Ausbildung begriffene Dentition IV zu betrachten. Ueber die gleichzeitig mit dieser Differenzirung
sich vollstreckende schärfere z e i t l i c he Sonderung verweise ich auf das. oben pag. 141 Gesagte.
Ich bemerke hierzu :
1) Also weder die Ansicht, dass der Monophyodontismus, noch diejenige, dass der Dipliyo-
dontismus in .der althergebrachten Auffassung (Dentition I I + JULI) das ursprüngliche bei den Säuge-
thieren ist, entspricht meiner Meinung nach dem heute vorliegenden Thatsachenbestande. Als
ursprünglich für die Säugethiere haben wir vielmehr ein Gebiss zu betrachten, in welchem
(mindestens) zwei Dentitionen nach einander auftreten, also einen Diphyodontismus, welcher
durch das Vor-Milchf (I) und das Milchgebiss (II) repräsentirt wird, aber nicht durch Milch- (II)
und Ersatzgebiss (III), welch letzteres ich als eine neue Zuthat des Zahnsystems der Säugethiere
auffasse und das somit kein Homologon bei den niederen Wirbelthieren hat *). Acceptiren wir die
hier vorgetragene Auffassung, so schwinden also die Schwierigkeiten, welche die Marsupialia und
die Säuger der Secundärzeit uns bisher bereitet haben2).
2) Wichtig für die Beurtheilung der ursprünglichen Bedeutung der Dentition I I (des
Milchgebisses) ist auch die lange Persistenz, durch welche diese Dentition sich bei einigen der
niedersten Säugethiere noch heute auszeichnet, und wodurch sie ihre grössere funktionelle Bedeutung
bei diesen bekundet. So wird nach H ensel bei Didelphys P d 3 sehr spät gewechselt,
im weibli chen Ges ch l e ch t e r s t nach der e r s t e n Schwan ge r s c ha f t ; Innerhalb der
alten Insektivorenfamilie der Centetidae funktioniren bei Ericulus (T homas III), Hemicentetes
und Microgale die Ante-Molaren der Dentition I I zusammen mit a l l en Molaren und werden
— we n ig s t e n s bei Hemi c e n t e t e s H e r s t gewechsel t , wenn das Thi e r vol l s t ä nd i g
au sgewach s en is t. Die gleiche Bedeutung muss man wohl auch der Thatsache zuschreiben,
dass, wie F ilhol nachgewiesen und ich bestätigen kann, bei dem eocänen Eurytherium minus
sämmtliche Molaren zusammen mit dem Ante-Molaren der Dentition H im ausgebildeten Kiefer
funktioniren, während bei den heutigen Artiodactylen die Milch-Ante-Molaren bekanntlich viel
früher verschwinden. Diese Beispiele bekräftigen also ihrerseits die oben ausgesprochene Auffassung
, indem sie entschieden darauf hindeuten, dass die jetzt nur noch t em p o r ä r e Dentition
I I einstmals wichtigere, bleibende Funktionen gehabt hat. Zugleich widerlegen dieselben
B aume’s Behauptung, dass eine vollständige Scala des Rudimentärwerdens des Milchgebisses von
höheren zu niederen Säugethieren vorhanden sein soll.
3) Auch die Ergebnisse unserer Untersuchung über die Reduktionsvorgänge im Zahri-
system (vergl. oben pag. 143) stehen im schönsten Einklänge mit der Auffassung der Dentitionen
als Zahngenerationen, indem zuerst die älteste (Dentition I), dann Dentition I I und, erst wenn
das Zahnsystem überhaupt entwerthet wird, die von den Säugethieren neuerworbene Dentition ITT
der Rückbildung anheimfällt.
In einer früheren Arbeit (HI) habe ich, gestützt auf allgemein morphologische Erwägungen1,
J) Vogt scheint derselben Ansicht zu sein, wenn er sie auch nicht näher begründet. Auch Wortman soll nach
SCHLOSSER (III, pag. 12) sich dieser Annahme zuneigen, zu der ihn aber ein nicht mehr haltbarer embryologischer Ausgangspunkt
geführt hat.
2) Schwalbe (II, pag. 19) nennt mich als einen, der Vertreter der Ansicht von einem primären Monophyodon«
tismns bei den Säugethieren; aus meiner früheren Arbeit (III, pag. 533) hätte S. jedoch entnehmen können, dass ich mich
entschieden gegen jene Ansicht ausgesprochen habe.
tives Merkmal des Säugethiergebisses, sondern vielmehr durch einen sekundären regressiven Entwicklungsprozess.
Entstanden ist. Die ontogenetischen l.'riersuehungc:; haben nun diese Auffassung
| 0ilständig bekräftigt: das Gebiss bei Bradypus m A Tatusia, welches als typisch homodont
betrachtet wird, ist im Embryonalzustande schwach aber deutlich beterodont.
Kann eine Vermehrung der Zahnanzahl bei den Säugethieren stattfinden? Gewichtige Stimmen
wie die von K owalewsky, S s h m im , und SojättÄSsBRi pI), haben sich entschieden dahin ausgesprochen’
dass die Zahl der Zähne — und der Skelettüeile (K owalewsky) bei den Säugethieren zwar ab-
nehmen, niemals aber zunehmen kann; .S shmidt glaubt, dass eine Vermehrung der Zähne innerhalb
dbr Eiasse der .¡Saugethieris niemals stattgefnnden hat. Folgende. Thatsaehen veranlassen
mich eine abweichende Ansicht zu vertreten.
Zunächst ist allgemein anerkannfidass im, taufe der geschichtlichen Entwicklung einzelne
Zähne bei den Säugethieren sich progressiv aiisgehildet' haben, was also damit gleichbedeutend
is tg lp s neues Zahnrr.aieriu! zugekommen tr.. Kolim: dieser Umstand berechtigt zu dem
Analogieschlüsse, dass auch neue entwicklungsfähige Schmelzkeime ans der Sehmelzleiste entstehen
föhnen. DirektedBeobächtungen bestätigen dies i-beianebreren Säugethieren sind — abgesehen von
den Anlagen Ajür regelrecht bei dem betreffenden,dfflHere auftretenden Z ä h n Ä Ichmelzkeim-
ähnliche, von der Sehmelzleiste: ausgehende Gebilde oft in grösser Anzahl (vergleiche K ollmann’s
und R ö se ’s Beobachtungen beim Menschen), daohgewiesen worden. Die überwiegende Mehrzahl
derselben muss zu.. Grunde .gehen. Ich sehe hierin den Ausdruck wies kaum bei einem anderen
Organe in. » g re ifb a re r Weise hervortretenden Km«ukhiugsgeseizes: wie jeder Organismus
m t mehr Abkömmlinge ermeugt, als mr Oeschlechtsreife gelangen können, werden-während der Ontogenese
wdt mehr SehmeUkdme angelegt, als mr Ausbildung kommen können. Nun versteht, es sieh aber von
faIls «in Zuwachs in der Zahnzahl dem Thier«, v o rte ilh a ft sein kann, falls durch
S|cundäre Verlängerung der Kiefer Platz, entstanden lind falls, alle mechanischen Voraussetzungen
für das Zustandekommen neuer Zähne vorhanden sind, eine; dS®r. mehrere dieser „überzähligen“
Anlagen, welche sonst resorbirt worden wären, zur vollständigen Reife gelangen können. Es
kann somit eine progressive (Entwicklung in der Anzahl der Zähne «Eigen, ohne dass man von
Atavismus zu reden berechtigt ist. Selbstverständlich kann es im einzelnen Falle schwer sein
zu entscheiden, oh Vererbung oder Neuerwerbung vdrllsgt. Ein in dieser Beziehun^felirreiches
Beispiel bieten uns die Phocidaei: difi^o häufig in den jedenfalls seoundär verlängerten Kiefern
zwischen den vier Prämolaren auftretenden Zähne sind ohne allen Zweifel oft Neuerwerbungen
(vergl. eben pag. ® 1|, während das Auftreten des M 2 ebenso-'unbedingt als; atavistisch aufgefasst
werden muss. Eine Vermehrung der Prämolaren ist bei Phoca auch von physiologischem
Gesichtspunkte verständlich, da ein«- solche die Greiffähigkeit nur erhöhen kann ¡»ergl. auch
oben pag. 00). Ob solche neu hinzu kommende .Prämolaren, obgleich später entstanden, ebenfalls
der Dentition III (dem Krsatzgebiss) zuzuzäblen sind, mag unentschieden imihen; da wohl nicht
alle Ersatzzähne von vollkommen gleichem Alter sind, halte ich dies jedoch für wahrscheinlich.
Jedenfalls hat dieser Punkt auf die vorliegende Frage keinen Einfluss. Auch für die Zahnwale
darf man, gestützt auf die nämlichen Gründ^annehmen, dass bei ihnen ein Theil der Zähne neuerworben
ist; dies giebt auch K ükenthal (II) zu, wenn auch nach ihm der Theilungsprocess der
Backenzähne in erster Linie in Betracht kommt, sobald es, sich darum handelt die grosse Zahnzahl,
hei den fraglichen Thieren zu erklären.
Bibliotheca zoologica. Heft 17. 20