sehen Werth von Einrichtungen anzustellen, deren Bedeutung für die Lokomotion der Larven
derart auf der Hand liegt, dass es nicht überraschen könne, wenn eine ungewöhnliche Grösse
auch eine entsprechend reiche Entfaltung des lokomotorischen Apparates mitbedinge. Gewiss
werden wir mit Recht die überraschende Ausbildung des Arabeskensystems der Wimperschnüre
auf Rechnung der gesteigerten Ansprüche an die Lokomotion setzen dürfen. Allein es wäre verfehlt,
hierin den einzigen Grund für die eigenartige Entfaltung des Wimperapparates zu erblicken.
Wenn Larven ungewöhnliche Grössendimensionen annehmen und wenn dadurch die Körperoberfläche
in ein ungünstiges Verhältniss zu dem Volumen gesetzt wird, so kann bei langsam beweglichen
Thieren durch eine entsprechend reiche Elächenentfaltung der Oberfläche das Missverhältniss
ausgeglichen werden. Unter jenen Funktionen, welche bei Echinodermenlarven sich in erster Linie
an die äussere Oberfläche anknüpfen, steht die Respiration im Vordergrund. Dass Respiration
und Lokomotion oft untrennbar mit einander verbunden sind, ist eine in der Thierreihe so allgemein
bekannte und verbreitete Thatsache, dass es trivial erscheinen möchte, sie durch Beispiele
zu belegen. Wenn nun bei Larven, welche das mittlere Maass der Grössenentfaltung weit überbieten,
durch einen Wald von Zöttchen, auf welche die zahllosen Arabesken der Wimperschnüre
übergreifen, dem gesteigerten respiratorischen Bedürfniss eine entsprechend reich gegliederte
Oberflächenentwicklung entspricht, so darf ich wohl mit Recht die Zöttchen als kleine Kiemenbäumchen
in Anspruch nehmen. Die Bezeichnung Auricularia nudibranchiata soll demgemäss nicht
nur an die äussere. Aehnlichkeit mit opisthobranchiaten Nacktschnecken anknüpfen, sondern auch
zugleich die funktionelle Bedeutung der einen lebhaften Wasserwechsel bedingenden wimpernden
Zöttchen andeuten.
Doch nicht nur die Ansprüche an Lokomotion und Respiration, sondern auch das mit
zunehmender Grösse gesteigerte Nahrungsbedürfniss kann die Ausbildung der Wimperschnüre
beeinflusst haben. Ich bedaure lebhaft, diese Vermuthung nicht auf den Versuch am lebenden
Thier stützen zu können, möchte sie indessen nicht unterdrücken. Die Seitenfelder mit ihren
zahlreichen Aesten sind zu Hohlrinnen umgebildet, deren Rand von der Wimperschnur umsäumt
wird. Würde man nun erweisen können, dass bei unseren Larven, welche durch die Thätigkeit
der Flimmercilien ihr Nahrung herbeistrudeln, die Flimmerung gegen die Mundrinnen gerichtet
ist, so wäre es nicht unwahrscheinlich, dass kleine Nahrungspartikel an der gesammten Oberfläche
der Seitenfelder in die Rinnen eingestrudelt werden. An dem Eingang in die Mundrinnen,
wo die von vorn und hinten anlangenden Partikel sich sammeln, wird nun die Thätigkeit der
aboralen Wimperschnur auf das Wirksamste durch die eigenartige Ausbildung der oralen Wimperschnur
unterstützt. Die beiden längs der Mundwinkel verstreichenden Schenkel der letzteren
erzeugen sicher eine lebhafte, gegen die Mundöffnung gerichtete Flimmerung, welche dann in
gleichem Sinne durch die tief in den Vorderdarm einragenden Schenkel ergänzt wird. Die Bedeutung
der oralen Wimperschnur für den Nahrungserwerb liegt übrigens so klar auf der Hand,
dass sie auch bereits von Semon (1888, p. 194) nachdrücklich betont wurde.
5. Der Darmtrahim.
Der Darmtraktus stimmt in seiner Ausbildung durchaus mit dem für alle Echinodermenlarven
bekannten Verhalten überein und weist nur an seinem Endabschnitt eigenthlimliche Verhältnisse
auf. Er gliedert sich bekanntlich in einen Vorder-, Mittel- und Enddarm. Der Vorder-r
darm (oes), an dem namentlich die Ringmuskeln deutlich hervortreten, verläuft in weitem Bogen
zur Körpermitte, um hier durch eine scharf abgesetzte Striktur in den Mitteldarm überzugehen.
Dieser, der eigentliche Magen (int.), ist entsprechend der Grösse und Länge der Larven sackförmig
gestaltet und weit länger als breit. Bei den auf Taf. IH , Fig. 5 und 6 dargestellten
Auricularien erreicht er die für Echinodermenlarven ungewöhnliche Länge von drei Millimetern.
Bei den conservirten Exemplaren ist er in der Mitte sanft eingeschnürt und an beiden Enden
etwas ausgebaucht. Die Striktur zwischen Mittel- und Enddarm ist bei jüngeren Larven fast
ebenso scharf ausgebildet wie diejenige zwischen Vorder- und Mitteldarm; bei älteren (Taf. III,
Fig. 5) ist sie hingegen weiter. Der Enddarm (re) zeichnet sich durch einen mächtigen Blindsack
(coec.) aus, welcher an Weite dem Mitteldarm nicht nachsteht. Er kann über einen Millimeter
lang werden, verläuft gerade nach vorn gestreckt und liegt der Ventralfläche des Mitteldarmes
dicht an. Der Enddarm setzt sich nicht scharf von seinem Blindsack ab und mündet
durch den relativ engen After (a) etwa auf der Grenze des unteren Drittels des Afterfeldes
ventral aus.
Wie die hier gegebene Darstellung vom Bau des Darmrohres lehrt, so zeichnet sich
Auricularia nudibranchiata durch ein Organsystem aus, welches weder bei den Auricularien, noch
bei den tonnenförmigen Puppenstadien der Holothurienlarven beobachtet wurde. Es ist dies der
mächtig entwickelt, ventral gelegene und von dem Vorderabschnitt des Enddarmes abgehende
Blindsack. Die Frage liegt nahe, welchem Organsystem derselbe den Ursprung verleihen möchte,
vorausgesetzt (und für diese Annahme liegt keine Veranlassung vor), dass er im Laufe der Metamorphose
nicht schwindet. Meiner Ansicht nach kann nur e in Organsystem der Holothurien
in Betracht kommen, nämlich die Kiemenbäume (Wasserlungen). Ueber ihre Entstehung fehlen
allerdings fast vollständig genauere Angaben ; nur D a n ie ls s e n und K o re n (1856, Sars, Fauna
lit. Norv.) berichten von den zu Hölothuria tremula bezogenen Larven, dass ihre Kiemenbäume als
zwei Hohlschläuche am Enddarm auftreten. Da nun die beiden Kiemenbäume sich meist zu einem
gemeinschaftlichen, am Vorderrand der Cloake entspringenden Stamm vereinigen (Lu dw ig
[1889, p. 167] ist geradezu der Ansicht, dass die getrennte Einmündung beider Kiemenbäume
einen jüngeren abgeleiteten Zustand darstellt und dass ursprünglich die ganze Kieme von einer
einzigen unpaaren Aussackung des Enddarmes ihre Entstehung nahm), so dürfte es immerhin
wahrscheinlich sein, dass wir in dem Blindsack die Anlage des Kiemenstammes vor uns haben.
Wer indessen mit Rücksicht auf die Angabe von Daniellsen und Koren erwarten würde, dass
ein so mächtiger Blindsack gegabelt sein müsse, wenn er die Anlage der Kiemenbäume abgäbe,
der sei auf die Beobachtungen von T h é e l (1882, p. 132) über den Bau der merkwürdigen Elpi-
diiden verwiesen. T h é e l berichtet von einem für diese Familie charakteristischen Blinddarm,
welcher, vom Vorderrande des Enddarmes entspringend und sich nach links wendend, als geräumiger
Sack bis zur Körpermitte reicht.
Wenn nun unsere Ansicht das Richtige getroffen hat, so ist es immerhin auffällig, dass
im Gegensatz zu den bisher bekannten Jugendstadien von Holothurien die Anlage der Kiemenbäume
resp. des Blindsackes in ein so frühes Stadium verlegt erscheint. Allein das sind Eigen-
thümlichkeiten, welche auch an einem anderen Organsystem der Auricularia nudibranchiata, wie
gleich dargelegt werden soll, wiederkehren.