünterscheidungsgabe für mehrerlei
Reizarten besitzen. Geht man von den mittleren Gliedern der Tierreihe abwärts, zu den niedrigeren
Formen, so findet man eine immer allgemeinere Empfindlichkeit gegen alle Reizarten bei geringer
Unterscheidungsfähigkeit in einem Sinnesorgane vereinigt; geht man nach oben zu den höheren Vertretern
der Tierreihe, so ist hier die Unterscheidungsfähigkeit für die einzelnen Reize und Empfindungen
gesteigert, indem sich bestimmte Sinnesorgane der einzelnen Sinnesthätigkeiten angenommen
haben. Damit, dass die Sinneserregungen in von einander getrennten und verschiedenen Apparaten
sich abspielen, erhalten sie, d. h. die ihnen entsprechenden Empfindungen, wahrscheinlich ein charakteristischeres
Gepräge, als bei denjenigen Tieren, wo sich noch in einem und demselben Organe die
Vorgänge verschiedener Sinneserregungen abspielen. Je grösser die Zahl der Sinnesthätigkeiten ist,
für welche ein Sinnesorgan in Anspruch genommen wird, um so mehr werden sich die Grenzen der
den einzelnen Erregungen entsprechenden Empfindungen verwischen. Es werden sich alle Übergänge
finden vom Universalsinnesorgan der Protisten, Gasträaden und niederster mit Nerven versehener Metazoen,
wo nur eine ganz geringe Zahl von psychischen Funktionen möglich ist, zum höchsten Wechselsinnesorgane,
wie wir es bei den Insekten (vielleicht auch vielen oder allen Wirbeltieren?) vorkommend
finden, und welches nur noch zweien Sinnen als Organ dient, dabei aber die genaue Untersohadung
e rlau b t» ) die stattfindende Erregung im gegebenen Falle dem Gebiete des einen oder
des anderen Sinnes zufalle. Diese Organe sind die unmittelbare Vorstufe der spezifischen Sinnes-
organe.
Es erübrigt nun noch die Berücksichtigung eines Bedenkens, das sich der Aufstellung des
Wechselsinnesorganes: entgegenstellen » n n te : Es kann fraglich erscheinen, ob die einzelnen Teile
eines Sinnesapparates, SinneBzelle, Leitungsnerv und zugehöriger Centralapparat zur Ausübung mehrerer
Arten von Thätigkeiten befähigt sein können, und ob sie nicht die Annahme einer konstanten Funktion
verlangen. Wir sahen oben, dass der gesamte Apparat, welcher ein spezifisches Sinnesorgan bildet,
zweifeliosÄnstante Funktion hat, dass es aber zur Erklärung der Konstanz (welche sich als spezifische
Energie des Sinnesapparates ausdrüokt) hinreicht anzunehmen, dass nur ein einziger der den
Sinnesapparat zusammensetzenden Bestandteile konstante Funktion h a b f i Die spezifische Energie vieler
Smnesapparate; die empirisch festgestellt ist, bringt also keineswegs die Forderung mit sich, dass etwa
der Herr selbst, das Leitungsorgan, eine spezifische Energie besitze. Es ist sogar Behr wahrscheinlich,
dass nur einer der Teile des Sinnesapparates, entweder das centrale oder das periphere Endorgan, —
upd ich glaube das letztere®!sauf jede Gattung von wirksamem Eeize mit einer %ekimmten,'ihr
spezifischen Reaktion antwortet. Das periphere Nervenendorgan, die Sinneszelle, hat die Aufgabe, den
von aussen auf sie treffenden Reiz in einen Vorgang anderer Art umzuformen, welcher als Nervenreiz
fungiert. Nicht der zugeführte Reiz trifft den Nerven, sondern ein Reiz, welcher Folge einer
Thätigkeit der gereizten Sinneszellen ist. W i ||s nun zweifellos ist, dass Zellen, auf verschiedene
Weise gereizt, in verschiedene Arten von Thätigkeit geraten können, so gilt dies auch für die Sinneszelle.
. Die Hauptschwierigkeit liegt aber in der Thätigkeit des Nerven. Kann ein Nerv qualitativ
verschiedene Arten von Erregung leiten? Diese Frage kann heute weder in entscheidender Weise mit
ja nöchihgf nein beantwortet werden. Wohl glaubte man eine Zeitlang, die Entscheidung in positivem
Sinne beigebracht zu haben, als man die Möglichkeit konstatiert hatte, motorische und sensible
Nerven über’s Kreuz zu verheilen und Sie darnach funktionieren sah. Ja selbst jetzt findet man, auffallend
genug, jene bekannten Versuche von P a u l B e rt, P h ilip p e a u x und Vulp ian , als Beweis
für das doppelsinnige Leitungsvermögen der Nerven angeführt (z. B. bei W u n d t 1. c. Seite 218 Anmerkung),
nachdem es doch zweifellos geworden ist, dass die Verheilung von Nervendurchtrennungen
überhaupt, so auch in jenen angeführten Fällen, nicht durch primäre Vereinigung beider Teilstücke
erfolgt, sondern dass die Fasern vom centralen Stumpfe neu auswachsen.
Wichtiger als diese somit nicht mehr beweiskräftigen Versuche scheint mir die Überlegung,
dass m den Nervenfasern ja nichts anderes als ein lang ausgewachsener Fortsatz einer Nervenzelle
zu sehen ist,, dass sie demnach die Eigenschaften eines jeden Zellleibes so gut haben kann, wie jede
gewöhnliche Zeile. Im Begriff der Zelle liegt nicht die Spezialisierung für eine bestimmte Funktion;
eine Zelle kann Bich spezialisieren, sie muss es aber nicht. Thut sie es, so ist es Folge einer langdauernden,
durch ausser ihr selbst liegende Gründe bestimmten Gewöhnung und Übung in einer einzigen
Funktion. Trat eine solche Gewöhnung gar nicht ein, oder wurde die Zelle an die Ausübung
von zwei oder mehreren gleichzeitig oder wechselsweise eintretenden Thätigkeiten gewöhnt, so war
eben der Erfolg dem entsprechend, die Zelle spezialisierte sich nicht, oder sie beschränkte sich
auf wenige (zwei oder mehr) Funktionen. Das alles gilt für den Nerven wie für jede Zelle. Haben
die Nerven eine spezifische Funktion (oder Energie), so ist dies jedenfalls kein ursprünglicher, primärer
Bibliotheca Zoologica. Heft 18. g