I. Ich rieche an einem duftenden Stoffe, (welcher der Reinheit des Versuches halber am besten
ein chemisches Individuum, kein Gemisch ist, und geschmacklos sein muss, etwa Vanille, Naphthalin),
indem ich ihn vor die Nase halte, die Luft einziehe und mir den Geruch möglichst genau einpräge.
II. Von demselben Stoffe bringe ich eine kleine Quantität in den Mund, etwa in Wasser
gelöst; zunächst empfinde ich gar nichts, als die Gegenwart des Wassers im Munde. Mache ich nun
aber Schluckbewegungen, so glaube ich den in, Wirklichkeit geschmacklosen Stoff ganz deutlich im
Munde, an Zunge und Gaumen wahrzunehmen, und zwar mit einem ganz spezifischen „Geschmack“.
Zugleich aber erscheint mir die Natur der Empfindung anders als im ersten Versuche. Dies ist eine
Sinnestäuschung, die nur dadurch bedingt ist, dass ich im einen Falle (I) genau weiss, dass ich den
Stoff rieche, während ich mich im zweiten Falle nicht von der gewohnten Vorstellung los machen kann,
dass ich den Stoff im Munde wahrnehme, dass ich ihn also schmecke. Diese falsche Vorstellung reicht
aus, der Empfindung eine besondere Färbung zu geben.
III. Ich halte den Riechstoff vor den offenen Mund und sauge die riechende Luft durch diesen
ein, ohne etwas in die (am besten zugehaltene) Nase gelangen zu lassen. Jetzt schliesse ich den
Mund bei noch zugehaltener Nase, und empfinde noch gar nichts von dem Riechstoff. Jetzt lüfte ich
bei geschlossenem Munde das Gaumensegel, öffne gleichzeitig die Nase und empfinde sofort den
charakteristischen Eindruck des betreffenden Geruchs. Dabei ist die Lokalisation äusserst unvollkommen,
— selbst bei scharfer Aufmerksamkeit vermag ich den Ort der Wahrnehmung nicht zu erkennen.
Die Empfindung selbst erscheint mir wieder anders gefärbt als in Versuch I und II. Auch
diese scheinbare Verschiedenheit scheint mir nur auf der ungleichen Lokalisation zu beruhen. Im
Falle I weiss ich, ich rieche den Stoff mittelst der Nase, im Falle III bin ich völlig desorientiert, denn
dass mir sehr häufig riechende Dämpfe in die Choanen vom Rachen aus aufsteigen, das sagt mir der
Verstand, aber ich fühle es nicht, und darum wird mein Urteil verwirrt, wenn ich einmal bewusster
Weise Gerüche von hinten her in die Nase kommen lasse. In dem Falle II, wo ich die riechende
Flüssigkeit im Munde habe, weiss ich dies, und erwarte nun, ich würde, wenn überhaupt eine Empfindung,
eine Geschmacksempfindung haben, und wenn nun, bei Öffnung des hinteren Zuganges zur Nase, die
Empfindung eintritt, glaube ich, es sei eine Geschmacksempfindung und lege ihr noch obendrein Eigenschaften
bei, die sie nicht hat. Denn ich empfinde den gleichzeitigen Kontakt an Zunge und Gaumen
mit der Flüssigkeit und vermenge diesen Eindruck mit jenem. Ob also eine Empfindung dem Geruchs
oder Geschmackssinne angehört, entscheidet man in irgendwie schwierigen Fällen nicht nach der
Natur der Empfindung, sondern nach dem Orte, wo diese (scheinbar) zustande kommt.
Dies zur Illustration des Satzes, dass der menschliche Geruchssinn nicht durch die spezifische
Natur der Empfindungen vom Geschmackssinne geschieden ist. Nur d e r A g g re g a tz u s ta n d des
R e iz s to f fe s is t das u n te r s c h e id e n d e , wozu in den m e isten F ä lle n noch e in e ö rtlic
h e T ren n u n g der S te lle der P e rc e p tio n kommt, indem die e in e sinne sempfind-
lic h e S te lle n u r von g a sfö rm ig en , die an d e re von flü ssig e n und fe s te n R e iz s to ffe n
b e rü h r t wird. Aber selbst die Verschiedenheit des Aggregatzustandes des Reizstoffes trennt beide
Sinne nicht scharf; denn, wie schon erwähnt, vermögen auch flüssige Stoffe den Riechnerven und bekanntlich
auch gasförmige (Chloroformdampf) den Geschmacksnerven zu erregen. Da dies jedoch
experimentell erzeugte Vorgänge nicht natürlicher Art sind, haben wir dieselben nicht zu berücksichtigen,
sondern nennen R ie c h en : die Fähigkeit dampfförmige Stoffe wahrzunehmen und zu unterscheiden,
Schm e ck en : dieselbe Eigenschaft flüssigen Stoffen gegenüber.
Hieraus ziehe ich den weiteren Schluss: Es is t n ic h t g e r e c h tf e r tig t, bei W a s s e rtie
f e n neben dem G e s chm a ck s sin n e noch e in en b e s o n d e re n G e ru ch ss in n anzunehmen,
so n d e rn b e id e F u n k tio n e n fa lle n in ein e einzige zusammen.
Im folgenden gedenke ich die Momente für und wider diese Anschauung abzuwägen.
E. Jo u rd a n hat sich, wie ich glaube, ein grosses Verdienst damit erworben, dass er in
seinem Buche über „die Sinne und Sinnesorgane der niederen Tiere“ zum ersten Male den entscheidenden
Schritt that, viele der seither als Riechorgane angesprochenen Sinnesorgane von Wassertieren
unter den Geschmacksorganen zu behandeln. Ich war damals (zur Zeit des Erscheinens der deutschen
Übersetzung) schon zu dieser Anschauung gekommen — dass die Publikation dieser zu jener
Zeit in der Hauptsache schon fertigen Arbeit so sehr sich verspätet, hängt mit ihrer Ablieferung zur
Preisbewerbung zusammen) und fand in Jo u rd a n ’s Schrift eine willkommene Bestätigung.
Freilich unterlässt es Jo u rd a n gänzlich, die Begründung dieser prinzipiell wichtigen Frage
zu untersuchen, sowie die möglichen Einwände zu bekämpfen.
Jo u rd a n ist nicht der erste, der diese Ansicht ausgesprochen. Ich erwähnte schon, dass
zahlreiche Forscher das Riechvermögen der Wassertiere bezweifelt haben, ohne doch der Frage irgendwie
näher zu treten, und namentlich ohne die praktischen Konsequenzen zu ziehen, wie sie Jo u rd a n
und ich gezogen haben.
Ich citiere als Beispiel einer solchen Äusserung eine Stelle aus dem ausgezeichneten von
B id d e r geschriebenen Artikel „Riechen“ in W a g n e r’s Handwörterbuch der Physiologie:
„Man hat auch von einer Verbreitung der Riechstoffe im Wasser gesprochen; in dieser Ausdrucksweise
verbirgt sich eine Unklarheit der Begriffe. Dass abgelöste Partikeln eines sonst riechenden
Körpers durch eine tropfbare Flüssigkeit sich ausbreiten können, ist nicht zu leugnen. Aber
eben dadurch hören sie auf, riechbar zu sein. Der Riechstoff muss luftförmig sein, durch Luft uns
zugeführt werden, sonst ist er nicht riechbar, und wenn Wasser Geruchsempfindung hervorrufen kann,
so beruht es eben darauf, dass Partikeln desselben verdunsten, und das Riechbare mit sich
fort in die Atmosphäre führen. Dass das mit Riechstoffen geschwängerte Wasser unmittelbar als tropfbare
Flüssigkeit Geruchsempfindung erzeugen könne, hat man namentlich durch den Umstand beweisen
wollen, dass Fische dem Köder auf ziemliche Entfernung nachgehen. Doch darf hier noch
immer dem Zweifel Raum gegeben werden, dass es schwer zu entscheiden ist, ob diese Tiere dabei
durch den Geruch oder nicht vielmehr durch das Gesicht oder den Geschmack geleitet werden. So
lange nicht der Beweis geliefert wird, dass jemand bei einem continuirlich durch die Nase gehenden
und dieselbe völlig anfüllenden Wasserstrom die in letzterem etwa eingeschlossene Luft riechen könne,
dürfen wir billiger Weise zweifeln, dass den Fischen und anderen nur unter Wasser lebenden Tieren
ein Geruchsvermögen nach unseren Begriffen zukomme.“ —
Das gerade Gegenteil dieser B i d d e r ’sehen Anschauung, nach welcher nur flü c h tig e Stoffe
gerochen werden, ist die Schlussfolgerung A ro n so h n ’s (1. c.), welche dieser aus seinen Versuchen
über die Riechbarkeit von Flüssigkeiten zieht und deren Sinn kurz formuliert ist: auch geruchlose
Stoffe sind riechbar! Aro n so h n weist experimentell nach, dass es ein grösser Irrtum ist, wenn man
glaubt, Salze, wie Chlornatrium oder Magnesiumsulfat, riechen nicht; in geeigneter Lösung in die Nase
gebracht, erzeugen sie vielmehr eine deutliche Gerüchsempfindung. Ich kann die Thatsache bestätigen,
möchte mich aber davor hüten, die Konsequenz zu ziehen, wie sie A ro n so h n zieht. Wenn man
den Kopf vorn über beugt und die Nase mit der Salzlösung füllt, ist dies ein Zustand, der nicht als