Die Entwicklung der Knospen von Rathkea octopunctata.
Als ich zur Untersuchung der gesetzmässig erfolgenden Knospung Manubrien von Bathlcea
octopunctata frei präparirte und dieselben nach bekannten Methoden auf hellte, stiess ich an den
jüngsten Knospenanlagen auf Bilder, welche so auffällig von allem abwichen, was bisher als Norm
für die Cölenteratenknospung galt, dass ich mich entschloss, weiter zu greifen und vermittelst
Schnittserien einen genaueren Einblick in die feineren Vorgänge zu erhalten. Ich war auf das
gleich mitzutheilende überraschende Ergebniss um so weniger vorbereitet, als die eingehenden
Angaben von Böhm (1878, p. 128—135) über die Knospung von Bathlcea ein Ab weichen von dem
gewöhnlichen Verhalten nicht erwarten liessen. Allerdings hat Böhm seine Untersuchungen
lediglich am lebenden Material angestellt, und diesem Umstande mag es wesentlich zuzuschreiben
sein, dass er gerade über den wichtigsten Punkt — nämlich über die erste Anlage der Knospe
— zu unrichtigen Vorstellungen gelangte. Ueber die Ausführung seiner Beobachtungen spricht
sich Böhm folgendermassen aus: „Da die Knospen bis zu ihrer Ablösung von der proliferirenden
Meduse fast glasartig durchsichtig, ja für die Erkennung der einzelnen Theile oft fast zu transparent
bleiben, so kann man ihre Struktur auch ohne die Anfertigung von Durchschnitten stu-
diren. Letztere würden auch bei der Kleinheit und Zartheit der Objekte und ihrer grossen
Empfindlichkeit gegen Behandlung mit Reagentien nur schwerlich genügend ausfallen und unklarer
als die optischen Durchschnitte bleiben.“
So werthvoll es mir nun auch einerseits ist, dass die Knospenentwicklung der Bathlcea
sorgfältig am lebenden Objekt verfolgt wurde und dass demgemäss eine genaue Controle der
Veränderungen ermöglicht wird, welche die Conservirung des Objektes bedingt, so glaube ich
doch andererseits darauf hinweisen zu dürfen, dass es an der Hand unserer neueren Untersuchungsmethoden
nicht schwer fällt, alle Bedenken zu beseitigen, welche Böhm im Vorstehenden
äusserte. Ich betone daher nochmals, dass die Conservirung vermittelst Chromessigsäure weder
Form noch Struktur der Knospen beeinträchtigt und dass die Kleinheit des Objektes keinen
Hinderungsgrund abgibt, instruktive Schnittserien anzufertigen. Die frei präparirten Manubrien
— gelegentlich auch die ganzen Medusen — wurden theils mit alkoholischem Carmin, theils mit
Pikrocarmin oder mit der Auerbach’sehen Mischung von Säurefuchsin und Methylgrün gefärbt
und dann in Paraffin eingebettet und geschnitten. Es fällt nicht schwer, die Objekte im Paraffinblock
vermittelst der Lupe vor dem Schneiden so genau zu orientiren, dass man auf Querschnitten
durch die Manubrien gleichzeitig die vier Knospen eines Kreises trifft, oder dass man
auf Längsschnitten zwei opponirte interradiale Knospenreihen median durchschneidet. Die Längsschnitte
durch Manubrien sind deshalb besonders instruktiv, weil die dem Beschauer zugekehrten
resp. abgewendeten Knospenreihen Querschnitte, die links und rechts gelegenen hingegen Längsschnitte
durch die einzelnen Knospen liefern. Das Studium der Knospung von Bathlcea ist weiterhin
für die Erkenntniss der frühesten Entwicklungsvorgänge insofern von besonderem Interesse
und Werthe, als wegen der im vorigen Abschnitte dargelegten gesetzmässigen Knospenanlage
sich scharf die Stelle angeben lässt, an welcher eine Knospe sich ausbilden muss. Gerade wegen
dieser durch ein Knospungsgesetz ermöglichten scharfen Orientirung über diejenigen Stellen, wo
Knospen sich späterhin äusserlich hervorwölben, schien es mir auch aus einem anderen, später
zu betonenden Grunde von Interesse, den frühesten Stadien nachzuspüren.
Das Ergebniss meiner Untersuchung war ein für mich so überraschendes und befremdendes,
dass ich lange zögerte, die Richtigkeit der gewonnenen Einsicht anzuerkennen. Wir
werden von allgemeinen Anschauungen geleitet und leben uns oft derart in dieselben ein, dass
wir nur widerstrebend Thatsachen anerkennen, welche eine Ausnahme von dem bisher in der
Theorie Verständlichen und durch gewissenhafte Untersuchungen Gesicherten darstellen. Als
theoretisch verständlich und durch fremde sowohl, wie eigene Untersuchungen wohlbegründet
hatte ich im Gegensatz zu neuerdings geäusserten Vorstellungen die Thatsache hingenommen,
dass an dem Aufbau der Knospen bei Cölenteraten sich beide Keimblätter, nämlich Ektoderm
und Entoderm, betheiligen. Nun zwingen mich meine Befunde bei Bathlcea octopunctata zu dem
Schluss, dass hier eine Ausnahme vorliegt, in s o f e rn die M e d u senknospe n u r einem
K e im b la tt, n äm lic h dem E k to d e rm ,, ih r e E n ts te h u n g v e rd a n k t. Dieses ist das
wesentliche Resultat meiner im Nachstehenden wiederzugebenden Beobachtungen, und so gestatte
ich mir, einige kurze historische Bemerkungen als Einleitung vorauszusenden.
a. Die neueren Anschauungen über Knospenbildung bei Cölenteraten.
Die Auffassung, dass die Knospe an der mütterlichen Wandung unter Betheiligung beider
Keimblätter ihre Entstehung nehme, galt unbestritten bis in die jüngste Zeit. Für diese Auffassung
spricht einerseits der Umstand, dass man auf frühen und späten Stadien Ektoderm und
Entoderm des Mutterthieres continuirlich in die entsprechenden Schichten der Knospe übergehen
sieht, andererseits die Thatsache, dass Knospen nur da entstehen, wo beiden Blättern des Mutterthieres
die Betheiligung am Aufbau der Knospen ermöglicht ist. Es ist mir nur ein Fall bekannt,
wo man den Sitz der Knospen in Regionen verlegte, welche lediglich einem Keimblatt
die Ausbildung der Knospen anheimgeben. Er betrifft die sogenannte „innere Knospung“ der
Aeginiden — einen Vorgang, der auch heute noch manches Räthselhafte darbietet. Die Aegi-
niden (und zwar speziell die Cunina-Arten) sind nämlich durch die Fähigkeit ausgezeichnet, an
der Magenwandung junge Medusen zu produciren, welche in einigen Fällen die Charaktere der
Mutterthiere aufweisen, in anderen hingegen frühzeitig Geschlechtsprodnkte ausbilden und auffällig
von dem mütterlichen Organismus abweichen ’). Mag man nun diese im Gastrovaskular-
raum lebenden jungen Aeginiden als Abkömmlinge der Medusen-Wirthin oder als Parasiten betrachten,
so lehren doch jedenfalls die Beobachtungen von M e ts c h n ik o f f (1886, a, p. 102—125),
dass es sich hier nicht um eine vom Entoderm des Magens ausgehende Knospung handelt. Nach
M e ts c h n ik o f f nehmen die jungen Aeginiden aus Keimen ihre Entstehung, welche in den ento-
dermalen Geschlechtsdrüsen entstehen, späterhin auswandern und unbefruchtet sich weiter entwickeln.
Ob M e ts c h n ik o f f mit seiner Deutung, dass die genannten Keime Sporen resp. par-
thenogenetisch sich entwickelnde Eier repräsentiren, das Richtige getroffen hat, mag einstweilen
dahingestellt bleibenj jedenfalls ist es sicher, dass eine ohne Betheiligung des Ektoderms erfolgende
Knospung nicht vorliegt2).
') Eine gedrängte Darstellung von dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse der sogenannten „inneren Knospung“
der Aeginiden habe ich in B r o n n s Klassen und Ordnungen des Thierreichs (1894, p. 236—239) gegeben.
2) Es wäre nicht undenkbar, dass die genannten „Sporen“ ächte Eier repräsentiren, welche von den gesclileclits-
reif werdenden parasitirenden Aeginiden herstamraen und zwischen die Gewebe des Gastrovasknlarraumes eindringen. Dann
würde die Thatsache, dass die Wirtlie ebenfalls reife Samen- und Eizellen ausbilden, weniger befremdlich erscheinen.
B ib lio th e ca zoologica. H e ft 19. 4