bilität in der Anzahl der Backenzähne der Pinnipedier die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich
gezogen. Dieselbe offenbart sich sowohl im Fehlen einzelner, als auch -— und zwar häufiger —
im Auftreten überzähliger Backenzähne entweder innerhalb der Zahnreihe oder an deren Ende.
So scheinen z. B. bei Hdlichoems im Oberkiefer sehr häufig sechs Backenzähne anstatt fünf —
bekanntlich die bei Phocidae gewöhnliche Anzahl — vorzukommen; vergleiche hierüber besonders
S ahlertz (II) und N ehring (II).
Halten wir uns zunächst an das Vorkommen von überzähligen Zähnen in n e r h a lb der
Reihe der persistirenden Backenzähne, welche Zahnvermehrung K ükenthal als die secundäre bezeichnet,
so kann nach den vorliegenden Untersuchungen diese Vermehrungsart — abgesehen von
der Theilung eines normalen Zahnes — auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen, nämlich durch
das Auftreten entweder eines mehrere sind meines Wissens nicht beobachtet worden — neuen
Prämolaren, welcher d e r s e lb e n Dentition wie die anderen (also der zweiten) angehört, oder
eines solchen, welcher einer n e u en Dentition (der dritten) zuzuzählen ist. Dagegen ist eine
Vermehrung der Zahnreihe durch retardirte Milchzähne, wie sie faetisch z. B. beim Hunde
(S ahlertz III) beobachtet worden ist, bei den Pinnipedia bisher nicht nachgewiesen worden; die
gegentheilige, von S teenstrup bei Phoca barbata gemachte Beobachtung hat sich als irrig erwiesen.
Wie oben (pag. 65) gezeigt wurde, gehört zur ersten Categorie die Zahnanlage zwischen dem
obem P 2 und 3 des Stadiums D. Dieser Zahn würde jedenfalls zusammen mit den übrigen
Prämolaren funktionirt haben. K ükenthal (III pag. 114) bringt das Erscheinen solcher überzähliger
Backenzähne mit der secundären Verlängerung der Kiefer im Zusammenhang, da „bei Fische
erhaschenden Thieren eine lange Schnauze zweckdienlicher ist.“ Es scheint mir diese Erklärung
durchaus annehmbar. Gegen den von K. angeführten vermeintlichen embryologischen Nachweis,
dass bei den Zahnwalen diese Kieferverlängerung erst im Laufe der Entwicklung eintritt, muss
ich jedoch bemerken, dass dieser Vorgang durchaus nicht den Zahnwalen eigenthümlich ist, sondern
wohl sämmtlichen Wirbelthieren gemeinsam ist.
Wie ich schon oben (pag. 65) betont, ragt beim Stadium D lingualwärts von sämmtlichen
Prämolaren das stets deutlich angeschwollene Schmelzleistenende hervor, und zwar scheint mir bei
einigen Prämolaren dieses Leistenende etwas stärker hervorzutreten und deutlicher knospenförmig
angeschwollen zu sein, als bei gleich weit entwickelten Prämolaren anderer, bisher von mir untersuchter
Säugethiere *). Die Prämolaren verhalten sich also hier ähnlich wie ihre Vorgänger, die
Milchzähne: die Schmelzleiste geht nicht völlig in ihnen auf, sondern die Zahnanlagen schnüren
sich auf einer gewissen Ausbildungsstufe von der Schmelzleiste ab, wodurch eine freie Knospe
tritt, und dass es wenigstens e i n im hohem Grade als Pinnipedia homodontes Säugethier giebt, bei dem ein sehr später
Zahnwechsel erfolgt, nämlich Tatusicc-, 2) dass bei Macrorhinus die Backenzähne wirklich als rudimentär anzusehen sind;
8) dass es mir nicht völlig verständlich ist, wie ein eintretender Zahnwechsel bei einem homodonten Säugethiere, wo doch
die Gomponenten b e i d e r Gebisse gleichartig sind, im hohem Maasse die Funktionsfähigkeit des Gebisses zu stören vermag
als bei einem heterodonten, wie z. B. bei den den Pinnipediem nächst verwandten echten Raubthieren, bei welchen bekanntlich
die Backenzähne der einen Dentition den entsprechenden der ändern durchaus nicht gleichartig sind, so dass
während einer Periode des Zahnwechsels z. B. z w e i Reisszähne in jeder Kieferhälfte gleichzeitig vorhanden sind.
*) Schon hier mag betont werden, dass bei den Prämolaren des Desmodus ein ähnliches Verhalten stattiindet
(vergleiche unten pag. 79 und Fig. 94, 95), welches offenbar durch dieselbe Ursache hervorgerufen ist: fü r d ie E r z
e u g u n g d e r s c h w a c h e n P r äm o la r e n b e i P h o c a und D e sm o d u s w ird d ie S c h m e l z l e i s t e im g e r
in g e r e n M a a s s e a l s s o n s t v e r b r a u c h t , w e s h a lb b e i d e r E m a n c ip a t io n d e s S c h m e lz k e im s d a s a b g
e s c h n ü r t e S tü c k d e r S c h m e l z l e i s t e so v i e l g r ö s s e r i s t . Ueber die allgemeine Bedeutung dieser Thatsache
vergleiche das Schlusskapitel.
entsteht. Da nun diese Knospe deutlich angeschwollen ist, so ist dieselbe durch nichts von einem
Schmelzkeim auf dem knospenförmigen Stadium zu unterscheiden. Die Verhältnisse liegen demnach
hier besonders günstig für das Zustandekommen von B a c k e n z ä h n e n e in e r d r i t t e n Dent
i t i o n 1). Und sicherlich werden sich manche der beschriebenen überzähligen Prämolaren bei
darauf hin gerichteter genauerer Prüfung als der dritten Dentition angehörige Zähne heraussteilen.
Wenigstens e in en sicheren hierher gehörigen Fall habe ich selbst bei einer Unterkieferhälfte
von Phoca vitulina constatiren können: lin g u a lw ä r t s von d e r Z a h n r e ih e s i t z t
zw is ch en P 3 u n d 4 e in v ö llig a u s g e b i ld e t e r , den g e n a n n te n P räm o la re n äh n lic
h e r Zahn. Es ist somit dieser Befund dem früher (pag. 43, Textfig. 8) bei Erinaceus mi-
cropus erwähnten an die Seite zu stellen2).
Vom allgemeinen Gesichtspunkte aus verdient das oben (pag. 65) beschriebene Verhalten
des M 1 unser Interesse: lingualwärts vom obern M 1 hat sich beim 195 Mm langen Embryo
das tiefe Ende der Schmelzleiste zu einem glockenförmigen Schmelzkeim ausgebildet , welcher
durchaus mit den vorhergehenden Anlagen der Prämolaren übereinstimmt und etwa auf demselben
Ausbildungsstadium wie P 3 steh^rja dieser „Ersatzschmelzkeim“ des M l verhält sich auch
zur Schmelzleiste ganz ebenso wie der genannte P 3, indem seine Emancipation von der Schmelzleiste
in derselben Weise eingeleitet ist wie bei diesem (Fig. 76). Es ist also auch in der
Molarregion die Möglichkeit einer dritten Dentition angedeutet. Aber dieser „Ersatzzahn“ des
M l gelangt — und das ist jedenfalls das gewöhnliche Verhalten — nicht zur vollen Reife: beim
ältern (290 Mm langen) Embryo ist er zwar noch vorhanden aber in Auflösung begriffen (Fig. 77).
Im Unterkiefer verhält sich die Schmelzleiste neben M 1 ebenfalls ganz wie bei den Milchbackenzähnen,
aber sie zeigt nur eine schwache Anschwellung am freien Ende. F a k t i s c h v e r h ä l t
sich som it d e r l e t z t e (fü n fte ) B a c k e n z a h n , w e lc h e r b is h e r s t e t s a ls d e r e in z ig
n o rm a l v o rk om m e n d e M o la r a u f g e f a s s t w o rd e n is-fe, g an z wie e in p e r s i s t i -
r e n d e r M ilc h z a h n , d e s s e n E r s a t z z a h n im L a u f e d e r o n to g e n e tis c h e n E n t w
ic k lu n g in d e r R e g e l zu G ru n d e g e h t.
Diese Thatsache berechtigt somit zu folgendem Schlussatze: M l g e h ö r t b e i Phoca
u r s p r ü n g l i c h d e r e r s t e n D e n t i t io n a n , f u n k t io n i r t a b e r zusammen m it d e r
zw e i t e n 3). Und: f a l l s d u r e h v e rg le ic h e n d - a n a tom is c h e U n te r s u c h u n g e n end-
g i l t ig f e s t g e s t e l l t w e rd e n k a n n , d a s s M 1 d e r P h o c id a e w i r k l ic h e inem Mol
a r e n d e r ü b r ig e n S ä u g e th ie r e h om o lo g i s t , wie allgemein angenommen wird, h a t
die A n n ahm e , d a s s d ie M o la re n d e r e r s te n 'und n ic h t d e r zw e ite n D e n t i t io n
a n g e h ö re n , e in e g lä n z e n d e B e s t ä t ig u n g gefunden.
K ükenthal (III pag. 106) hat zwar neben M 1 keine Ersatzzahnanlage, wohl aber ein
■ ?i| Vergleiche auch die übereinstimmende Beobachtung von Kükenthal III pag. 103.
2) Ein überzähliger Backenzahn, den SAHLERTZ (II pag. 27) bei Cystophora beschrieben hat, ist jedenfalls
ebenso zu beurteilen.
») Gegenüber dieser Auffassung könnte man allerdings eine andere geltend machen: M l ist als ein Prämolar
ohne Vorgänger zu betrachten, gehört also der zweiten Dentition an, womit dann sein „Ersatzzahn“ in die dritte Dentition
versetzt wird. Eine solche Annahme.scheint mir unhaltbar, theils und vornehmlich weil die Entwicklungsart des
M1 nicht diejenige eines Prämolaren ohne Vorgänger ist (vergleiche unten pag. 72), theils auch weil der „Ersatzzahn“
in diesem Falle die Möglichkeit einer vierten Dentition andeuten würde, welche Consequenz mindestens etwas unwahrscheinlich
ist.