Lokomotion befähigt, sie haben die Eigenschaft „amöboider“ Bewegung, sie reagieren endlich prompt
auf Reiz. Die sofortige Anhäufung der Leukocyten an einer verletzten oder sonstwie alterierten
Blutgefässwand, ihr Zusammenströmen um einen in den Körper eingedrungenen irgendwie reizenden
Gegenstand legen hiefür klares Zeugnis ab. Auch die leicht zu machende Beobachtung, dass die
Leukocyten kleine, ins Blut gelangende Partikelchen in sich aufnehmen, „auffressen“, gehört hielier.
Denn selbstverständlich ist dies nicht ein zufälliges Eindringen der Partikclchen in den Zellleib, sondern
es liegt hier eine aktive Aufnahme von fester Substanz vor. Damit ist aber auch schon die Fähigkeit
der amöboiden Leukocyten erwiesen, die Berührung mit festen Bestandteilen wahrzunchmen, ja vielleicht
sogar gewisse Eigenschaften derselben zu unterscheiden (da im allgemeinen nur leblose Gegenstände
von den Leukocyten gefressen werden). Die Leukocyten haben also Sinnesvermögen in ausgeprägtestem
Maasse.')
Wir sind hiermit noch lange nicht am Ende mit den Elementen des Menschen- und Tier-
Körpers, welchen Sinnesvermögen und Universalsinnesorgane zuzusprechen wären. Genau genommen
gilt dies von jeder lebenden Zelle überhaupt, nur in sehr ungleichem Maasse. Für die einzelne Zelle
des menschlichen Körpers ist eben dieser Körper eine Art eigener abgeschlossener Welt, in welcher
sich ihr Leben abspielt und in der die einzelnen Zellen sich an die Bedingungen ihres Daseins angepasst
haben, wie im grossen die ganzen Tiere an ihre Lebensverhältnisse. Die Zelle, welche im
Knorpel von massenhafter Intercellularsubstanz umlagert, jeder Ortsbewegung und jedem Verkehr mit
anderen Zellen entzogen ist, übt ihre, in der Anlage vorhandenen Fähigkeiten, zu denen auch ihre
Sinne gehören, wenig aus, und damit parallel wird eine geringe Entwicklung dieser Fähigkeiten gehen.
Die Thätigkeit einer solchen Knorpelzelle wird sich darauf beschränken, dass sie die durch die Intercellularsubstanz
ihr zuströmende Nahrung an sich zieht. Dass sie hierbei von Reizen nicht unabhängig
ist, wissen wir genau, denn wir wissen, dass eine gewisse Reizung des Knorpels und seiner Zellen
(z. B. beim Gelenkknorpel) durch häufig sich wiederholenden Druck für den Bestand dieses Gewebes
notwendig ist. Wir wissen auch, dass pathologische, z. B. entzündliche Vorgänge in der Nähe des
Knorpels die Knorpelzellen, wahrscheinlich auf chemischem Wege, erregen können, so dass dieselben
in einen Zustand veränderter Thätigkeit geraten u. s. f.
Die Knorpelzelle mit ihrer gering entwickelten, doch nicht fehlenden Sinnesthätigkeit ist in
dieser Hinsicht einer Muschel vergleichbar, die träge im Sande steckend, wenige Beziehungen zur
Aussenwelt hat. Das direkte Gegenteil sind die amöboiden Wanderzellen, mit deren freier Beweglichkeit
die sensiblen Eigenschaften wahrscheinlich gesteigert sind. Wieder andere Zellen haben ihr
Charakteristikum gerade in der hochgradigen Beeinflussbarkeit durch Reize. Für die Sinneszollen in
den Sinnesapparaten kommt der Reiz von der Aussenwelt her, für die contractilen Muskelzellen und
die Elemente, aus welchen sich die Drüsen aufbauen, ist es eigentümlich, dass sie den Reiz von
einem sich ihnen anlagernden anderen Zellteile, einer Nervenendplatte u. dergl. erhalten. Dass die
Reizbarkeit der Nerven- und Muskelzellen sich nicht auf eine Reizart beschränkt, sondern dass mechanische,
chemische, thermische, elektrische Einflüsse in ihnen die Thätigkeit, welche diesen Zellen spezifisch
ist, auszulösen vermögen, daran brauche ich hier nur zu erinnern, ohne Beweise und Beispiele
anführen zu müssen. Nicht anders ist es mit den Flimmerzellen.
‘) Vielfache Versuche haben u .a . gezeigt, dass auch der chemische Sinn bei Leukocyten wohl entwickelt ist.
Vergleiche die diesbezügliche Zusammenstellung bei 0 . H e r tw ig (134), und die Originalarbeiten von L eb e r M a s sa r t
und B o r d e t , S t e in h a u s , G a b r i t s c h e v s k y und B ü ch n e r (40).
Im Bisherigen habe ich nur von dem Universalsinnesorgan einzelliger Wesen gesprochen. Wie
ich jedoch schon erwähnte, ist dieser Ausbildungsgrad des Sinnesapparates nicht auf die Einzelzellen
beschränkt, sondern auch bei vielzelligen Wesen findet er sich noch. Ich denke hierbei nicht mehr
an die Reizbarkeit der Einzolzellen eines grösseren Organismus, welche wir als nahezu selbständige
Wesen betrachten könnten, die in mehr oder weniger fester Gemeinschaft leben. Ich meine vielmehr,
wenn ich jetzt vom Universalsinnesorgane mehrzelliger Wesen rede, Sinneswerkzeuge, welche
dem Gesamtorganismus einen Eindruck von der Aussenwelt verschaffen. Hierzu ist erste Vorbedingung,
dass der Gesamtorganismus auch ein Gesamtbewusstsein habe. An dieser Stelle beginnt
sogleich eine grosso Schwierigkeit. Es ist keineswegs leicht zu sagen, ob eine Gemeinschaft der
Zellen, welche wir beobachten, nur ein Zusammenhalten zahlreicher Individuen oder einen wirklichen
Organismus darstellt. Ein Gesamtbewusstsein könnte eine derartige Zellgemeinschaft nur im letzteren
Falle besitzen. Klarheit darüber, wie eine Zellgemcinschaft aufzufassen sei, wird selbst dadurch
nicht in entscheidender Weise gegeben, dass sich beobachten lässt, wie die Zellen derselben zeitweise
isoliert als Einzelwesen herum schwimmen, zu anderen Zeiten sich zusammenschaaren, wie
solches bei Wesen, die auf der Grenze zwischen Tier und Pflanze stehen, nicht selten der Fall ist.
Man kann nicht wissen, ob nicht die zusammengehäuften Zellen in eine nähere Beziehung zu einander
treten, als dies durch die blosse Berührung geschieht. *) In gleicher Lage sind wir bei den
frühesten Entwicklungsformen der Metazoen, welche in Form von Morula, Blastula und Gastrula
umherschwärmen. Es fehlt hier gänzlich an Beobachtungen darüber, ob die einzelnen Zellen solcher
Wesen in näherem physiologischen Zusammenhang stehen. Solche sind auch begreiflicherweise schwer
anzustellen, um so mehr, da jene Formen nur kurze Zeit bestehende Durchgangsstadien sind.
Die Gastrulaform mit ihrer Scheidung in zwei Keimblätter darf wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit
schon für die meisten Fälle als ein Organismus insoforn betrachtet werden, als Reizung eines
Teiles der Zellen auch für die übrigen Zellen von Einfluss sein wird. Die Ausbildung einer bestimmten
Bewegungsrichtung, die Existenz eines Urmundes deuten darauf hin. Namentlich die Ga-
strulaähnlichen Dauerformen, die Gasträaden H ä c k e 1 ’ s , welche zum Teil im Besitze von Tentakeln
am Mundrande sind, dürfen als wohlcharakterisierte Tierindividuell gelten.
Innerhalb des Stammes der Zoophyten vollzieht sich der höchst wichtige Uebergang von dem
losen Zusammenhang einfach ancinandergereihter Epithelzellen (wie man ihn bei vielen Larven und
dauernd bei manchen Spongien findet) zur Ausbildung eines die einzelnen Körperelemente verbindenden
Nervensystems, und damit muss auch das sinnesphysiologische Verhalten eine wesentliche
Aenderung erfahren. Es ist schon von vornherein die Annahme unwahrscheinlich, dass bei nerven-
josen freischwärmenden Larven, etwa von der Form der Blastula oder Gastrula oder bei gastrula-
ähnlichen Dauerformen (Gasträaden) die Leitung einer Sinneserregung von einem Punkte zum anderen
ganz fehle, auch wenn noch die eigentlichen Erregungsleiter, die Nerven, nicht existieren. Versuche
über etwaige Erregungsleitung bei derartigen einfachen Metazoen sind aber, wie erwähnt, nicht angestellt
und überhaupt sehr schwer anstellbar. Da ist es nun ein grösser Vorteil, dass wir bei zahlreichen
höheren Tieren ein Gewebe kennen, das in gewisser Beziehung ähnliche Verhältnisse aufweist,
*) Man vergleiche 0 . und R. Hertwig 136 pg. 169 ff. Genannte Forscher nehmen an, dass ursprünglich getrennte
Zellen nachträglich durch Verschmelzung von Protoplasmafortsätzen Verbindungen eingehen können.