Die unter 1) zusammengefassten Erscheinungen bieten dem Verständnis fast weniger Schwierigkeit
als die Thatsachen der spezifischen Disposition. Welche Empfindungen durch Vermittlung eines
Sinnesorganes ausgelöst werden, das ist zunächst und vor allem bestimmt durch die Natur des Zeutral-
organes, in welches der Sinnesnerv einmünde^-. pnd welches der eigentlich empfindende Teil-ist..- Es
wäre nun denkbar und es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass das Zentralorgan verschieden reagieren,
d. h. verschieden empfinden würde,® nachdem ihm von der Peripherie her die eine oder die andere
Eeizart zugeführt würde (Indifferenz der Punktion, W u n d t 1. c. p. 235). ' Die Thatsache dass trotzdem
eine gewisse, oft hochgradige, Beschränkung in der Zahl der Reizarten existiert, weiche für einen
Sinnesapparat die wirksamenExoitantien darstelleil können,, erklärt sioh unschwer mittelst einer Vorstellung,
die, schon wiederholt ausgesprochen (so von E. H e rin g ), erst neuerdings wieder von
0. H e r tw ig (134) nachdrücklich betont nnd in ihrer Tragweite gekennzeichnet ist, ich meine die
spezifische E n e rg ie d,6r e in z e ln en Zelle. H e r tw ig versteht unter dieser Bezeichnung die
Erscheinung, dass „auf die g le io h e E e iz u rs a c h e verschiederife(iOrganismen o ft in ganz
en tg eg en g e se tz te r Weise g emäss ih r e r sp e z ifis c h e n S tru k tu r “ a n tw o r te n (1 3 4 p .Ä ,;
dass also die Drüsenzelle anders reagiert, als die Muskelzelte;,Ganglienzelle, Epithelzelle, Bindegewebszelle.
Als Organismen sind also für diesen Fall auch schon die einzelnen Zellen ¡tí verstehen. Eine
Folge der specifischen Energie der Zelle ist « b auch, dass eine bestimmte Zellart auf verschiedenartige
Reize oft in einer und derselben Weise reagiert, welche Weise eben durch die spezifische, anatomische und
chemische Struktur der reagierenden Zelle bestimmt ist. So reagiert eine Muskelzelle auf jeden wirksamen
Eeiz mit Kontraktion, 'jede Drüsenzelle mit Sekretion eine» bestimmten Stoffes,, nie aber umgekehrt.
Denken wir uns nun in den Sinnesapparat an irgend einer Stelle eine Zelle eingeschaltet,
welche, wie sie auch immer gereizt werden möge, Stets mit derselbeMfphysikalischen oder chemisohen)
Thätigkeit reagierte, so ist es leicht verständlich, wenn der von ihr zentralwärts-weiterlaufende Teil
des Sinnesapparates Btets nur einerlei Art von Erregung zugeführt erhält. Es gelangt eben nicht der
Erregungsvorgang der zuerst erregten Zelle durch einfache Leitung ins Gehirn, sondern der Vorgang
wird ein oder mehreremale durch Energieverwandlung verändert, manche Reize werden wie von einem
Siebe zurückgehalten. Es sei z: B. S eine Sinneszelle, etwa aus dem menschlichen Geschmaoksorgan 1
sie ist umsponnen von der Endauffaserung des Smnesnerven N, welcher auf der ändern Seite im Zentralorgan
in die Ganglienzelle G einmündet. Der Bau des Sinnesorganes möge nun bedingen, dass der
von der Oberfläche der Zungenschleimhaut her einwirkende Geschmacksreiz ausschliesslich oder vorzugsweise
die Sinneszelle und nicht die Endausbreitung des Nerven trifft. Die Folge der Reizung
der Smneszello durch den Geschmacksreiz wird eine Thätigkeit der Sinneszelle sein, nehmen wir an,
eine chemische Thätigkeit, d. h. die Sekretion eines Stoffes an ihrer ganzen Oberfläche. Der secernierte
Stoff nun wird erst den Reiz für das eigentliche Nervenende bilden, mit welchem er, da dasselbe die
Zelle allseitig umspinnt, in ausgedehntem Masse in Kontakt kommen wird. Wie nun die Leberzelle
stets Galle, die Nierenzelle Harn secemiert, so wird die Sinneszelle auch ihren spezifischen Stoff
- |aben, den* sie ausscheidet, und welcher es bedingt, dass das Nervenende, wie auch immer ursprünglich
die Sinneszelle erregt worden war, in monotoner Weise stets denselben Reiz, zugeführt erhält;
die Folge ist eine spezifische Empfindung des Sinnesapparates.
Die soeben gemachten Annahmen enthalten nichts unmögliches oder auch nur fernliegendes.
Sie stellen vielmehr nur eine speziellere Fassung des .alten J. Miillierzehen Satzes dar, dass wir
n ic h t die Zuständie, der A u s senw e lt em pfinden, sonde rn die Z u s tä n d e in unse rn
S in n e so rg a n e n , unterstützt durch unsere neuesten Erfahrungen über den Modus der Nervenendigung
in einigen Sinnesorganen.
Am schwierigsten könnte es scheinen, anzunehmen, dass der primäre Reiz gerade die Sinneszelle
und erst durch deren Vermittlung den Nerven, und nicht direkt den Nerven treffen sollte. Doch
dürfte sich das für die meisten Fälle wohl verstehen lassen. Beispielsweise in der Geschmacksknospe,
wo der Nerv mit seinen feinsten Endfasern sich hauptsächlich zwischen den Schmeckzellen eingebettet
findet, welch letztere wenigstens mit e in e r Seite frei an der Oberfläche liegen, ist es sehr erklärlich
wenn der Nerv selbst entweder gar nicht oder nur sehr wenig vom Reiz direkt getroffen wird. In
der Retina, lässt sich voraussetzen, wird der Lichtstrahl die durchsichtigen inneren Schichten fast
widerstandslos passieren, ohne erregend zu wirken. Im eigentlichen Sinnesepithel aber, welches von
den Pigmentzellen mit chemisch sehr leicht veränderlichen Substanzen versehen wird (Sehpurpur
etc.), sind die Bedingungen zu chemischer Wirksamkeit des Lichtstrahls und damit zu Reizungsvorgängen
gegeben.
Ich gedenke nicht, diese Einzelheiten hier für die sämtlichen Sinne durchzuführen, da sie
nicht direkt in die uns hier interessierenden Fragen eingreifen, und die eigentliche Art der Nervenendigung
noch vielfach ungenügend bekannt ist. Ich gehe vielmehr jetzt weiter zu der zweiten Gruppe
von Erscheinungen auf dem Gebiete spezifischer Sinnesenergien, der Eigenschaft der spezifischen Disposition
der Sinnesorgane für bestimmte Reize.
Wie eine solche im Grossen zu Stande kommen kann, habe ich oben schon besprochen, und
an den Beispielen einiger menschlicher Sinnesorgane durchgeführt. Es erübrigt nur noch auf die
schwierigeren Fälte einzugehen, denen wir schon beim Menschen, mehr aber noch bei niedriger stehenden
Wesen häufig begegnen, und für welche ich als Beispiel oben die Seitenorgane der Amphibien
und Fische anführte. Obgleich in dem Bau dieser und ähnlicher Sinnesorgane zunächst nichts liegt,
was für unser Verständnis die Erfolglosigkeit der einen Reizart, die Wirksamkeit der anderen genügend
erklärt, bleibt die Thatsache bestehen, dass derartige Sinnesapparate gegen die verschiedenen Einflüsse
der Aussenwelt in ungleicher Weise sich verhalten. Eine ähnliche spezifische Disposition hätten nach
Hj. Ohr wall die einzelnen Zellen des menschlichen Geschmacksorganes für die verschiedenen Geschmacksqualitäten,
nach H e lm h o ltz die empfindenden Elemente der Retina für die verschiedenen
Farben. Wie man sich die spezifische Disposition in diesen beiden Fällen zustande kommend denken
soll, ist noch völlig unklar. Relativ durchsichtig ist die Sachlage beim T em p e ra tu rs in n e , wenn
man über dessen Thätigkeit die von H e rin g herrührende Auffassung teilt. Die thermischen Endapparate
haben in jedem Augenblicke eine Eigenschaft, welche für die durch sie vermittelte Empfindung
entscheidend ist, nämlich ihre Eigentemperatur. Berührung mit einem ihnen gleichtemperierten
Gegenstände löst in den Endapparaten keine Thätigkeit, somit auch keine Empfindung aus, und wenn
die Endapparate infolge eines von aussen einwirkenden Temperaturunterschiedes ihre Eigentemperatur