Canis familiaris.
Bei der Entwicklung des Zahnsystems des Hundes ist folgender Punkt von Interesse:
, Bekanntlich wird hei einer ganzen Reihe von Säugethieren, welche im übrigen mit vollständigem
Milchgebiss versehen sind, der vorderste Backenzahn nicht gewechselt. Viele Untersuchungen
haben sich damit beschäftigt zu entscheiden, ob dieser Zahn der ersten oder der
zweiten Dentition angehört. Durch die Entdeckung eines vordersten Milchbackenzahnes, welcher
selten oder nie zur völligen Ausbildung gelangt, ist bei einigen der fraglichen Thiere die Sache
erledigt. Wenn auch die vorliegenden Untersuchungen betreffs des Hundes nicht von der Art sind,
dass sie eine endgültige Entscheidung zulassen, so dürften sie doch unter Berücksichtigung der
nachfolgenden Beobachtungen über Phoca geeignet sein, die Frage ihrer Lösung nahe zu bringen.
Owen (Odontography pag. 477) will einen P d 1 beim Hunde beobachtet haben, welcher
selten verkalkt, auf dem „papillaren“ Stadium steht und vor der Geburt verschwindet. Besonderen
Werth aber scheint Owen seiner Beobachtung nicht beizumessen, da er den P d 1 nicht in
die Zahnformel aufnimmt; auch in seiner später erschienenen „Anatomy of Vertebrates“ findet
der P d 1 keine Erwähnung. Die folgenden Forscher haben diesen P d 1 nicht gesehen; R ein-
haedt (TU) giebt ausdrücklich an, dass er vergebens nach einem solchen Zahn gesucht hat.
Erst T auber (II) tra f 1876 bei zwei von vier neugeborenen Hunden „deutliche Zahnsäcke mit Anlagen
des P d 1, deren Verkalkung bereits begonnen war“, an. W inge (I) bestätigt diesen Befund.
Meine an zwei Unterkiefern und einem Oberkiefer von neugeborenen Hunden vorgenommene
Untersuchung hat folgendes Resultat ergeben.
Sämmtliche Zähne der ersten Dentition sind mehr oder weniger stark verkalkt. Bei
den Zähnen der zweiten Dentition ist zunächst der enorme Unterschied in der Entwicklungsstufe
auf diesem Stadium zu verzeichnen. Während nämlich der untere C bereits Hartgebilde entwickelt
hat und beinahe auf derselben Ausbildungsstufe wie im Stadium C bei der Katze (vergleiche
oben pag. 57 und Fig. 61) steht, ist P 2 sowohl im Ober- wie Unterkiefer kaum angelegt,
nur als eine schwache Anschwellung des tiefen Endes der Schmelzleiste vorhanden. Der obere C
ist etwas weniger weit entwickelt. Die unteren J stehen auf dem knospenförmigen, die oberen J
sowie P 3 auf dem Anfänge des kappenförmigen Stadiums. P I s t e h t a u f dem g lo c k e n fö
rm ig e n S ta d ium u n d u n t e r s c h e id e t sic h d a d u rc h von den ü b r ig e n , d a s s e r
v o llk om m en o b e r f lä c h lic h , u n m i t t e lb a r u n t e r dem E p ith e l l i e g t , a lso g an z
so wie d ie je n ig e n Z äh n e von E r in a c e u s , b e i d en en k e in Z a h nw e c h s e l e r fo lg t
(vergleiche oben pag. 38). Und in d e r T h a t f e h l t au ch h ie r e in V o rg ä n g e r , ein P d 1,
g ä n z lic h . Den fraglichen glockenförmigen Schmelzkeim als einen P d 1 zu deuten, ist schon
aus dem Grunde ausgeschlossen, weil dann die Anlage eines P 1 gänzlich fehlen würde — .eines
Zahnes, welcher bekanntlich beim Hunde am zeitigsten von allen Zähnen der zweiten Dentition
durchbricht, noch mit denen der ersten Dentition zusammen funktionirt und somit selbstverständlich
beim neugeborenen Thiere doch wenigstens angelegt sein müsste. Es wäre nun allerdings
nicht ausgeschlossen, dass hin und wieder die Anlage eines P d 1 beim Embryo auftreten könnte,
aber b is h e r ist eine solche nicht nachgewiesen worden. Die T auber*sehen, oben referirten
Befunde lassen sich mit Rücksicht auf die von ihm angewandte Präparationsmethode viel eher
auslegen, dass er den Keim des P 1 und nicht des P d 1 gesehen hat: erstens stimmt die
von ihm angegebene Lage des fraglichen Zahnes vollkommen mit dem von mir gefundenen Verhalten
des P 1 überein; zweitens erwähnt er nicht das Verhalten des vermutheten P d 1 zu seinem
Nachfolger, den er nicht gesehen hat. Diese meine Deutung der TAUBER’schen Darstellung dürfte
um so berechtigter sein, als sowohl T auber als ich dasselbe Entwicklungsstadium, neugeborene
Thiere, untersucht haben.
Auf die Bedeutung der beim Hunde nachgewiesenen Befunde werde ich bei der Beschreibung
von Phoca zurückkommen.