Zustand, und es liegt kein Grund vor, zu bezweifeln, dass bei niedrig organisierten Tieren ein anderer
Zustand bestehe, vermöge dessen die Nerven mehrerlei Erregungen leiten können. Die Leitung ist
dann vielleicht entsprechend langsamer und unvollkommener.
Dass die Funktion der Centralorgane keine absolute Konstanz als wesentliche Eigenschaft
hat, ist wohl ziemlich allgemein anerkannt, und ich kann bezüglich der näheren Ausführung dieses
Gedankens auf W u n d t (1. c. pg. 219) verweisen.
Kaum nötig wird die Bemerkung sein, dass aus dem Gesagten keineswegs der Schluss zu
ziehen ist, ich betrachte als beim Zustandekommen einer einzelnen Empfindung massgebend und deren
Qualität bestimmend nur das periphere Nervenendorgan. Nur in der Phylogenese möchte ich diesem eine
grosse Bedeutung für die Auswahl der Reize und die Anpassung an die einzelnen Reizgattungen zuschreiben.
Ich halte die Sinneszellen in der Peripherie für denjenigen Teil des Sinnesapparates,
welcher nicht nur vom einzelnen Reize vorübergehend am meisten und zunächst beeinflusst wird, sondern
welcher auch infolge davon, dass er, den Lebensverhältnissen des Tieres entsprechend, von gewissen
Reizarten mehr als von anderen getroffen wird, seine Empfindlichkeit und Reaktionsweise gegenüber
den einzelnen Reizarten modifiziert. Die absolute Qualität der Empfindung ist aber jedenfalls
durch das empfindende Centralorgan bestimmt.
II. Der Nachweis von Riech- und Schmeekvermögen.
Was man unter Riechen und Schmecken zu verstehen habe, das ist nicht so leicht zu sagen,
wie es auf den ersten Anblick wohl scheinen möchte; ist es doch noch nicht lange her, dass man
Eigenschaften der Stoffe zu schmecken oder zu riechen glaubte, die man heutzutage als der Sphäre
des Tast- und Temperatursinnes zugehörig betrachtet. Ich erinnere an die zahlreichen Geschmacksqualitäten,
wie sie von L in n é und Anderen aufgestellt wurden; man sprach u. A. von öligem, scharfem,
aromatischem Geschmack, während man den letzteren heute dem Gerüche zuteilt, die ersteren als
Mischungen verschiedener Sinnesempfindungen ansieht.
Noch ungleich viel schwieriger ist naturgemäss die Entscheidung darüber, ob eine Sinnesempfindung
eines Tieres als dem Riech- oder Schmeekvermögen angehörig zu betrachten sei, oder
nicht. Die Art der zustande gekommenen Empfindung bleibt uns ganz unbekannt, über ihre Eigenschaften
können nur die äusserlich sichtbaren Reaktionen des Tieres einige Auskunft geben. Diese Reaktionen
sind aber nur zu oft mehrdeutig und irreführend, wie wir unten sehen werden.
Die Definition des Riech- und Schmeckvermögens als „chemische Sinne“ ist in so fern praktisch
nicht ausreichend, als wir wissen, dass auch andere Teile des tierischen Körpers als die Riech-
und Schmeckorgane, speziell auch andere Sinnesorgane, chemischen Reizen gegenüber Empfindlichkeit
zeigen können. Diese Empfindlichkeit ist somit kein zureichendes Critérium für den Nachweis eines
Riech- oder Schmeckorganes. Wir nennen es nicht riechen, wenn ein Mensch die Einwirkung von
Ammoniak- oder Osmiumsäuredämpfen auf seine Conjunctiva empfindet, wir nennen es nicht schmecken,
wenn ein Frosch einen auf seine Haut gefallenen Säuretropfen vermöge dessen chemischer Einwirkung
bemerkt. Yon einem Riech- oder Schmeckorgane verlangen wir vielmehr, dass es die Wahrnehmung
und Erkennung bestimmter das betreffende Organ berührender Stoffe vermöge deren chemischer Eigenschaften
ermögliche, und folglich imstande sei, verschiedene Stoffe zu unterscheiden. Chemische
Sinnestätigkeit muss der Zweck des Organes sein.
Es liegt in der Natur der Sache, dass der vollgiltige Nachweis dieser Eigenschaften bei Tieren
mit grossen Schwierigkeiten verknüpft ist, um so mehr, je ferner das betreffende Tier dem Menschen
in seiner Organisation steht, wodurch der Vergleich zwischen beiden immer mehr erschwert wird.
Wie können wir überhaupt erkennen, dass ein Tier verschiedene Stoffe vermöge deren chemischer
Einwirkung unterscheidet ? Verhältnismässig leicht ist es in den meisten Fällen zu erkennen, ob bei
einer Wahrnehmung des Tieres chemische oder sonstige (etwa mechanische, thermische, optische,
akustische) Einflüsse es waren, welche den Sinnesreiz bildeten. Ich gedenke nicht, die verschiedenen
Methoden zu diesem Zwecke hier zu besprechen, verweise vielmehr auf den speziellen Teil meiner
Arbeit, wo sie mehrfach an geeigneter Stelle erwähnt sind. Hier nur einige Worte. Hat man mittelst
einer Flüssigkeit einen Reizversuch gemacht, und das Tier hat auf die Annäherung oder Berührung
dieser Flüssigkeit reagiert, so ist es in allen irgendwie zweifelhaften Fällen geboten, Control-Versuche
mit einer indifferenten Flüssigkeit, in den meisten Fällen wohl mit Wasser (welches nicht zu warm
und nicht zu kalt sein darf!) einzuschalten, um sich zu überzeugen, ob nicht schon die Berührung
mit Flüssigkeit überhaupt Reaktion auslöst. Bei Versuchen über den Geschmackssinn fand ich es oft
zweckmässig, die normalen Nahrungsstoffe mit schmeckenden Substanzen zu durchtränken, um deren
Wirkung zu prüfen; in anderen Fällen kann man oft an Stelle der wirklichen Nahrung einen geschmacklosen
Stoff unterschieben, der sich mit den verschiedensten Substanzen durchtränken lässt, und so
sehr exakte und schöne Versuche gestattet.
Grosse Schwierigkeit kann es jedoch machen, zu erkennen, ob im einzelnen Falle dieser und
jener chemisch wirksame Stoff unterschieden wird. Im Wesentlichen sind wir hierin auf die einfache
Unterscheidung „angenehm“ und „unangenehm“ beschränkt, während Unterabteilungen der Empfindungen
schwer oder gar nicht zu erkennen sind. In den meisten Fällen ist es leicht, festzustellen,
ob das Tier die Einwirkung der Substanz, die man prüfen will, angenehm oder unangenehm empfindet,
sofern nur das Tier irgend welche Reaktion zeigt. Dass eine Wespe zwischen süss und bitter,
ebenso zwischen süss und sauer unterscheidet, ist leicht zu konstatieren. Ob sie aber sauer und
bitter von einander zu scheiden vermag, können wir nicht angeben. Ihre Reaktionsweise verrät uns
davon nichts. Für die Feststellung der Frage, ob und wo ein Tier ein Riech- oder Schmeckorgan
besitzt, genügt es nun freilich schon, die Unterscheidungsfähigkeit zwischen angenehmem und unangenehmem
Geschmack (Geruch) konstatiert zu haben. Wäre dies nicht der Fall, so stände es schlecht
mit unserer Kenntnis der Riech- und Schmeckorgane der Tiere, schlechter als es thatsächlich steht.
In nicht wenigen Fällen kennen wir genau die Organe, vermöge deren die Tiere (ich spreche hier
natürlich vorzugsweise von Wirbellosen) die Gegenwart eines ihnen angenehmen, etwa zur Nahrung
dienenden Stoffes erkennen und diesen sofort aufzusuchen vermögen. Leicht ist es dann, zu beweisen,
dass andere Substanzen, auf dieselben Organe einwirkend, Äusserungen von Unbehagen und Unlust
erzeugen, und dass das Tier diese Stoffe flieht. Mit diesen beiden Beobachtungen ist dann das
Riech- (Schmeck-) Organ überzeugend nachgewiesen.
Aber selbst diese bescheidene Forderung, den Nachweis der Unterscheidungsfähigkeit zwischen
angenehm und unangenehm, vermögen wir bis jetzt noch in zahlreichen Fällen nicht zu erbringen.
Die Gründe liegen am Tage: Um ein Tier mittelst eines Stoffes anziehen zu können, um eine „Anz
ie h u n g s re a k tio n “ zu erhalten, muss man erst Stoffe kennen, welche dem Tiere angenehm sind,
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