4. Ueber iridopigmentäre und retinopigmentäre Augen.
Die Augen der Sergestiden, welche im vorhergehenden Abschnitte geschildert wurden,
stimmen nur insofern mit den Augen pelagischer Tiefsee-Schizopoden überein, als die nach oben
resp. schräg nach vorne gekehrte Facettenregion durch eine auffällige Verlängerung ihrer Facettenglieder
sich auszeichnet. Wenn wir nun davon absehen, dass bei den letzteren eine Zweitheilung
des Auges Platz greift, die zur Folge hat, dass das Individuum über vier vollständig
von einander getrennte Facettenaugen, zwei Frontaugen und zwei Seitenaugen, verfügt (eine
Theilung, welche bei keinem der von mir untersuchten Sergestiden durchgeführt ist), so ergibt
sich in der Pigmentanordnung ein durchgreifender Unterschied zwischen beiden Gruppen. Den
Tiefsee-Schizopoden fe h lt das R e tin ap igm en t, während um g ek eh rt die S e rg e stid en
des I r i s p igm e n te s e n tb e h re n . Eine Pi gm entarmuth ist in beiden Fällen für diese in
grossen Tiefen schwebende Organismen typisch, aber die Pigmentvertheilung ist bei ihnen eine
entgegengesetzte. Um mit einem kurzen Ausdruck diesen Verschiedenheiten gerecht zu werden,
so nenne ich die Augen der Tiefsee-Schizopoden ir id o p igm e n tä r e A u g en , diejenigen der
Sergestiden r e t in o p ig m e n t ä r e Augen.
Wenn wir nun in der Reihe der pelagischen Crustaceen Umschau nach Augenformen
halten, welche in die beiden genannten Kategorien sich einbeziehen lassen, so ergibt es sich zunächst,
dass unter den Am p h ip o d en retinopigmentäre Augen gar nicht selten Vorkommen.
Ich verweise nur auf das Auge der Gattung Phroninm, welches mit dem Sergestidenauge den
Mangel des Irispigmentes, mit dem Schizopodenauge die Zweitheilung in ein Front- und Seitenauge
gemein hat. Das P h ro n im id e n a u g e , vielfach untersucht und bisher als ein Curiosum
betrachtet, dessen fremdartiger Aufhau unvermittelt und unverständlich in die Erscheinung tritt,
erweist sich demnach als ein Glied einer Reihe von Umbildungen, die unter pelagischen Organismen
weit verbreitet sind.
Man wird mir allerdings entgegenhalten, dass nach meinen Darlegungen diese abnormen
Augenformen Organismen eigen sind, welche mit Vorliebe oder ausschliesslich die tieferen, nur
von Dämmerlicht erleuchteten oder vollständig dunklen Wasserschichten bevölkern, während
gerade Phromma sedentaria F orsk. einen allbekannten Vertreter der oberflächlichen Wasserschichten
abgebe. Ich erwiedere hierauf, dass das Phronimidenauge, wie später noch dargelegt werden soll,
ein weit lichtschwächeres Bild entwirft, als dasjenige der Schizopoden und dass es schon aus
diesem Grunde erklärlich ist, wenn Phronima gelegentlich bei Nacht an die Oberfläche aufsteigt.
Immerhin wird der Leser, welcher sich der Mühe unterzieht, meine obigen Mittheilungen über
die Biologie der Gattung Phronima zu durchblättern (p. 109—111), die Auffassung nicht ohne
Weiteres zurückweisen, dass Phronima sedentaria den grössten Theil ihres Lebens in dunklen
Regionen zubringt. Dies trifft in noch höherem Grade für Phr. Golletti. Bo v a ll. zu, welche ich mit
jedem Zuge der auf das Gerathewohl in die Tiefe versenkten Schwebenetze erbeutete, während
sie au der Oberfläche als grosse Seltenheit erschien.
Wenn es mir nun gelungen sein sollte, das zweigeteilte Auge der Tiefsee-Schizopoden
aus dem Kugelauge der Oberflächenformen abzuleiten, so fällt es auch nicht schwer, die
Bindeglieder zwischen dem zweigeteilten Phronimidenauge und dem Kugelauge der Hype-
riiden aufzufinden.
Unter den Phronimiden theilen mit Phromma noch die Gattungen Phronimopsis C lau s und
Dairella Bo va ll. die Zweitheilung des Auges in Front- und Seitenauge. Die nächst verwandten
Hyperiiden, nämlich die Gattungen Paraphronima C lau s und Phronimopsis C la u s besitzen gleichfalls
ein zweigeteiltes Auge, obwohl bei Phronimopsis die Pigmentlagen so nahe zusammenrücken,
dass man zweifeln kann, ob tatsächlich die Theilung des Auges völlig durchgeführt ist. Einen
Schritt weiter und wir erhalten das für zahlreiche Hyperiidengattungen (Hyperiidea recticornia
Bo vall.) charakteristische Auge, welches ein vollständiges Analogon im Sergestidenauge findet:
eine einheitliche Retina, von welcher nach der Scheitelregion des Kopfes lange Facettenglieder
ausstrahlen, die ganz allmählich in die verkürzten ventralen übergehen. Durchaus ähnlich gebaut
sind die Augen der überwiegenden Mehrzahl der Platysceliden (Hyperiidea curoicornia Bo vall.);
auch bei ihnen haben wir es mit oft sehr originell gestalteten Augen zu thun, deren Frontabschnitt
durch verlängerte Facettenglieder ausgezeichnet ist und ganz allmählich in den verkürzten
Ventralabschnitt übergeht. Wer die neueren Publikationen von C lau s (die Platysceliden
1887), S te b b in g (Chall. Rep. Amphipoda 1888) oder von C. B o v a lliu s (Monogr. Hyperiidea
1889, Oxycephalids 1890) durchblättert, wird eine Fülle instruktiver Beispiele für das erwähnte
Verhalten im Aufbau der Augen herausfinden können.
In allen den hier erwähnten Fällen handelt es sich um Organismen, welche durch retinopigmentäre
Augen charakterisirt sind und entweder ausschliesslich oder doch mit Vorliebe in
unbelichteten Regionen schweben. (Chun, 1887 p. 28 und 29; 1889 p. 8—17.) Manche derselben
— so z. B. die durch Bova l l i u s (1887), durch mich (1889) und St e b b ing (1895)
neuerdings genauer bekannt gewordenen Scinidae — besitzen in Anpassung an den Aufenthalt
in dunklen Regionen rückgebildete Augen oder sind völlig blind, wie dies auch für die merkwürdigen,
von Bova l l i us beschriebenen JXimonectidae (vergl. Holzschnitt 1, p. 102) zutrifft. Wenn
trotzdem die genannten sehenden und blinden Hyperiiden gelegentlich an der Oberfläche erscheinen,
so kann dieser Umstand ebensowenig als Zeugniss gegen meine Auffassung in das Feld
geführt werden, wie das in den obigen Ausführungen (p. 142) eingehend erörterte Erscheinen
von Tiefsee-Schizopoden an der Oberfläche. Der feinere Bau des Auges ist ein untrüglicher
Gradmesser für die biologische Eigenart pelagischer Organismen, und wer meine früheren Darlegungen
über die Tiefen Verbreitung pelagischer Organismen für nicht beweiskräftig erklärt,1) der
möge wenigstens die durch die Untersuchung der feineren Augenstruktur gewonnenen Ergebnisse
nicht einfach ignoriren. Ich bin fest überzeugt, dass die Wahrnehmungen der Plankton-Expedition
eine werthvolle Bereicherung unserer Kenntnisse von der Tiefenverbreitung der Hype-
‘) Dr. G ie sb r e ch t theilt mir brieflich mit, dass der von mir auf p. III gewählte Ausdruck, er halte meine Untersuchungen
für „völlig werthlos“ weder mit seiner tliatsächlichen Ansicht übereinstimme, noch auch von ihm gebraucht
worden sei. Ich nehme gern Veranlassung, zu bestätigen, dass der Ausdruck „völlig wertlilos“ in seiner Monographie der
Copepoden nicht vorkommt.