Ein anderesmal hatte ein Dytiscus eine kleine Menge einer anderen Käsesorte gefressen; bald
darauf geriet er in eine Art Raserei, fuhr unter rascher Rotation um die Körperlängsaxe im Wasser
umher, erholte sich indessen wieder vollständig.
Welches ist nun das Verhalten eines Wasserkäfers gegen seine gewöhnliche Nahrung?
Setzt man einen Dytiscus mit einem anderen, nicht zu grossen Wassertiere zusammen in ein
Gefäss mit Wasser, so kann man häufig die Tiere stundenlang im selben Raume beisammen sehen,
ohne dass ein Angriff erfolgt. Namentlich ist dies der Fall, wenn der Käfer nicht durch Erschütterung
beim Einsetzen seines Wohnungsgenossen gestört und in Erregungszustand gesetzt wurde, und wenn
das eingesetzte Tier sich meist ruhig verhält, wie dies z. B. eine Bombinator-Larve thut. Eine solche
kann dicht vor dem Kopfe des Käfers umherschwimmen oder kann ihm mit der Pincette dicht vorgehalten
werden, ohne dass er sich regt. Wird sie ihm jedoch bis zur Berührung der Taster genähert;
oder schwimmt der Käfer selbst umher und berührt dabei zufällig das Tier mit seinen vorstehenden
Tastern, so wird er sicher sofort darauf aufmerksam. Er sucht es jetzt in seine Gewalt zu bekommen,
was ihm gerade bei dem genannten Tiere (Bombinator-Larve) recht schwer zu werden pflegt. Ist er
nun einmal auf der Jagd, wobei er seine Erregung durch lebhafte Bewegung der Fühler und Taster
verrät, so genügt eine Bewegung des verfolgten Tieres, um ihn aufmerksam zu machen. Sitzt jenes
aber ruhig da, so kann der gierige Räuber wenige Millimeter neben demselben vorbeistreichen, ohne
die Gegenwart der gesuchten Beute zu erkennen.
Ganz ebenso ist es, wenn man ihm ein Stück rohes Fleisch oder Regenwurm ins Wasser
geworfen hat und dieses auf dem Boden des Gefässes liegt; besonders leicht bleibt ihm Nahrung der
letztgenannten Art verborgen, wenn sie schon längere Zeit im Wasser gelegen hat. Sie hat dann ihre
Extraktivstoffe grösstenteils schon ans Wasser abgegeben und ist nicht mehr, wie ein frisches Fleischstück,
mit einer Zone extrakthaltigen Wassers umgeben, welches die Aufmerksamkeit des Käfers zu
erregen imstande ist. Diese Eigenschaft ausgewässerten Fleisches teilen auch die meisten lebenden
Tiere, die dem Käfer zur Nahrung dienen können. Diese, z. B. auch die Unkenlarve, geben ans
Wasser, wie es scheint, wenig schmeckbare Bestandteile ab. Denn unschwer lässt es sich zeigen,
dass eine Unkenlarve, welche verwundet ist, so dass Blut und Lymphe dem Wasser in ihrer
nächsten Nähe sich beimischt, viel leichter und rascher die Aufmerksamkeit des Verfolgers auf sich
zieht, als eine unverletzte. Auch wird in deutlicherWeise die Gier des Käfers, äusserlich sichtlich
am Vibrieren der Taster, durch das diffundierende Blut gesteigert.
Doch das sind abnorme, aussergewöhnliche Zustände. In der Freiheit hat es der Käfer doch
wohl ausschliesslich mit unverletzten Tieren zu thun, die, wie wir sahen, seinen Geschmackssinn wenig
zu erregen scheinen. Seine Sinne gestatten ihm schon in der Entfernung von wenigen Millimetern
nicht mehr, die Gegenwart einer ruhenden Beute zu bemerken, vielmehr muss er diese selbst berühren,
um sie als etwas Geniessbares zu erkennen. Aber selbst Stoffe, welche dem Wasser einen reichlichen
Extrakt beimischen, wie Stücke frischen (oder auch faulen) rohen Rindfleisches bemerkt der Dytiscus
nur auf relativ kleine Entfernungen (nicht über 1 cm im Maximum). Dies ist, wie ich im allgemeinen
Teile hervorgehoben habe, nicht etwa mit Stumpfheit des Geschmackssinnes des Käfers zu erklären,
sondern ist eine ganz allgemein zu beobachtende Erscheinung bei Wassertieren, bedingt durch die
grösseren Widerstände, welche das Wasser der Ausbreitung der Reizstoffe im Vergleich zur Luft
entgegensetzt. Gerade das Verhalten der Wasserkäfer ist mir mit eine der Hauptstützen dieser
Anschauung.
Dass die Dytisciden, wenn sie einen Angriff auf ein vorgehaltenes Objekt machen, hiezu nicht
durch dessen chemische Eigenschaften allein oder vorzugsweise bestimmt werden, lässt sich noch auf
andere Weise zeigen: berührt man die Tasterspitzen eines an der Wasserfläche ruhig hängenden
Wasserkäfers mit einem Glasstabe oder einer Nadel, so wirkt die Berührung bei einem einigermassen
hungrigen Tiere gerade so, wie wenn man ihm Fleisch geboten hätte. Wie wir weiter unten sehen werden,
wirken in derselben Weise auch Lösungen, welche den Geschmackssinn in bestimmter Art erregen.
Sowie die Nadel oder der Stab die Taster berührt, greift der Käfer nach dem vorgehaltenen
Gegenstände, Taster und Fühler werden lebhaft bewegt, die Unterkiefer geöffnet, so dass die an ihnen
und der gleichzeitig hervortretenden Gaumenplatte (s. u.) befindlichen Schmeckorgane blossgelegt werden.
Sind die Greif- und Tastbewegungen als erfolglos erkannt, (indem der vorgehaltene Gegenstand
zum Anbeissen ungeeignet sich erweist, und keine Geschmackserregung hinzukommt), so tritt Beruhigung
ein, oder der Käfer taucht in die Tiefe, die tastenden Bewegungen fortsetzend.
Interessant ist das Verhalten, das man beobachtet, wenn man den Käfer nicht wie bisher
mit einem glatten Gegenstände (Glasstab) reizt, sondern einem solchen, der annähernd die Konsistenz
seiner Nahrung hat, aber geschmackslos ist. Ich verwandte dazu angefeuchtete Bällchen reinen Filtrierpapiers,
die sich bei anderen Versuchen auch leicht mit allerlei Lösungen durchtränken liessen.
Für den jetzigen Zweck wurden sie nur sorgfältig in Wasser ausgelaugt.
Der Käfer beisst sofort in die weiche Masse ein, wühlt darin mit seinen Unterkiefern, betastet
sie mit allen Tastern; kurz, benimmt sich im ersten Augenblicke, wie einem Stück Fleisch
gegenüber. Das dauert aber nur wenige Sekunden, dann wird das Stück vom Munde entfernt, zwischen
den gestreckten Vorderbeinen umgedreht, dabei noch mit den längeren Tastern betastet, und jetzt
fallen gelassen.
Dass die Käfer sich einem solchen geschmacklosen Papierbällchen gegenüber bis zum Moment
des Einschlagens der Kiefer genau so verhalten, wie bei Darreichung eines frischen Fleischstückes,
zeigt, dass sie zum Anbeissen des letzteren wenigstens nicht allein durch Geschmacksempfindungen
veranlasst werden; es müsste sonst im ersteren Falle die Reaktion zum mindesten weniger energisch
ausfallen.
Noch deutlicher wird der Beweis, wenn man das Filtrierpapier mit einem dem Tiere unangenehmen
Stoffe imprägniert, etwa mit verdünnter Essigsäure (g\j), Chloralhydrat oder Chininbisulfat
Strychninnitrat (y^j). Das d am it g e tr ä n k te P a p ie r kan n dem T ie re eb en fa lls an
S te lle e in e r N ä h rsu b s ta n z u n te rg e sc h o b e n w e rd en , es wird eb e n so e rg riffe n und
a n g e b is s e n , a b e r noch v ie l ra sch e r w ie d e r lo sg e la s s e n , als re in e s geschmackloses
P ap ie r. Es wird wie mit Abscheu mittelst der Vorderbeine fortgestossen, die Mundteile bewegen
sich lebhaft zum Zwecke der Reinigung von dem unangenehmen Stoffe. Wollte man annehmen,
der von Fleischstücken ausgehende Geschmack reize zum Anbeissen, so müsste man folgerichtig erwarten,
dass der Käfer das bittere oder saure Papier auch auf Distanz als etwas unangenehmes erkennt,
denn die erwähnten Concentrationen sind noch so stark, dass sie, auch wenn die Verteilung
der ausströmenden Lösung im Wasser stark verdünnend wirkt, immer noch an den Tieren deutliche
Äusserungen von Unlust hervorrufen müssten. Da d ie s n ic h t g e s c h ie h t, d a r f man wohl
sag en , dass bei den W a s s e rk ä fe rn (wie b e i den m e isten W a s se rin se k te n ) d e r Gesc
hm a ck e rst e in eR o lle s p ie lt, wenn das T ie r schon, durch eine Tastempfindung
zum A n b e issen v e r a n la s s t, den B issen an bezw. in den Mund b ringt.
Ein „Schmecken in die Ferne“, das andere „Riechen“ nennen werden, kommt also bei der
Art, wie die Wasserkäfer ihre Nahrung suchen, für gewöhnlich nicht in Betracht.