wie sie bei jenen einfachen Metazoen vorliegen. Ich meine das Flimmerepithel, dessen Unabhängigkeit
vom Nervensystem allgemein anerkannt ist, und in welchem sich gleichwohl in deutlich nachweisbarer
Weise Erregungen rasch fortpflanzen. Die Sache liegt ja höchst wahrscheinlich nicht etwa so, dass
das Flimmerepithel etwa ganz besonders zur Leitung von Erregungen geeignet wäre, mehr als sonstige
Epithelien: es kommt nur der jeweilige Erregungszustand an der äusserlich erkennbaren Bewegung
der Flimmerhaare besonders deutlich zur Beobachtung. G rü tz n e r hat zuerst bei Reizversuchen am
Flimmerepithel festgestellt, dass Erregung wie auch Schädigung des Flimmerepithels sich in demselben
in bestimmter Weise fortpflanzt, und zwar ganz vorzugsweise in der Richtung des wirksamen Schlages
der Flimmerhaare. Durch sinnreiche Yersuche hat sodann K r a f t den Nachweis geliefert, dass die
Weiterleitung der Erregung nicht, oder jedenfalls nicht allein durch die mechanische Reizung eines
Flimmerhaares durch den Schlag des nächstbenachbarten Haares erfolgt. Andererseits hat Verw orn.
für die aus verschmolzenen Flimmerhaaren entstandenen Schwingplättchen einiger Ctenophoren es
sehr wahrscheinlich gemacht, dass hier gerade der letztere Modus der Erregungsleitung anzunehmen
sei. Die Verhältnisse scheinen also in beiden Fällen ungleiche zu sein. In jedem Falle aber führt
uns das Flimmerepithel die Thatsache vor Augen, dass eine rasche Reizleitung von Zelle zu Zelle
möglich ist und häufig genug vorkommt. Es besteht somit keine Schwierigkeit, ebensolche Erregungsleitung
auch bei niederen nervenlosen Tieren anzunehmen, hier als die einzige überhaupt mögliche.
Wenn eine der Oberhautzellen eines einfachen nervenlosen Metazoon von einem beliebigen wirksamen
Reize getroffen wird, so ist der Erfolg immer der, dass die betreffende Zelle in Erregungszustand,
also den Zustand einer gewissen Thätigkeit gerät. Ist das Produkt oder der Erfolg dieser Thätigkeit
derart, dass er selbst wieder einen Reiz für die Nachbarzellen bildet, so pflanzt sich der Erregungszustand
auf diese fort u. s. w. In welcher Weise dieses Weitergeben der Erregung erfolgt, ist noch
sehr wenig klar. Man kann sich denken, dass die erstgereizte Zelle einen Stoff secerniert, der als
chemischer Reiz für die Nachbarzellen wirkt; oder die gereizte Zelle kann durch elektrische oder
mechanische Prozesse die übrigen in wirksamer Weise beeinflussen. Wenn ein Schwimmplättchen
einer Rippenqualle durch seinen Schlag die Bewegung des nächsten Plättchens auslöst, ist hier die
Erregungsleitung in durchsichtigster Weise durch mechanische Einflüsse bedingt. Doch ist diese Ueber-
tragungsart sicher nicht die einzig vorkommende. Ich vermute, dass in den meisten Fällen elektrische
und chemische Prozesse die Hauptrolle spielen.
Damit nun ein Reiz, welcher eine oder einige Zellen des Sinnesblattes eines einfachen Metazoon
trifft, die Bedeutung eines Sinnesreizes für das gesamte Individuum, bezw. für dessen Gesamtbewusstsein
habe, werden wir verlangen müssen, dass die Erregungsleitung im Körpergewebe des
Tieres genügend schnell und widerstandslos erfolge, damit der einwirkende Reiz eine Reaktion der
Gesamtheit des Tieres erzeugen kann, etwa eine Richtungsänderung der Schwimmbewegung u. ähnl.
Diese Fähigkeit wird bei Tieren vom Typus der Morula, Blastula und Gastrula relativ noch sehr wenig
entwickelt sein. Früh schon finden sich aber die Bedingungen zur Weiterbildung dieser Fähigkeit
(welche genau genommen mit der Sensibilität zusammenfällt).
Wir können uns vorstellen, die erste gereizte Zelle reflektiere ihre Erregung nicht auf eine
gleichartige Nachbarzelle, sondern auf eine anders geartete Zelle, welche vielleicht die Oberfläche
gar nicht mehr erreicht und so den von aussen kommenden Reizen ziemlich entzogen ist. Es
sei z. B. die erste Zelle eine Epithelzelle, die zweite, welche die erste berührt, sei eine kontractile
Zelle. Reizung der ersten Zelle würde dann eine Kontraktion der zweiten auslösen. Wieder ein
Schritt weiter ist es, wenn sich zwischen die erstgereizte und die schliesslich reagierende Zelle ein
langgestrecktes Zelläquivalent einschiebt, welches mit jenen beiden in Kontakt ist und die Erregung
von einer zur anderen Zelle überträgt Damit haben wir die Nerven. Wenn das primitive Nervcn-
element sich ganz auf die alleinige Ausübung der Reizleitungsfunktion spezialisiert hat, kann die Vollkommenheit
dieser Funktion schon eine hohe sein, die Erregung kann sich im Tierkörper mit grösser
Schnelligkeit verbreiten: hiermit ist die Verwertung eines .S im m s r e i z e s für den Gesamtorganismus bedeutend
erleichtert und der physiologische Zusammenhang der einzelnen Körperteile vervollkommnet.
Immerhin ist der Zusammenhang der Teile eines Organismus bis weit hinauf noch ein beträchtlich
loserer, als man ihn von den höheren Tieren her anzunehmen gewohnt ist. Dies gilt auch
im speziellen für Sinne und Psyche. Als ein Beispiel für diese Angabe möchte ich eine Beobachtung
anführen, die ich .schon früher gelegentlich publiziert habe (217). Ich konnte Actinien (Anemonia,
Aiptasia) einen Tentakel mit einer Schere abschneiden, ohne dass das Tier als Ganzes auf diesen
Eingriff reagierte. Selbst die nächst benachbarten Tentakel wurden nicht eingezogen. Dies ist um
so auffallender, wenn man bedenkt, dass diese Tiere keineswegs stumpfsinnig, sondern gegen schwächste
Hautreize an den' Tentakeln, wie auch gegen Erschütterung sehr empfindlich sind.
Ferner liess sich an grossen Actinien (Adamsia, Anemonia) zeigen, dass, wenn ein Gcschmacks-
reiz einen Teil des empfindlichen Tentakelkranzes traf, stets nur die direkt getroffenen Tentakel reagierten,
indem sie sich nach dem vorgehaltenen Fleiscbstiick ausstreckten. Der Reiz, den ein Tentakel
percipiert, wirkt also offenbar nicht auf das Gesamtbewusstsein des Tieres, er wird nicht für
die Gesamtheit des Tieres verwertet. Indirekt freilich kommt z. B. das Schmeckvermögen jedes
einzelnen Tentakels doch der Gesamtheit des Tieres zu gute, indem bald die eine, bald eine andere
Gruppe von Tentakeln' eine Beute erfasst, je nachdem sich diese von der einen oder der anderen
Seite nähert. So sorgen die einzelnen Tentakel abwechselnd für die Ernährung des gesamten Tieres,
ohne dass freilich ein Teil von der Thätigkeit des anderen Kenntnis hätte. Noch mancherlei andere
Beobachtungen an Aktinien haben mir die Ueberzeugung verschafft, dass diese Geschöpfe gewisser-
maassen psychisch in mehrere Komponenten zerfallen, welche nur in einem lösen Zusammenhänge
stehen. Ein Gesamtbewusstsein fehlt, und wenn man von Bewusstsein und Empfindungsvermögen bei
diesen niederen Tieren sprechen will, so kann dies.nur in dem Sinne geschehen, dass man von Bewusstsein
und Empfindung der einzelnen Teile, speziell der Tentakel, spricht.
Auf gleich niedriger psychischer Stufe, wie die Aktinien scheinen mir unter anderen auch die
gleichförmig metamer gegliederten Würmer zu stehen. Auch hier hat jedes Segment psychisch und
physiologisch einen hohen Grad von Selbstständigkeit. Selbst Ampliioxus steht hierin noch nicht
viel höher.
Die Zoophyten oder „Pflanzentiere“ leiten unsern Blick hinüber auf eine andere Klasse von
Geschöpfen, mit denen jene gewisse Berührungspunkte haben, auf die P fla n z e n , die von diesen
Betrachtungen nicht ausgeschlossen sein dürfen. Der hier in Betracht kommende Vergleichspunkt
zwischen Tier ünd Pflanze ist folgender: Die höheren Pflanzen stellen Komplexe von ausserordentlich
zahlreichen Zellen dar, aus denen sich ein oft kolossaler und sehr vollkommener Organismus gebildet hat.
Seiner sinnesphysiologischen und — wenn man den Ausdruck zulassen will — psychischen Stellung
nach steht aber dieser Organismus noch auf der Stufe der niedersten Metazoen. So viel ich weiss,
giebt es heutzutage keinen Naturforscher, der den Bäumen und sonstigen höheren Pflanzen ein Gesamtbewusstsein,
eine Psyche, und die Fähigkeit des Empfindens vom Standpunkte eines einheitlichen
Wesens zuschriebe. Wohl reagieren Pflanzen auf Verletzungen und sonstige äussere Einwirkungen,
die sie an irgend einer Stelle treffen, häufig durch Gesamtreaktion, bestehend in Saftströmung oder