Ephemera vulgata scheint des Geruchssinnes völlig zu entbehren; da das ausgebildete
Insekt gar keine Nahrung mehr aufnimmt, sondern seine ganze Beschäftigung in der Vollziehung der
Begattung beruht, ist eine mangelhafte Ausstattung mit Sinnesorganen wohl erklärlioh. Zur Erfüllung
jenes Lebenszweckes scheint der Gesichtssinn auszureichen.
An den Fühlern an Ephemera kann man sehen, welchen einfachen Bau ein solohes. Organ
annimmt, wenn ihm die Funktion fehlt. Der ganze Fühler trägt kein einziges Sinnesorgan, nicht
einmal ein Fühlhaar, geschweige denn eine Geruohsgrube, stellt vielmehr einen kahlen kurzen Dom dar.
Von L ib e lle n untersuchte ich mehrere Arten von Aeschna und O a lo p te r y x e irg o .
Beide Gattungen besitzen an den kurzen dünnen Fühlern die schon von früheren Autoren erwähnten
Grubenkegel, jedoch in geringer Anzahl, namentlich Galopteryx. Der Gesichtssinn scheint bei diesen
Kaubtieren durchaus der leitende Sinn zu sein. Das Gesohmaoksorgan ist auffallend gut entwickelt,
wovon unten Näheres.
N eu ro p te ra .
Von den echten Neuropteren habe ich nur Ghrysopa untersuoht. Die drei Autoren, welche
sich über die Antennalorgane dieses Tieres geäussert haben,, stimmen schlecht überein. L eydig fand
zwischen den zahlreichen Fühlhaaren Gruben ohne Kegel, H a u s e r gebogene blasse Zapfen oder Kege]
am distalen Ende der Glieder, Kräp e lin äusserst zarte Haare auf einem gewaltigen Porenkanal. Den
Befund von H a u s e r und von K räp e lin kann ich bestätigen, nicht den von Leydig. K räp e lin
hat nicht dieselben Organe wie H a u s e r abgebildet, beide bestehen vielmehr nebeinander, und zwar,
da sie auf den sehr zahlreichen Fühlergliedern sich immer wiederholen, ist ihre Zahl eine bedeutende!
Larven der Neuroptera und Psendoneuroptera.
Von den Neuropteren und Pseudoneuropteren sind uns für die vorliegendeÄntersuchung die
wasserbewohnenden Larven vorzugsweise interessant. Von Wert wird es auch sein, Vergleiohung vorzunehmen
zwischen der wasserbewohnenden Larve und der luftbewohnenden Imago, woraus sich einiges
für das Verständnis des Wertes der einzelnen Sinnesorgane ergeben wird.
Ich experimentierte zunächst mit Larven von Libellula depressa und Aeschna cyanea. Von
letzteren verwendete ich eine sehr grosse Zahl, unter welcher namentlich die jüngeren Exemplare ganz
übereinstimmende Resultate gaben. Die trägen älteren Tiere und die Unbeholfenen LÄMo-Larven
reagierten unsicher.
Leitender Sinn ist ganz entschieden der G e s ich tss in n . Er ist es, weloher die Larven veranlasst,
ihre Beute zu ergreifen, jedoch auch nur dann, wenn dieselbe sich bewegt. Nach ruhig
liegenden Gegenständen sah ich die Larven nie schnappen. Um so sicherer thun sie dies jedoch, in
bekannter Weise ihre „Maske“ vorschnellend, wenn ein Gegenstand vor ihrem Kopfe vorbeibewegt
wird, leichter wenn der Gegenstand dunkel als wenn er hell gefärbt ist. Nach einem durchsiohtigen
Glasstabe schnappen die Tiere nur selten. Dies ist wichtig, weil damit erwiesen ist, dass der Gesichtssinn
und nicht der mechanische Sinn es ist, welcher dem Tiere die wirksame Nachricht von der bewegten
Beute gab. Würde ihm diese Nachricht durch Vermittelung des bewegten Wassers und seiner
mechanischen Sinnesorgane zukommen, so müsste die Farbe, überhaupt das Aussehen des bewegten
Objektes gleichgiltig sein. Dass der chemische Sinn bei Wahrnehmung der Beute aus dem Spiele
bleibt, geht daraus klar hervor, dass die Larve wahllos geniessbare und ungeniessbare, auch geschmacklose
und ihr schlecht schmeckende Gegenstände mit Sicherheit ergreift. Erst wenn sie dieselben in
den Mund bekommt, tritt der chemische Sinn in sein Recht. Von ihm existiert also nach bisher von
mir verwendeter Bezeichnungsweise nur die d r itte Phase .
Die F ü h le r sind auf die Wahrnehmung der Beute ohne Einfluss, ihre Entfernung hat keine
merkliche Wirkung auf das Tier. Auch der Geschmackssinn sitzt nicht in ihnen. Die Fühler ergeben
sich als geringwertige Gebilde auch durch die anatomische Untersuchung; sie tragen nur wenige lange
dünne Haare, keine Gruben, keine Kegel.
Chemische R e iz u n g en sind am ganzen Körper von äusserst geringer Wirkung, meist
sogar ohne jede sichtbare Wirkung. Mit ändern (niederen) Tieren von ähnlicher ünempfindlichkeit teilt
die Aeschna-Larve die Eigentümlichkeit, durch Alkohol und ähnliche Mittel auffallend langsam getötet zu
werden. Je fe in e r d e r chemische Sinn e in e s (niederen) T ie re s is t, desto rascher
s tir b t d a s s e lb e im a llg em e in e n in chemisch d iffe re n te n F lü ss ig k e iten . Man könnte
daran denken, die Organe des chemischen Sinnes seien wegen ihrer zarten Membran vielleicht besonders
günstige Eintrittspforten für die vernichtende Flüssigkeit, und wo sie fehlten, könnten diese schwer ein-
dringen. Für zutreffender halte ich die Auffassung, dass nicht die Widerstandsfähigkeit Folge des
Mangels an Sinnesorganen sei, sondern umgekehrt die mangelhafte Entwicklung von Sinnesorganen
durch den gegen äussere Einflüsse widerstandsfähigen Körperbau bedingt ist. Schützt das Integument
das Tier in hinreichender Weise gegen chemische Reize so braucht es nicht mit Empfindungsorganen
ausgestattet zu sein, welche dem Tiere Kenntnis von der Gegenwart eines differenten Stoffes geben.
Ähnliche Beispiele von Widerstandsfähigkeit zum Teil noch viel höheren Grades sind: Ba-
natra linearis, Nepa cinerea, viele Dipterenlarven (vergl. pg. 117), Spinnen, Gordius aquaticus.
Das Schmeckvermögen der Libellenlarve ist zwar ein sehr stumpfes, aber immerhin
nachweisbares und ist auf die gewöhnlichen Insektenschmeckorgane am Gaumen zurückzuführen. Äusserungen
dieses Schmeckvermögens lassen sich nur bei unangenehm (besonders bitter) schmeckenden
Stoffen bemerken, indem diese aus dem Munde entfernt werden. Danach wird gewöhnlich die Maske
etwas vorgestreckt und bewegt, wohl um die Schmeckorgane durch Zuströmen frischen Wassers zu
reinigen. Diese angegebenen Wirkungen traten ein, wenn ich Fleischstückchen oder Filtrierpapierbällchen
mit Lösung von Strychninnitrat 1 : 150 tränkte (auch mit Holzessig). Ich habe öfters in
folgender Weise den Versuch angestellt: Vier kleine Aeschna-Larven erhielten je ein kleines Stück
Fleisch; das eine Fleischstück war rein, die drei anderen hatten 2—3 Minuten in der Strychninlösung
gelegen. Alle vier Tiere bissen mit Sicherheit in das vor ihnen hin- und herbewegte Fleisch und
kauten daran. Die drei bitteren Stücke wurden nach kurzem Kauen verlassen, es traten dann die
Reinigungsbewegungen ein; das reine Fleischstück wurde dauernd festgehalten. Chininsulfat scheint
weniger empfunden zu werden, wenigstens sah ich grosse Aeschnalarven Fliegen (Musca, Calliphora),
die mit Chininbisulfatlösung 1:80 injiciert waren, oder Chininsulfat in fester Form im Abdomen
hatten, stundenlang im Munde halten. Fleisch, das mit Tinte getränkt war, 'wurde (allerdings von
den weniger wählerischen grossen Exemplaren) durchaus nicht verschmäht.
Das auch anatomisch konstatierte Fehlen äusserer Schmeckorgane zeigt sich auch darin, dass
Fleischsaft und Zuckerlösuug niemals eine Beute Vortäuschen und desshalb Reaktionen hervorrufen, etwa
analoge Greifbewegungen wie bei Dytiscus. Sicherlich giebt es auch keine anderen Stoffe, die in
dieser Weise wirksam wären, die Organe zur Perception fehlen eben gänzlich.
Die Larven von Perla und Chloroperla habe ich nur anatomisch untersucht und zwar um ihre
Sinnesorgane mit denen der Imago zu vergleichen. Man betrachte die Figuren 62 und 63, welche