Stadium D.
Die Zähne haben schon eine starke Zahnbeinschicht entwickelt. Verschwunden ist jede
Spur von Schmelzepithel, Schmelzpulpa und Schmelzleiste; auch die lingualwärts von den persi-
stirendon gelegenen Sdimclzkeime sind resorbirt. Eine deutliche Epitlielsclicido ist ausgebildet.
Balaenoptera borealis.
Der grösste Tbeil des Un t e r k i e f e r s eines 70 Cm tr. langen Embryos ist an Erontal-
schnitten untersucht worden.
Die Zahnanlagen stehen auf dem glockenförmigen Stadium u n d s in d mi t t y p i s c h
a u s g e b i l d e t e r S c hme l z p u l p a v e r s e h e n , was dem V e r h a l t e n b e i P h o c a e n a
g e g e n ü b e r b eme r k e n sw e r t h ist.
Eine Schmelzleiste zwischen den Schmelzkeimen ist nicht mehr vorhanden. Neben den
letzteren hat sich die Schmelzleiste in zahlreiche unregelmässige Stränge aufgelöst, die mit Sprossen
des äussern Schmelzepithels in Verbindung stehen. Lingualwärts von mehreren der vorderen
Schmelzkeime tr itt die Schmelzleiste als deutliche, freie Knospe hervor.
Labialwärts vom ersten glockenförmigen Schmelzkeime liegt ein kappenförmiger solcher,
welcher im Zusammenhänge mit einer oberflächlichen Schmelzleiste steht. So lange nnr e in
solcher, etwas befremdender Befund vorliegt, dürfte es sich empfehlen, sich jeder Deutung
desselben zu enthalten.
Eines der wichtigsten Ergebnisse, welche der Morphologe von einer Untersuchung des
Entwicklungsganges des Zahnwalgebisses erwartet, ist selbstverständlich die Beantwortung der
Erage, welcher Dentition bei den übrigen Säugetliieren das G-ebiss dieser „Monophyodonten“
entspricht. K ükenthal (VI, pag. 472) zieht nun aus seinen ontogenetischen Untersuchungen
folgenden Schlusssatz: „Die Behauptung, dass das Gebiss der Zahnwale der ersten Dentition
angehört, lässt sich unwiderleglich durch die Thatsache beweisen, dass die zweite Dentition
ebenfalls angelegt wird, aber nur embryonal, und später verschwindet.“ G-enauer präcisirt er
das Verhalten der zweiten Dentition in seiner späteren Arbeit (II, pag. 4 2 0 ): „Die zweite
Dentition ist entweder vollkommen unterdrückt, und dann fliesst das Bildungsmaterial ihrer
Schmelzorgane — das Ende der Zahnleiste — mit der Innenwand der Zahnanlage zusammen,
oder die zweite Dentition kommt zur ersten Anlage, entwickelt sich aber nicht weiter (Beluga
leucas), oder doch nur in vereinzelten Fällen, In letzteren verschmilzt der kleinere Ersatzzahn
mehr oder minder deutlich mittle r Haüptzahnanlage (Phocaena communis).“
Wenn auch zugegeben werden muss, dass K ükenthal’s umfassende und genaue Untersuchungen
manche bedeutsame Belege für die Annahme, dass das persistirende G-ebiss der Zahnwale
der ersten Dentition der übrigen Säuger entspricht —- welcher Auffassung auch ich mich in
einer früheren Publikation (III) angeschlossen habe — gebracht haben, so lassen sich doch andererseits
gewichtige Bedenken gegen dieselbe anführen. Zunächst haben wir wieder daran zu erinnern,
dass das Vorkommen einer freien Zahnleiste mit „Knospen“ durchaus keine genügende Begründung
für eine solche Annahme abgiebt. Und zwar sollten wir gerade hier bei der Verwerthung dieser
Thatsache im obigen Sinne um so vorsichtiger sein, als man bei den schwachen Zähnen der Zahnwale
annehmen darf, dass nach Abschnürung der Schmelzkeime der funktionirenden Zahnreihe
'so viel von der Schmelzleiste übrig bleibt, dass, a u c h wenn d a s f u n k t i o n i r e n d e G-ebi
s s de r zwe i t e n D e n t i t i o n e n t s p r e c h e n s o l l t e , die Bedingungen für das Zustandekommen
einer jüngeren Zahnreihe besonders günstig sind. Und zwar ist dies bei den Zähnen
der Zahnwale ebensowohl anzunehmen wie bei Phoca und Desmodus (siehe oben pag. 68 und 79),
wo faktisch lingualwärts von den Prämolaren das tiefe Ende der Schmelzleiste eine Zahnanlage
andeutet, resp. das Zustandekommen einer dritten Dentition einleitet. Man vergleiche besonders
das Verhalten der Schmelzleiste zum ersten Prämolaren bei Desmodus, wie es in Fig. 95 dargestellt
ist, ein Bild, das die Unzulänglichkeit des besagten Criteriums zu illustriren geeignet ist.
Ferner erregt der -Umstand Bedenken, dass bei dem ältesten bekannten Walthiere Zeug-
lodon, welches jedenfalls dem Ursprungsstamme der Ordnung näher steht als die heute lebenden
Walthiere, ein typischer Zahn Wechsel nachgewiesen ist. Es ist schwer einzusehen, warum, da
beide Dentitionen ausgebildet gewesen sind, wie ja auch K ükenthal annimmt, die minderwerthige
erste und nicht die zweite, die zähere, bei den heutigen Zahnwalen persistirt.
Was die gelegentliche, von K ükenthal beschriebene Ausbildung von Zähnen lingualwärts
von den persistirenden bei Phocaena betrifft, so ist diese Erscheinung, da ich an meinen Präparaten
nichts derartiges gefunden habe, jedenfalls selten, und nicht für die KüKENTHAL’sche Annahme
entscheidend, da besagte kleine Zähne auch eine andere Deutung zulassen, nämlich
auch als zur dritten Dentition gehörig aufgefasst werden können (vergleiche oben bei Erinaceus
pag. 43 und Phoca pag. 69).
Im Zusammenhänge hiermit steht die von K ükenthal gemachte Annahme, dass die Zähne
der Bartenwalembryonen ebenfalls dem Milchgebiss der anderen Säugethiere homolog sind, da
lingualwärts von ihnen knospenförmige Schmelzkeime auftreten; einmal (Fig. 109) sah K., dass
eine solche Ersatzzahnanlage sich weiter ausbilden könne. Ferner fand K. „labialwärts von den
Zahnanlagen die constanten Anzeichen einer dieser Dentition vorausgegangenen früheren Dentition“,
die er mit den von mir beschriebenen ähnlichen Rudimenten bei Erinaceus und Diäelphys homolo-
gisirt. Was den letzten Punkt betrifft, ist daran zu erinnern, dass sowohl die von mir als Reste
einer der ersten Dentition vorangegangenen Zahnreihe bei den besagten Thieren so wie die
rudimentären Zähne dieser Dentition bei Myrmecobius, Macropus und Phascolomys vollkommen
constant eine andere Lage im Verhältniss zur ersten Dentition, resp. zur Schmelzleiste einnehmen
als die fraglichen G-ebilde bei den Bartenwalen, nämlich obe r f l ä c hl i c h von den
Zahnanlagen erster Dentition, unmittelbar unter dem Mundhöhlenepithel — was ja übrigens
auch im Hinblick auf das Verhalten der Dentitionen zu einander während der Entwicklung bei
den Reptilien von vornherein zu erwarten ist.
Ich glaube desshalb, dass wir die Frage nach der Homologisirung des Gebisses der Walthiere
bis auf weiteres als eine offene zu betrachten haben.
Schliesslich mache «ich noch auf die von den bisher bekannten Befunden abweichende Art
der Ablösung des Schmelzkeims von der Schmelzleiste bei Phocaena aufmerksam, wie dieselbe aus
einer Vergleichung der Textfiguren 15—20 erhellt.