thiere'); es erhalten sich nach Erzeugung der schwachen Prämolaren des Ersatzgebisses bei
Phoca und Desmodus stärkere, angeschwollene „Knospen“ lingualwärts von diesen Zähnen,
wodurch eine grössere Prädisposition für das Zustandekommen einer dritten Dentition als sonst
gegeben ist (vergleiche oben pag. 68, 79, Fig. 74, 94, 95). Wie directe Untersuchungen dar-
thun, können auch in der That aus diesen für den Aufbau der Prämolaren nicht verbrauchten
Theilen der Schmelzleiste ausgebildete Zähne hervorgehen (vergleiche unten). Von diesem Gesichtspunkte
aus wird uns auch die Thatsache verständlich, dass in der Pegel die Molaren keine Ersatzzähne
haben: für diese im allgemeinen durch ihre bedeutendere Grösse ausgezeichneten Zähne
wird meistens ein so grösser Theil der Schmelzleiste verbraucht, dass für die Entwicklung von
Ersatzzähnen kein genügendes Material übrig bleibt — einstweilen abgesehen von anderen mitwirkenden
Umständen. Diese Ansicht wird auch durch die Ausnahmen unterstützt: sind die
Molaren besonders schwach, so können sich Ersatzzähne ausbilden; siehe unten.
Fassen wir die obigen Darlegungen kurz zusammen: d a s dur ch die Ema nc i p a t i o n
des Schme lzke imes f r e i geword ene Schmel z l e i s t e n e n d e bi l d e t an und f ü r sich
n u r die Vor au s s e t zu ng fü r die En t s t e h u n g e i n e r Zahn a n l a g e ; je bedeutender
dieser Schmelzleistentheil ist, desto grösser ist die Prädisposition für die Bildung eines neuen
Zahnes. Und wir können hinzufügen: i s t di es es Schmelzleistenende wi r k l i c h kol ben-
oder knospe nförmig angeschwo l l en und von einem Zahn s ä ck c he n umgeben,
e r s t dann i s t diese Möglic hke i t als r e a l i s i r t zu b e t r a c h t e n , e r s t dann können
w i r von e i n e r (knospenförmigen) Schmelzkeimanlage r e d e n , e i n e r l e i ob diese An l
a g e sieh sp ä t e r we i t e r en tw i c k e l t oder nicht .
In diesem Zusammenhänge werden uns auch diejenigen Zahnanlagen verständlich, welche
sich unmittelbar unter dem Mundhöhlenepithel anlegen, so dass man keine oder nur eine äusserst kurze
Schmelzleiste oberflächlich von denselben unterscheiden kann, mit ändern Worten: Zahnanlagen,
bei denen die Schmelzleiste in ihrer ganzen Tiefe in den Schmelzkeim eingeht. Nun finden wir
aber, dass alle diese Zähne: mehrere Ante-Molaren bei Erinaceus (pag. 38), alle Ante-Molaren
bei Soricidae (pag. 48), die meisten derselben bei Didelphys (pag. 85), P 1 bei Canis und
Phoca (pag. 72), sich an einem Theile der Schmelzleiste entwickeln, wo in der Regel kein Zahnwechsel
stattfindet. Da die Schmelzleiste an der betreffenden Stelle nur e inen Zahn zu produziren
hat, ist sie kürzer, was die abweichende Lage des Schmelzkeimes bedingt.
Meine Untersuchungen legen auch die Annahme nahe, dass das Fortdauern des Zusammenhanges
zwischen Mundhöhlenepithel und Schmelzleiste eine fortgesetzte Zeugungsfähigkeit der letzteren
bekundet: in der betreffenden Region ist die Zahnbildung noch nicht abgeschlossen. So finde
ich, dass bei Erinaceus oberflächlich von den Ante-Molaren ohne Zahnwechsel die Schmelzleiste
sich schon zu einer Periode vom Mundhöhlenepithel ablöst, wo besagte Ante-Molaren noch auf
dem kappenförmigen Schmelzkeimstadium stehen2), während oberflächlich von denjenigen Zähnen,
welche Naehfolger haben, besagter Zusammenhang bedeutend länger bewahrt bleibt. Lehrreich
ist auch das Verhalten bei Didelphys (vergleiche oben pag. 88), wo auf Stadium C die ausgiebigste
') Immerhin ist es im Hinblick auf das Verhalten des obern J 1 bei Desmodus (siehe oben pag. 79) denkbar,
dass auch andere Factoren als die Schwäche der Zähne hier eine Holle spielen.
2) Nur der obere J 3 macht eine Ausnahme.
Verbindung zwischen Mundhöhlenepithel und Schmelzleiste oberflächlich von der Anlage des P d 3,
also des „Wechselzahnes“, vorhanden ist, während auf diesem Stadium in der Region der persistirenden
Milchzähne kein oder nur ein äusserst schwacher Zusammenhang existirt. Zu Gunsten dieser
Auffassung spricht auch das Verhalten bei niederen Wirbelthieren mit länger dauernder und
reichlicher Zahnproduktion. So finde ich z. B. bei einem ziemlich grossen Exemplar von Lacerta
die starke Schmelzleiste noch überall im Zusammenhänge mit dem Mundhöhlenepithel; auch bei
Iguana habe ich (VI, pag. 797) nachweisen können, dass selbst auf späten Entwicklungsstadien
die Schmelzleiste nicht wie bei Säugethieren durchlöchert ist.
Wir halten also, wie B aume zuerst nachgewiesen und die Mehrzahl der späteren Forscher
bestätigt hat, daran fest, dass die „Ersatzzähne“ nicht Abkömmlinge der „Milchzähne“ sind,
sondern dass beide aus der gemeinsamen Schmelzleiste hervorgehen *). Wir können dieses Verhalten
näher dahin präcisiren, dass jeder jüngere Zahn sich lingual wärts von dem älteren aus
dem abgeschnürten Schmelzleistenende entwickelt.
Müssen wir also die ältere Anschauung von einem genetischen auf einer Abkömmlingschaft
beruhenden Zusammenhänge zwischen den entsprechenden Zähnen verschiedener Dentitionen, als
endgültig beseitigt betrachten, so giebt es dennoch einen Connex zwischen besagten Zähnen,
worauf ja schon die meistens ähnliche Form derselben hindeutet. Dieser Connex ist offenbar
darauf zurückzuführen, dass die einander entsprechenden Zähne der verschiedenen Dentitionen
unter gleichartigen mechanischen Einflüssen entstehen und sich entwickeln. Der Zusammenhang
zwischen dem Milch- und seinem Ersatzzahne ist also, wie dies vor bald 20 Jahren Hensel auf Grund
anatomischer Thatsachen aussprach, ein rein lokaler. Die morphol og i sche Unabhängigkeit
besagter Zähne aber erhellt besonders klar aus solchen Fällen, wo Form und Function der einzelnen
Componenten des Gebisses scharf specialisirt sind, wie uns dies in der greifbarsten Weise bei
den Raubthieren entgegen tritt. Hier entsprechen bekanntlich der Reisszahn, Mahlzahn u. s. w. im
Milch- und Ersatzgebiss nicht einander, sondern es wird z. B. im Oberkiefer der Reisszahn
des Milchgebisses durch einen permanenten Lückenzahn und der Mahlzahn des Milchgebisses durch
den Reisszahn des permanenten Gebisses ersetzt. Dieses Verhalten ist offenbar dadurch bedingt,
dass der Platz der homotypischen Zähne im jugendlichen Kiefer ein anderer als im älteren ist
und die Zähne somit unter verschiedenen mechanischen Einflüssen entstanden und ausgebildet
sind. Auch das verschiedenartige Gepräge, welches ein hochgradiger Funktionswechsel, verbunden
mit Reduction, dem Milchgebisse der Chiroptera aufgedrückt hat, kann nur bei einer
vollständigen morphologischen Unabhängigkeit, wie ich sie oben (pag. 74, 81—82) nachgewiesen
habe, möglich sein.
Da die jüngere Zahnanlage nicht aus der älteren, sondern direct aus der Schmelzleiste
hervorgeht, so ist es kaum zu erwarten, dass sich die erstere immer und nothwendigerweise genau
gerade lingualwärts von dem Schmelzkeim des entsprechenden älteren Zahnes anlegt und entwickelt,
sie kann vielmehr ebensowohl schief lingualwärts oder im nächsten Zwischenräume entstehen,
wie dies in Folge Raummangels besonders dann leicht eintrifft, wenn die Mitglieder der
älteren Dentition bei der Anlage der jüngern bereits eine gewisse Grösse erlangt haben. Beispiele
T) Wie ich oben (pag. 23) nachgewiesen habe, beruht dagegen Baume’s Behauptung, dass die „Ersatzzähne“
sich aus den noch übrig gebliebenen Resten der Schmelzleiste nahe unter dem „Zahnfleisch“ entwickeln, auf einer Verwechslung
der wirklich entwicklungsfähigen Anlage mit einem nicht zur Entwicklung kommenden Schmelzkeim.