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Kein anderes Organsystem der Säugethiere hat in der zoologischen Literatur eine grössere
Rolle gespielt, ist öfter geschildert und gedeutet worden als das Gebiss.
Dass die zoologische S y s t em a t ik schon in ihren Anfängen dieses Organ für ihre
Zwecke fleissig ausgenutzt hat, dass Angaben über das Gebiss in keiner „Diagnose“ fehlen durften,
kann bei einem so leicht zugänglichen und zugleich so auffallend wechselnden Organe nicht
Wunder nehmen. Nur betreffs der Werthschätzung dbg Gebisses, ob dasselbe nur für die niederen,
oder auch für die höheren Kategorien des Systems verwerthbar sei, sind die Meinungen auseinander
gegangen. Während — um nur einige bezeichnende Beispiele anzuführen — L inné die
Gattungen fast ausschliesslich und die Ordnungen in erster Linie und hauptsächlich nach dem
Gebiss, in zweiter Linie nach der Kussbildung charakterisirte, hat Oken das Gebiss sogar zum
obersten Eintheilungsprihcip seines Systems der Säugethiere erhoben, indem er die letzteren in
zwei Hauptgruppen sonderte: „untere Haarthiere mit Zahnlücken und gleichförmigen Backenzähnen,
obere Haarthiere mit angeschlossenem Gebiss und ungleichförmigen Backenzähnen. “ Und
was, anderes als eine einseitige Ueberschätzung des Gebisses hätte wohl G iebel verleiten können,
noch so spät wie im Jahre 1855 Monotremata undEdentata zu einer den übrigen gleichwerthigen
Ordnung zu vereinigen. Auch in den modernen systematischen Arbeiten fehlen bekanntlich in
den Diagnosen;'auch der höheren Kategorien Angaben liber das Gebiss nur selten.
Naturgemäss spielt auf dem verwandten Gebiete der P a lä o n to lo g ie der Säugethiere
jetzt wie früher das Zahnsystem die erste Rolle. Wir sehen denn auch, wie der Anstoss zum
Aufbau einer „Odontographie“ vorzugsweise von den Paläontologen ausging, denen sich erst später
die eigentlichen vergleichenden Anatomen an die Seite stellten. So entstanden die zusammenfassenden
und teilweise als vergleichend-anatomisch zu bezeichnenden Darstellungen von P. Cuvier,
E. R ousseau, B lainville und Owen, unter denen zumal des letzteren „Odontography (1840—45)“
von einschneidender Bedeutung für diesen Zweig der Morphologie wurde. Owen suchte weitere
esichtspunkte zu gewinnen, wie beispielsweise schon aus seiner, übrigens ohne Anspruch auf
systematische Bedeutung aufgestellten Eintheilung der Säugethiere in „Monophyodonten“ und
„Diphyodonten“ (d. h. Säugethiere ohne und mit Zahnwechsel) hervorgeht;- in der That schien
ese den Entwicklungsverhältnissen entnommene Unterscheidung eine um so höhere Bedeutung
eanspruchen zu können, als dieselbe mit der älteren, den Gestaltungsverhältnissen entlehnten
intheilung in „Homodonten“ und „Heterodonten“ nach dem damaligen Standpunkte zusammenfieL
Aber trotz dieser Errungenschaften und trotz der werthvollen Bereicherungen, welche
sowohl die nach neueren Gesichtspunkten ausgeführten mehr allgemeinen Arbeiten von H ensel und
Bibliotheca zoologica. Heft 17. j