Tiefseefauna nicht zu ziehen ist, so würden gerade die Mysideen ein lehrreiches Beispiel für den
allmählichen TJebergang der Küstenformen in die Tiefseearten abgeben. Die Gattungen Mysis L a tr.,
Leptomysis G. 0. S a r s , Podopsis v. Ben., Chiromysis G. 0. S a r s , Heicromysis Sm ith , Gästro-
sarms Norm., Anchialus K r o y e r und Ghlamidoplcon Ortm. scheinen die oberflächlichen Küsten-
regionen zu bevorzugen, während die Vertreter der Gattungen Hemimysis G. 0. S a r s , Psmdomma
G. 0. S a r s , Erythrops G. 0. S a r s , Parerythrops G. 0. S a r s , Mysidäs G. 0. S a r s und Mysidella
G. 0. S a r s bereits in grössere Tiefen hinabreichen und zu den ächten Tiefseegattungen Boreomysis
G. 0. S a r s , Petalophthdhmis 'Willem.-Suhm und Amblyops G. 0. S a r s überleiten*); Die Anpassungen
an den Tiefenaufenthalt prägen sich häufig in der Gestaltung der Augen aus, welche
bald ungewöhnlich vergrössert (Boreomysis megalops) bald in dorsoventraler Richtung abgeplattet
(Erythrops), bald verkleinert (Boreomysis mierops), bald endlich vollständig rückgebildet werden
(MysideUa PypMops). Unter den blinden Formen nehmen einige Gattungen durch die originelle Art der
noch erhaltenen Augen resp. Augenstiele besonderes Interesse in Anspruch. Bei Pseudomma
verschmelzen die Augenstiele zu einer grossen unpaaren Platte; bei Petalophthalmus sind sie
getrennt und löifelförmig gestaltet, während bei Boreomysis scyphops die Augen wie ein Becher
eingedrückt erscheinen. Wenn auch bei Tiefenformell die Augen normal erhalten resp. vergrössert
sind, so wird doch niemals die Kugelform zu Gunsten einer Gliederung in Front- und Seitenauge
aufgegeben. Die letztere Augenform ist ein ausschliesslicher Charakterzug für die pelagischen
Tiefsee-Mysideen, deren Betrachtung uns hier vorwiegend beschäftigen soll.
Als eine typische, hochpelagisehe Mysidee, welche an der Oberfläche aller tropischen und
subtropischen Oceame verbreitet ist, tr itt uns zunächst die Gattung Siriella D a n a entgegen.
Ihr Cephalothorakalschild ist relativ kurz und deokt nicht die hinteren Brustsegmente; die Augen
wahren die Kugelform und die Antennensehuppe, am -Aussenrand nicht beborstet, .überragt bei
allen Arten weit den Schaft der äusseren Fühler. . In besonderem Maasse charakteristisch für
die Gattung ist die Ausbildung scharfer Sichel-Klauen an dem Endgliede der Brustfüsse und die
Entwicklung von spiral eingerollten Kiemenanhängen an den fünf ersten Pleopodenpaaren des
Männchens. Das Telson ist spatelförmig ausgezogen und an dem Rande dicht bedörnt. Die sekundären
Geschlechtscharaktere sind so auffällig ausgeprägt, dass erst Clans (1868) die von J. V. Thompson
beschriebene Gattung Cynthia als das geschlechtsreife Männchen von Siriella erkannte.
Abgesehen von den bei allen männlichen Mysideen charakteristisch umgestalteten inneren Antennen
unterscheidet sieh nämlich das Männchen durch die wohl entwickelten mit Kiemensohläuehan veri)
in seiner Beschreibung der vom „Albatross“ erbeuteten Schizopoden fahrt O r tm a n n (1894 p. 106) eine
Boreomysis californica als pelagisch lebende Mysidee an. Es wäre dies ein auffälliges Abweichen von der Norm, insofern
alle bisher bekannt gewordenen 7 Arten von Boreomysis anf dem Grunde der Tiefsee gefunden wnrden. Da indessen
O rtm ann selbst zugibt, dass ihm die Zugehörigkeit der Art zu der Gattung Boreomysis zweifelhaft ist, so kann auf seine
Angaben kein Wert gelegt werden.
Ebenso ist es mir zweifelhaft, ob die Vertreter der Gattung Anchialus K ro y . den pelagischen Mysideen zuge-
recbnet werden können. In ihrem Ban entfernt sie sich jedenfalls weit von den hier zu schildernden pelagischen Gattungen
und nur die Kürze der Schuppe stimmt mit dem Verhalten einiger noch zu erwähnender Formen überein. Bei kritischer
Sichtung der Angaben über die Verbreitung ergibt sich zudem, dass eigentlich nur von einer Art, A. typicus K ro y . das
Vorkommen an der Oberfläche des Oceans von K r o y e r (1861 p. 53) und G. 0 . S a r s (1885 p. 197) betont wird. Die
übrigen Arten {A. angustus, und agilis) wurden von G. 0. S a r s (1876 79) und der Challenger-Expedition im flachen
Wasser auf Sandboden in direkter Nähe der Küste erbeutet, während von dem bei Celebes gefischten A. pusiUus G. 0 . S a r s
zuverlässige Angaben über den Fundort fehlen. Jedenfalls können wir im Hinblick auf die noch recht dürftigen Notizen
über die geographische Verbreitung die Gattung Anchialus nicht ohne Weiteres den pelagischen Mysideen znrechnen.
sehenen 5 Pleopodenpaare von den Weibchen mit ihren rudimentären Pleopoden. Außerdem
bilden die letzteren drei Paare von Brutlamellen zu einem die Eier bergenden Marsupium aus.
Es fällt nun nicht leicht, anzugeben, inwieweit Siriella primitive Charaktere wahrt und
der Grundform der Mysideen nahe steht. Bei der unvollständigen Kenntniss der Entwicklungsgeschichte
und der noch lückenhafteren über die innere Organisation ist überhaupt eine phylogenetische
Ableitung der Mysideen ausserordentlich erschwert. Wir können nur im Allgemeinen
sagen, dass Gattungen mit mangelhaft entwickelten oder rudimentär gewordenen Extremitäten
sich ebenso weit von den Stammformen entfernt haben, wie solche mit monströs ausgcbildeten
Körperanhängen. Da wir weiterhin annehmen dürfen, dass gleichartig entwickelte Extremitätengruppen
auf ein ursprüngliches Verhalten hindeuten, so sei erwähnt, dass die Tiefseegattungen
Petalophthalmus und Boreomysis in der Ausbildung von Brutlamellen an den sieben Thorakal-
fusspaaren vielleicht einen altorthümlichen Zug wahren. Diese finden wir bei Siriella auf 3 (bei
Mysis und anderen Gattungen auf 2) Paare reäueirt. Da nun weiterhin die Pleopodenpaare des
Männchens wohl entwickelt sind (nur das erste zeigt den Endopodit verkürzt) so liegen in dieser
Hinsicht hei Siriella offenbar ursprünglichere Verhältnisse vor, als hei Mysis und den ihr nahe
stehenden Gattungen Hemimysis, Podopsis und Chlamydopleon mit zwei resp. drei verkümmerten
Pleopodenpaaren. Das Auftreten scharfer Klauen an den Brustfüssen ist jedenfalls auf Rechnung
der pelagischen Lebensweise zu setzen. Während nämlich die Grundformen sich vorwiegend von
Aas nähren, so führen die pelagischen eine räuberische Lebensweise, bei der ihnen die Klaue als
einhauende und das Festhalten der gefassten Beute erleichternde Waffe zu Statten kommt.
Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Gliederung des Metacarpus (Propodus) in mehrere
Abschnitte offenbar secundär aus dem einfachen Verhalten sich ableitet. In dieser Hinsicht wahrt
Siriella mit ihrem ungegliederten oder nur gelegentlich in 2 Abschnitte zerfallenen Metacarpus
wiederum einfachere Verhältnisse, als Mysis mit ihrem 6 gliedrigen Metacarpus.
Wir kommen also durch Analyse der äusseren Körperanhänge (die, um Weitschweifigkeiten
zu vermeiden, nur auf die meist zur Unterscheidung der Gattungen benutzten Charaktere
beschränkt wurde) zum Schluss, dass Siriella jedenfalls ursprünglichere Charaktere wahrt, als Mysis
und die meisten Flachwassermysideen. Mit Genngthuung kann ich hervorheben, dass diese Auffassung
eine wesentliche Stütze durch die Beobachtungen von C lau s über das Herz der Mysideen
erhält. Er schreibt (1884 p. 6): „Ganz auffallend langgestreckt ist das Herz bei Siriella, welches
nahezu durch den ganzen Mittelleib bis in das letzte Segment desselben verläuft und somit einen
ursprünglichen, an das Phyllopodenherz erinnernden Typus bekundet. Weit kürzer und besonders
in seinem hinteren Abschnitt zusammengezogen erscheint das Herz von Mysis.“ • Vielleicht deutet
auch die geringere Zahl von Leberschläuchen bei Siriella (drei resp. vier Paare) auf ein primitiveres
Verhalten, als bei Mysis (mit fünf Paaren) hin.
Ziemlich ungezwungen lässt sich nun von Siriella die zweite pelagische Mysideengattung,
nämlich Euchaetomera G. 0. S a r s ableiten. Die wesentlichen Charakterzüge von Siriella, nämlich
die vollzählige Entwicklung der Pleopoden und die Ausbildung von Klauen an den Brustfüssen
bleiben gewahrt. Dagegen kommen die Kiemenanhänge der männlichen Pleopoden in Wegfall
und beginnt das Telson sich auffällig zu verkürzen. Es ist mit zwei langen Endborsten ausge-
stattet, welche übrigens bei Siriella bereits angedeutet sind (Claus 1868 Taf. XVIII Fig. 16 u. ll).
Andererseits strecken sich in Anpassung an die flottirende Lebensweise bedeutend die Endopoditen
der Brustfüsse, indem gleichzeitig die auch Siriella zukommenden Dornen der einzelnen Glieder