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 dings  ans  den  veränderten Beziehungen  der Lainellen  zur Aussenwelt. den abweichenden Bildungs--  
 modus  zu  erfassen,  in  anderen  jedoch  liegen  die  Gründe  für  einen: solchen  nicht  so  offen  
 Tage.  Wenn  z.  B.  die Knospen  sich  an  dem Mutterthier  nach  aussen  vorwölben,  s6  erhalten  die  
 Schichten  des  Tochterindividuums  dieselbe  Bedeutung,  wie  diejenigen  des Mutterthier.es:  mütterliches  
 Ektoderm  geht  in  das  Ektoderm  des  Tochterindividuums  über,  und  dasselbe  Verhältniss  
 gilt  für  das  Entoderm  der  Mutter  und  Tochter.  Anders  aber,  wenn  vp- wie  bei  den  BryöZöön  
 —  die  Einstülpung  nach  innen  gerichtet  ist.  Die  Bedeutung  der  Schichten  kehrt  sieh.um:  das  
 Ektoderm  des  Mutterthieres  bildet  das  Entoderm  der Knospe  und  liefert  den Mitteldarm  nebst  
 dem  centralen  Nervensystem.  Nicht  ohne Weiteres  ist  es  indessen  aus  den  Lagebeziehungen  er,-  
 sichtlich,  weshalb  bei Rathkm  und Lizma  ein Abweichen, von  der Norm  erfolgt  und  das Ektoderm  
 nicht  nur das Knospenektoderm,  sondern gleichzeitig  auch  das  gesammte Knospenentoderm  liefert; 
 Man  wird  es  sicherlich  nur mit Freuden  begrüssen,  wenn  der  Embryolbgengewissenhaft  
 die  Entstehung  der  Organsysteme  aus  den  Keimblättern  zu  ermitteln "Versucht ,-  aber  man  .wird  
 im  Laufe  der  Zeit  immer  entschiedener  Einspruch  dagegen  erheben,,  dass  .die  Homögenie  zum  
 obersten  Kriterium  für. die  Homologie  der  Organe  gestempelt  wird.:  Wer  so  verfährt,  der  ge,  
 staitet  die  Vergleichende  Anatomie  zu  einer  recht  subtilen Wissenschaft  und  stellt  sie  auf  eine  
 Basis,  welche  grundverschieden  ist  von jener,  auf  der  die Begründer  der  vergleichenden Wissenschaft  
 ihr  glanzvolles  Gebäude  errichteten.  Ihnen  galten  die  relativen. Lagebeziehungen  der Organe 
 zu  den  Hart-  und Weiehtheilen  des  Körpers  als  oberstes  Kriterium.für  Herausfinden  der  
 Homologieen;  erst  späterhin  erkannte  man,  dass  die  Entwicklungsgeschichte  ein .wichtiges  Hilfsmittel  
 für  Erkenntniss  der  Homologieen  abgibt,  Die  jüngere  Generation  verfährt  ähdepsiislht  
 Hilfsmittel  wird  zum Ausschlag  gebenden  Kriterium  erhöben  und  die.  relativen  Lagebeziehungen  
 werden  secundär  gewürdigt'  ■   falls  sie  überhaupt  einer  Werthschätzung  theilhaftig  werden.  
 Sogar  in  jenen  Fällen,  wo  die Organe  aus  demselben Keimblatt  ihre Entstehung  nehmen, müssen  
 histogenetische Vorgänge  herhalten,  um  die  auf Grund  der  Lagebeziehungen  statüirte  Homologie  
 zu  bestreiten.  Man  weigert  sich,  Knochenstücke  zu  homologisiren,  weü  sie  hier  secundär,  dort  
 primär  verknöchern,  ohne  zu  bedenken,  dass  zwischen  beiden  Bildungsmoden  principielle  Unterschiede  
 nicht  obwalten.  Man  glaubt  einen  tiefen  Einblick  gethan  zu  haben ,-ywenn. man  <g#  
 secundär  entstandenen  Belegknochen  des  Schädels  als Beste  des Häütknochensysteins  den  primär  
 entstandenen gegenüberstellt, und scheut sich doch andererseits wieder,, eine derartige Betrachtungsweise  
 auf  die Wirbelsäule  und  das  Extremitätenskelett  eonsequent  auszudehnen.  Freilich  würde  
 in  letzterem  Fall  die  genannte  Auffassung  Schiffbruch  erleiden:  wir  könnten  die Wirbel" der  
 Knochenfische  nicht  jenen  der  höheren  Vertebraten  homologisiren,  weil  sie  hier  secundär.  dort  
 primär  entstehen.  Andererseits  verfährt  man  auch  wieder  insofern  inconsequent,  als  man  die  
 knorpelig angelegten Theile der Hand- und Fusswurzel bei Wasserthieren  den  primär verknöchernden  
 Stücken  der  Landthiere  homologisirt,  obwohl  die  Histogenese  in  beiden  Fällen  eine  ver-  
 schiedene  ist. 
 Gewiss  repräsentirt  die  Entwicklungsgeschichte  das  wichtigste  Hilfsmittel  für  Herausfinden  
 der  Homologieen —  aber  sie  ist  nur  ein  Hilfsmittel,  dem  in  manchen  Fällen  die  Paläontologie  
 sich  ebenbürtig  zur Seite stellt.  Denn sicherlich haben die paläontologischen Entdeckungen  
 für  die  Erkenntniss  der  Homologieen  des  Extremitätenskelettes  uns  neuerdings  mindestens  dieselben  
 Dienste  geleistet  wie  die  Ergebnisse  der  Ontogenie. 
 Wer  sich  auf  den Boden  der Descendenzlehre  stellt,  dem  sollte  endlich  ein  drittes  Hilfsmittel, 
   nämlich  die  biologische  Betrachtungsweise  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Umformung  des  
 Gleichart igen,  mindestens  ebenso  am  Herzen  liegen  wie  die  rein  morphologisch-genetische.  Man  
 redet  gern  und  viel  von den Anpassungen,  vermeidet  aber — von  allgemeinen Phrasen  abgesehen  
 —  geflissentlich,  derartige  Momente  in  die  vergleichende  Forschung  hereinzutragen. 
 Wenn —-  um  an  die  obigen  Betrachtungen  anzuknüpfen  —  in  einem  trefflichen  neueren  
 Lehrbuche der Vergleichenden Anatoinie geäussert wird:  „Es  gilt als Grundgesetz,  dass die höhere  
 oder  niedrigere  Stufe  einer  Thierform  in  umgekehrter  Proportion  steht  zu  der  Masse  des  den  
 Schädel  -des.  fertigen  Individuums  componirenden  Knorpels,“  so  lässt  sich  dieses  „Grundgesetz“  
 auch  auf  die  gesammten  Skelettheile  übertragen.  Nun  hat  aber  die  vergleichende  Betrachtung  
 doch  auch  ein  Interesse  daran,  zu  erklä ren,  auf welchem  tieferen  Grunde  eine  derartige  That-  
 sache  beruht.  Der  primordiale Knorpel  besteht  in  grösser  Ausdehnung  bei  Fischen  und  Amphibien  
 —  er  schwindet  fast  plötzlich  bis  auf kleine  Reste  bei  Reptilien  und  den  höheren Wirbel-  
 thieren.  Da  kann  es  nicht  überraschend  sein ,  dass  der  Knorpel  bei Wasserthieren  mit  den  
 ungCmein  erleichterten  Ansprüchen  an  die  Ortsbewegung  und  den  geringen  Anforderungen  an  
 die  Stützkraft  des  Skelettes  in  weiter  Ausdehnung  persistirt,  während  er  bei  den  Landthieren  
 in  ausgedehntem  Maasse  durch  Knochen  verd rängt  wird.  Aus-demselben  Gesichtspunkte  dürfte  
 es  auch  erklärlich  sein,  wenn  die  secundäre  Verknöcherung  bei  den  niederen Wirbelthieren,  die  
 primäre  hingegen  hei  den  höheren  überwiegt. 
 Die  Zeiten,  in  denen  man  biologische  Gesichtspunkte  in  die  vergleichend  anatomische  
 Betrachtung  hereintrug,  sind  freilich  längst  vorüber.  Wir  müssen  um  mehr  als  vierzig  Jahre  
 znrückgreifen,  bis  wir  in  der  „Anatomisch-Physiologischen  Uebersieht  des  Thierreichs“  von  
 B e rgm a n n   und  L e u c k a r t  auf Betrachtungen  stossen,  welche  der  jüngeren  Generation  fremd  
 geworden  sind.  Inzwischen  hat  die  Descendenzlehre  ihren  befruchtenden  Einfluss  auf  die  morphologischen  
 Disciplinen  ausgeübt,  ohne  dass  freilich  jene  anziehende  Seite  der  anatomischen Betrachtung, 
   welche  die Anpassungen  an  Lebensweise  und Existenzbedingungen  umfasst,  sonderlich  
 gefördert  worden  wäre.  Wie  fruchtbar  sie  sich  für  die  vergleichend  anatomische  Betrachtung  
 erweist,  wie  nur  die  genaueste Kenntniss  der  Biologie  im  Verein  mit  dem  physiologischen  Experimente  
 uns  eine  vollkommene  Einsicht  in  die  Eigenart  der  anatomischen  Struktur  verschafft,  
 will  ich  an  der  Hand  des  Baues  der  Facettenaugen  von  Tiefseecrustaceen  in  einem  späteren  
 Kapitel  ausführlicher  darlegen.