dann ausser zum Halten des Objektes auch zum Drehen und Wenden desselben zu dienen. Wie
erwähnt, wird das Spiel der Taster ein besonders lebhaftes, wenn ein ungewöhnlicher Geschmackseindruck
erzeugt wird, oder wenn das Tier durch eine ungeniessbare Masse getäuscht wurde, oder
endlich, wenn ihm zuvor das Geschmacksorgan am Gaumen genommen worden ist.
Ist das zu bewältigende Stück Fleisch aber einigermassen gross, ist es namentlich langgestreckt,
wie z. B. ein Regenwurm, der dem Käfer vorgeworfen wird, so treten auch die Lippentaster in Thätig-
keit; sie werden inderseiben Weise gebraucht wie die Kiefertaster, nur wird mit Vorliebe das Objekt
(der Wurm) zwischen den langen dritten Tastergliedern eingeklemmt. (An diesen Gliedern befinden
sich die charakteristischen grossen Grubenkegel.)
Ich freue mich, nach Anstellung der mitgeteilten Beobachtungen und Versuche meine Anschauung
in einer Arbeit von G. Wasmann (320) bestätigt zu finden. Wasmann sagt mit Bezug
auf P la te a u ’s Versuche über die Bedeutung der Taster, dessen Versuche beweisen nicht, dass dieselben
Tiere mit den Tastern sich nicht besser zu ernähren vermögen, als ohne die Taster, und dass
die tasterlosen Individuen nicht unterliegen würden in der Konkurrenz mit den übrigen (s. o. pg. 81).
Wasmann sagt weiter: „Manche Coleopteren gebrauchen bei der Nahrungsaufnahme regelmässig
ihre Kiefertaster als Finger, um den Bissen leichter in den Mund zu schieben, z. B. Hydrophilus
piceus; andere z. B. Staphylinus caesareus, berühren wenigstens mit ihren Kiefertastern jeden Bissen bei
jeder neuen Bewegung der Kiefer. Einige Käfer können nach Verlust sämtlicher Taster keine Nahrung
mehr zu sieh nehmen, sondern verhungern (Hydrophilus piceus), andere vermögen zwar noch die Nahrung
aufzufinden, fressen aber an derselben merklich unbeholfener als früher (JDytiscus marginalis und
Gybister virens). Hytiscus marginalis kann auch umgekehrt nach Verlust beider Fühler noch mittelst
der Taster die Beute auffinden und an derselben, wie gewöhnlich, fressen. Erst wenn man ihm
Fühler und Taster amputiert, ist er zum Hungertode verurteilt.“ jgjiiira
Betreffs JDytiscus lassen meine mitgeteilten Versuche die weitere Präzision zu, dass die Taster
weit wichtiger sind, als die Fühler, dass ihre Entfernung den Tastsinn mehr als den Geschmackssinn
schädigt, und dass auch Käfer ohne Fühler und ohne Taster zum Fressen gebracht werden können.
Hierbei spielt die Gewöhnung eine grosse Rolle; der Käfer gewöhnt sich rasch an seinen verstümmelten
Zustand. Offenbar übernehmen andere Organe zum Teil die Funktion der verloren gegangenen, die Tiere
können le rn e n , auf andere Weise als bisher ihren Zweck zu erreichen. So konnte ich drei Wochen
nach der Operation Käfer zum Fressen bringen, die eine Woche zuvor Nahrung nur bei Anwendung besonderer
Vorsichtsmassregeln, oft gar nicht, annahmen. Die ganze Haltung ist eine etwas andere als gewöhnlich,
die Vorderbeine werden dauernd etwas vorgestreckt, wie um die eigentlichen Tastapparate zu
ersetzen. Die Maxillen werden stets etwas geöffnet gehalten, wobl um den inneren Kiefertaster mehr
zur Geltung kommen zu lassen und um das Geschmacksorgan im Munde zugänglicher zu machen.
Diese Angewöhnung an die neuen Verhältnisse ist ein Punkt, den P la te a u unberücksichtigt
gelassen hat. Er hat nach Entfernung der Taster zuerst Resultate erhalten, die mit meinen stimmen,
dann aber wartete er längere Zeit nach der Operation, und fand nun das gewünschte Resultat. Ich
muss betonen, dass zur Erholung von der Operation der Tasterresektion bei JDytiscus wenige Stunden
hinreichen, und nicht die Aenderung, die nach Wochen eintritt, ist als Erholung zu deuten; diese stellt
vielmehr, wie gesagt, ein vikariierendes Eintreten anderer Gefühlsorgane für die verloren gegangenen
dar. Daraus, dass Insekten ohne Taster lange leben können, ergiebt sich nicht, wie P la te a u meint,
deren Nutzlosigkeit, namentlich nicht, wenn diese tasterlosen Tiere in die Freiheit zurückgelassen
werden. Hier findet ein Raubkäfer oder Aaskäfer so viel Beute, dass er mit seinesgleichen kaum
ernstlich in Konkurrenz tritt *). Er ist vielleicht etwas ungeschickter geworden, und nimmt daher
mit spärlicherer und namentlich wehrloserer Beute vorlieb, als ein gesunder Käfer. Daran ist wohl
nicht zu zweifeln, dass bei Käfern und anderen Insekten ein hoher Grad von. Luxuskonsumption
stattfindet, den Bestand ihrer Organe können sie, zum mindesten vorübergehend, mit geringerer Nahrungsmenge
erhalten, als sie in Wirklichkeit aufnehmen. Eine geringere „Erwerbsfähigkeit“ infolge
Verlustes der Taster kann dem Tiere zwar nicht verderblich, aber doch so hinderlich sein, dass der
Verlust nicht als gleichgiltig zu bezeichnen ist. Ich will nicht als Beispiel den Menschen wählen, da
dieser Kunsthilfe und Pflege Anderer hat, wenn er verletzt ist, aber zum Beispiel ein Triton, dem ein
Bein fehlt, fristet gemütlich sein Leben weiter, bis es nachgewachsen ist, soll darum das Bein nutzlos
sein? Einem Käfer kann man ein Beinpaar nehmen, ohne ihn dadurch zu vernichten oder für späterhin
dem Untergang zu weihen. Solcher Beispiele liessen sich hunderte anführen.
Jedenfalls ist P la te a u ’s Verallgemeinerung eine übereilte und nicht zutreffende; er schliesst
aus Beobachtungen an zwei Insektenarten auf allgemeine Wertlosigkeit der Taster für das Riechvermögen,
er stellt die Taster als a llg em e in entbehrliche Organe hin, auf Beobachtungen an ein
paar Käfer- und Orthopterenarten hin; hätte er von den ersteren einen Hydrophiliden, von den letzteren
eine Gryllotalpa benützt, so würde er sich anders haben ausdrücken müssen.
Unklar ist mir, worauf die Differenz in P la t e a u ’s und meiner Beschreibung des Verhaltens
fressender Wasserkäfer beruht. Fast möchte man an Landessitte bei den Käfern glauben,
da P la te a u so bestimmt angiebt, dass seine Wasserkäfer das Fleisch nicht betasten, und da ein
Zweifel an den Beobachtungen des hervorragenden Forschers nicht in Frage kommt.
Dass P la te a u die Verwendung der Lippentaster nicht kennen lernte, wird seinen Grund
darin haben, dass er seinen Käfern kleinere Fleischstücke als ich, und namentlich keine Würmer zum
Fressen gegeben hat.
Ich möchte hier noch hinweisen auf einen von mir früher nur kurz berührten Punkt, die
interessante Gestaltung des inneren Kiefertasters bei den Dytisciden. Derselbe ist für gewöhnlich
nicht leicht sichtbar, da er dem Unterkiefer selbst ganz dicht anliegt. In Fig. 2 habe ich den Unterkiefer
mit seinen beiden Tastern abgebildct und zwar der Deutlichkeit wegen so, wie er sich darstellt,
wenn man durch Druck auf das bedeckende Deckgläschen den kleinen Taster etwas gegen die Lade
des Kiefers verschiebt. Durch die im ersten Tastergliede sichtbare Sehne wird der Taster elastisch
stets wieder an den Kiefer angedrückt und zwar so dicht, dass auf den ersten Blick beide Teile ein
Ganzes zu sein scheinen. Der Taster reicht nicht ganz so weit wie der Kiefer, und trägt an seiner
Spitze die beschriebenen und in Fig. 6 abgebildeten grossen Grubenkegel, hohle und massive, Geschmacks
und Tast-Kegel. Der Kiefer selbst entbehrt der Sinnesorgane völlig. Durch die Anordnung
der beiden Teile zu einander wird es ermöglicht, dass, wenn der Kiefer in eine Beute eingeschlagen
wird, der etwas kürzere Taster in die Oeffnung mit eindringt, und so im Stande ist, gewisse chemische
und physikalische Eigenschaften der angebissenen Masse erkennen, zu lassen, wozu noch ein geringer
Grad aktiver Tastfähigkeit und Beweglichkeit mithelfen mag.
Diese an einen genial ausgesonnenen Mechanismus erinnernde Kombination eines mecha-
') Wo, wie meinen obigen Versuchen, im engen Raume* Konkurrenz verstümmelter und gesunder Käfer voi’konimt,
unterliegen die ersteren.
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