Über die übrigen Käferfamilien will ich kurz hinweggehen, da sie nichts neues für unsere
Frage bieten. Ihre Sinnesorgane an den Fühlern bestehen sehr häufig in zahlreichen Haaren, daneben
blasse Kegel, in Gruben oder auf der Fläche stehend, oft auf blassen Kuppelu postiert (Fig. 107),
zuweilen eher als Haare, denn als Kegel zu bezeichnen. Der Hauptunterschied zwischen gewöhnlichen
Fühlhaaren und den Riechhaaren und Kegeln ist immer das gelbbraune Chitin der ersteren, gegenüber
dem blassen, fast glashellen der letzteren.
E x p e rim e n te geben bei Käfern sehr wechselnde Resultate in den einzelnen Familien, wie
denn auch die Ausbildung der Riechorgane eine sehr ungleiche ist, und die einzelnen Arten sich je
nach ihrer Lebensweise ungleich viel vom Geruchssinne leiten lassen. Carabiden gaben mir, wieden
früheren Untersuchern, widersprechende Resultate; sie lassen sich, wie alle echten Raubinsekten, wenig
vom Geruchssinne leiten. Die chemische Reizbarkeit ist auf Fühler und Taster fast gleich verteilt.
S ta p h y lin id e n haben feines Riechvermögen, ich fand es, wie H au s e r, auf den Fühler lokalisiert.
Curcu lio n id en sind sehr empfindlich gegen Gerüche, Fühler und Taster scheinen sich in die Funktion
zu teilen. Yon den L o n g ic o rn ie rn haben die auf Blumen häufig gefundenen Arten, wie
Stranyalia, Toxotus einen gut entwickelten Geruchssinn, der in Fühlern und Tastern sitzt. Andere wie
Astynomus aedilis und Lamia textor scheinen ganz vorzugsweise mit den Tastern zu riechen. Auffallend
waren mir meine Ergebnisse an Astynomus, nachdem P e r r is (233) gerade von diesem Käfer berichtet
hatte, dass seine ausserordentlich langen Fühler sehr empfindlich gegen Gerüche seien. P e r r is giebt
an, dass der Käfer auf Annäherung der Reizstoffe an den Kopf nicht reagierte, während man der Fühlerspitze
nur auf 1 cm nahe zu kommen brauchte, um Bewegungen hervorzurufen. Ich fand direkt
das Gegenteil, obgleich ich meine Versuche ganz in der von P e r r is beschriebenen Weise einrichtete
und auch mannigfach abänderte. Es gelang oft, ein weites Reagensglas, dessen Boden mit Äther,
Nelkenöl oder Terpentinöl bedeckt war, so über einen Fühler zu schieben, dass dieser, ohne berührt
zu werden, zu 2/s in der riechstoffgeschwängerten Luft sich befand; trotzdem keine Spur von Reaktion
! Näherte man aber die Mündung des Gläschens von unten her dem Kopfe des Bockkäfers, so
trat sofort Unruhe ein, welche sich allerdings immer zuerst in Bewegung der Fühler äusserte.
Ich überzog einem Astynomus Kopf und Mundteile mit Paraffin, und versuchte ihn nun am
anderen Tage zu reizen. Obgleich für mechanische Reize beinahe normale Empfindlichkeit bestand,
blieben alle chemischen Reize wirkungslos! Man konnte denken, durch die Verhüllung des Kopfes
wäre das Tier so schwer geschädigt, dass sein Zustand als krankhaft zu bezeichnen wäre, wobei man
sich über das Ausbleiben der Reaktion nicht wundern dürfte. Allein sobald durch Ablösen des
Paraffins Taster und Mundteile wieder frei waren, reagierte der Käfer auf Gerüche wieder höchst lebhaft.
Also sass der Geruch sicherlich nicht in den Fühlern, sondern am Munde, wahrscheinlich in
den Tastern.
Von einigem Interesse sind die Befunde bei Lampyris splendidula. Bei dem Weibchen, welches
ich experimentell allein untersucht habe, hebt Entfernung der Fühler das Geruchsvermögen fast völlig
auf. Betrachtet man nun die Fühler unter dem Mikroskop, so ergiebt sich, dass die Sinnesorgane
an demselben viel mehr an eine Käferlarve als einen Käfer erinnern. Dies betrifft aber nicht allein
das auch im übrigen Baue larvenähnliche Weibchen, sondern auch das geflügelte Männchen. Zunächst
sind, was bei Käfern sonst nicht vorkommt, die spezifischen Endorgane (nicht aber die Fühlhaare)
auf die Fühlerspitze beschränkt; sie sind ferner, ganz wie bei Schmetterlingsraupen, von langen starren
Schutzhaaren überragt und durch dieselben gegen jede mechanische Schädigung geschützt. Ferner erinnert
die Form der einzelnen Organe, welche sich besser abbilden als beschreiben lässt, durchaus an die
Sinnesorgane der Larven. Man vergleiche die Fühlerspitze von Lampyris in Fig. 83 mit derjenigen
der Larve von Silpha (Fig. 31). Die Sinnesorgane sind in beiden Fällen glashell, und sehen äusserst
zart aus; sie haben zum Teil konische Form, zum Teil die einer Kuppel mit aufsitzendem Zapfen.
Die Taster der Käfer bedürfen einer kurzen gesonderten Besprechung. Sie lehnen sich an die
oben beschriebenen Taster von Dytiscus in mehrfacher Beziehung an. Nie fehlt auf dem Endgliede
eine Gruppe von Kegeln oder Zapfen. Die Endfläche, auf welcher sie stehen, ist meist von weicher
Beschaffenheit, dabei durchsichtig und blass, oft ganz farblos und glashell. Die Kegel, welche von
einem halben Dutzend bis zu mehreren Hunderten an Zahl (Garabus) betragen können, sind entweder
auch farblos, oder häufiger gelblich gefärbt, meist mit einer überall gleichmässigen, ziemlich dünnen,
aber doch deutlich sichtbaren Membran überzogen. Die Weichheit der Endfläche, welche die Kegel
trägt, bedingt es, dass man bei nicht ganz schonend-behandelten Präparaten sie statt convex concav,
muldenartig eingesunken findet (bei Garabus, Staphylinus, Strangalia.) Diese Weichheit der Endfläche
ist gewiss nicht ohne Bedeutung; wahrscheinlich passt die z. B. bei Carabus verhältnismässig grosse Endfläche
sich den Unebenheiten des Objektes, welches betastet wird, so leichter an, und die Kegelchen
berühren dasselbe ausgiebiger. Nicht unmöglich ist auch, dass die Endfläche aktiv, durch Muskelzug,
concav gemacht werden kann. Die Tasterspitzen sind der hauptsächlichste T a s ta p p a ra t des Tieres
und werden von diesem in ausgiebigster Weise benützt, wie ich schon oben gegen P la te a u hervor-
hob. Die Zahl der Nervenendorgane der Tasterspitze ist oft erstaunlich gross, und der in den Taster
tretende Nerv entsprechend dick. Die Sinnesorgane oberhalb des Endgliedes erhalten nur kleine unbedeutende
Ästchen, weitaus die Hauptmasse des Nerven geht zur Tasterendfläche. Ich halte diese
Endfläche auch für den Sitz des Geruches, wo ein solcher in den Tastern nachweisbar ist. Vollständig
wird das Riechvermögen der Taster wohl keinem Käfer- fehlen, ist aber, wie mir scheint, immer nur
nach der Seite des „Riechtastens“ (vergl. 216 pg. 26) oder des „odorat au contact“ (Forel) entwickelt,
d. h. es werden nur aus allernächster Nähe Gegenstände berochen, und deren Düfte können
dann relativ geringe Intensität haben, da sie auf so sehr kleine Entfernungen (oft Bruchteile eines
Millimeters) zu wirken haben. Gerade weil die Gerüche so schwach sein dürfen, ohne doch für das
Tier unwirksam zu sein, können sie sich unserem menschlichen Geruchssinne leicht entziehen, und
wir beziehen die betreffenden Wahrnehmungen, welche das Tier macht, gern auf andere Sinne als
auf den Geruch. Um auf Entfernung selbst von nur 1 cm die Riechorgane der Taster zu erregen,
müssen die Gerüche schon recht intensiv sein, so etwa, wie sie ein Tröpfchen ätherischen Öles erzeugt.
Versuche dieser Art sind natürlich, wenn kritiklos ausgeführt, wertlos für Lokalisation des
Riech Vermögens; mit welcher Vorsicht man die Resultate zu beurteilen hat, habe ich oben im allgemeinen
Teile auseinander gesetzt.
Vielleicht dienen in nicht seltenen Fällen die Taster dem G e schmackssinne ebenfalls,
doch ist dies nicht erwiesen. Dass Essigsäure etc. die Tasterspitzen reize, zähle ich nicht hieher, da
einmalige Berührung mit diesem und ähnlichen Stoffen schon die Sinnesorgane schädigen kann. Ich
habe aber regelmässig bemerkt, dass Getonia aurata beim Honiglecken andauernd das eine Tasterpaar
in den Honigtropfen eintaucht, vielleicht weil damit sich eine Geschmacksempfindung verbindet. Ebenso
macht es u. a. Staphylinus caesareus, welcher mit den Tastern im Blute seiner Beute wühlt. Sicherheit
in dieser Frage dürfte schwer zu gewinnen sein.
Ausser an den Tasterendflächen finden sich noch Sinnesorgane auf allen Tastergliedern, und
zwar entweder Haare oder massive Grubenkegel, letztere z. B. bei Necrophorus vespillo in typischer
Ausbildung und grösser Zahl.
B ib lio th e ca zoologica. Heft 18.