
machen, dass die Schmeckwerkzeuge bei kauenden Insekten anders sich verhalten als bei saugenden
und leckenden. Eine solche Erklärung wird sich auf das Princip der Zweckmässigkeit zu
gründen haben. Ich sehe den Grund für die Ungleichheit der Schmeckwerkzeuge bei den Insektenfamilien
in dem A g g re g a tz u s ta n d e d e r aufzu n ehm en d en Nahrung. Die Insekten mit
kauenden Mundwerkzeugen nehmen feste konsistente Nahrung auf, Materialien, die erst zerkleinert
werden müssen, um verschluckt werden zu können. Mit den Kiefern reissen sie Stücke von den
Blättern, von dem Aase, der lebenden Beute, den menschlichen Nahrungsmitteln, los. In vielen Fällen
nun sind diese Materialien so trocken und saftlos, dass sie an sich gar nicht im Stande sind, ein Geschmacksorgan
zu erregen. Nun pflegen allerdings die meisten kauenden Insekten während des Ab-
beissens den Nahrungsstoff schon mit einer speichelartigen Flüssigkeit zu durchfeuchten, und. durch
deren Vermittelung kann ihnen ein Geschmackseindruck schon vor dem Kauen entstehen. Die Hauptsache
bleibt aber, dass die abgebissenen Stücke zwischen den Kiefern zerkleinert und zerquetscht werden
und in kleinen Portionen in die Mundhöhle gelangen, wo sich ihnen, wenn dies nicht schon zuvorgeschah,
Speichel zumischt. Jetzt ist der Moment da, wo die eigentliche Thätigkeit des’(inneren)
Schmeckorgans erfolgt, wo die Speise auf ihren Geschmack geprüft wird, und wo sie verworfen und
wieder entfernt wird, wenn ein unangenehm schmeckender Stoff, der nicht schon durch den Geruch
erkannt wurde (Chinin, Strychnin), die Speise verunreinigt hatte.
Anders die saugenden und leckenden Insekten: Diese nehmen ein schon von vorneherein
flüssiges Material als Nahrung auf, sie haben nicht nötig, dasselbe vor Eintritt in den Mund zu zerkleinern.
Da es nun gewiss zweckmässig ist, die Qualität des aufzunehmenden Stoffes vor der Aufnahme
in den Mund zu prüfen, erhielt sich diese Fähigkeit bei diesen Insekten. Sie brauchen nur ihren
Büssel oder ihre Leckzunge in die Flüssigkeit einzutauchen, um dieselbe zu erkennen und zu prüfen.
Noch ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen dem Saugen und der Existenz äusserer
Schmeckorgane. Wenn einem kauenden Insekt der Bissen im Munde nicht beliagt, weil er schlecht
schmeckt, oder aus irgend einem anderen Grunde, so braucht es ihn nur fallen zu lassen, um ihn los
zu sein. Mit den Stoffen, die in einen langen Rüssel eingesaugt sind, ist das nicht so einfach. Wir
wissen nicht einmal, ob das Tier einen Mechanismus besitzt, welcher die im Rüssel enthaltene Flüssigkeit
nach aussen entfernen könnte. Es ist also doppelt zweckmässig, wenn die prüfenden Organe
schon am Eingänge des Nahrungskanals sich befinden.
Diese Überlegungen auf Grund des Zweckmässigkeitsprincips, welche manchem etwas zu sehr
teleologisch erscheinen mögen, würde ich nicht anführen, wenn ich nicht auf induktivem Wege, von
den Einzelbeobachtungen aus, auf sie geführt worden wäre. Nach Verwertung der Vorarbeiten auf
diesem Gebiete und unter Berücksichtigung meiner eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass wohl
bei allen saugenden und leckenden Insekten äussere Schmeckorgane gefunden sind, oder wenigstens
Organe, deren Schmeckfunktion zwar nicht nachgewiesen ist, welche sich aber zwanglos in die Reihe
der Organe des chemischen Sinnes einreihen lassen.
Wir haben noch der im Wasser lebenden kauenden Insekten mit einigen Worten zu gedenken,
von welchen ich oben sagte, dass sie ebenfalls äussere Geschmacksorgane besitzen. Dies'
bezieht sich ganz vorzugsweise auf die Wasserkäfer, denn die im Wasser lebenden und vom Raube
sich ernährenden Neuropterenlarven sind in Beziehung auf den chemischen Sinn so schlecht gestellt,
dass wir sie füglich bei Seite lassen können; sie scheinen zum Teil weder äussere noch innere
Schmeckorgane zu besitzen, oder beide nur in Andeutung.
Dass die Wasserkäfer, wie ich oben gezeigt habe, durch den Besitz äusseren Schmeckvermögens
eine Sonderstellung unter den kauenden Käfern einnehmen, ist unschwer zu verstehen, wenn
man bedenkt, dass ihre Nahrung stets S zwar nicht in flüssigem Zustande sich befindet — aber von
Flüssigkeit umspült ist, welche die von der Nahrung ausgehenden löslichen Stoffe den Mundteilen der
Käfer (auf geringe Entfernung) zuführt, ganz analog, wie die Luft den Riechorganen der Landtiere
die riechenden Dämpfe zuführt. Das äussere Schmeckvermögen der Wasserkäfer vertritt das Riechen
aus nächster Nähe, den odorat au contact (Forel), das Riechtasten der Landkäfer, nicht aber das
Wittern aus der Ferne.
Während den landbewohnenden Insekten mit beissenden Mundwerkzeugen der Vorteil eines
äusseren Schmeckorganes abgeht, ist ihnen dafür ein reichlicher Ersatz geboten in ihrem vollkommenen
Tastapparat und der soeben berührten Fähigkeit des Riechtastens. Durch die Betastung
der Beute mit den drei Tasterpaaren und durch das Beriechen aus nächster Nähe haben auch die
Kauinsekten die Möglichkeit, gewisse Eigenschaften der Nahrung kennen zu lernen, vielleicht nicht
weniger vollständig als die Sauginsekten. Die leckenden Insekten besitzen beides, äusseres Schmeckvermögen
und die Möglichkeit, durch Betasten mit den Tastern und Beriechen mit den Antennen die
Nahrung zu untersuchen. Da die hierher gehörigen Insekten, z. B. die Wespen und Ameisen, häufig
auch von ihren Beisswerkzeugen beim Fressen Gebrauch machen müssen, wenn sie eine erst zu zerkleinernde
Nahrung gemessen wollen, ist es sehr erklärlich, dass sie ausser denjenigen Sinnesapparaten,
welche den saugenden Insekten zukommen (äussere und innere Schmeckorgane), noch die bei kauenden
Insekten sich findenden besitzen (Taster, zum Riechtasten befähigte Fühler).
Betrachten wir jetzt nach einander die inneren und die äusseren Schmeckorgane bei den
einzelnen Ordnungen der Insekten.
Innere Geschmacksorgane.
Das wichtigste und verbreitetste der inneren Schmeckorgane ist dasjenige am Dache der Mundhöhle,
am Gaumen. Meines Wissens is tG a z a g n a ire (113) der erste, welcher diese Organe entdeckt
und als Geschmacksorgane bezeichnet hat. „Chez les Coléoptères, je localise le siège de la gustation
dans la région antérieure de la paroi dorsale du pharynx.“
W o lff beschrieb das von ihm für das Riechorgan gehaltene Organ am Gaumen der Biene
und anderer Hymenopteren, welches offenbar dem G a z a g n a ire ’sehen bei Käfern homolog ist.
Vom R a th (255) beschreibt kurz Sinneskegel am Hypopharynx einiger Orthopteren, bei einigen
anderen Tieren dieser Ordnung hatte schon zuvor H a lle r „becherförmige“ Organe beschrieben.
M e in e rt, ebenso K ü n k e l und G a z a g n a ire halten blasse Haare am Pharynx und der
Oberlippe der Dipteren für Geschmacksorgane. K räp e lin hält dieselben für Tasthaare. Die Arbeiten
von P a c k a rd (131, 132) sind mir nur aus kurzen Referaten bekannt, gehören aber ebenfalls hierher.
K irb a ch beschreibt bei Schmetterlingen im Schlundkopfe liegende Papillenfelder als Geschmacksorgane.
Wir hätten somit das innere Geschmacksorgan bei allen hauptsächlichen Insektenordnungen
beschrieben gefunden mit Ausnahme der N e u ro p te re n und R h y n c h o te n ; und bei diesen beiden
Ordnungen habe ich es jetzt sehr wohl entwickelt gefunden.
Nach diesem historischen Überblick führe ich an, was ich bei den einzelnen Ordnungen gesehen
habe.
Die Gaumenorgane verschiedener Insekten habe ich in den Fig. 71 bis 87 in z. T. gleicher