Homo sapiens.
Die Ontogenie des menschlichen Zahnsystemes ist, besonders was die Beziehungen zwischen
erster und zweiter Dentition betrifft, neuerdings von R öse (I) und zwar in mustergültiger Weise
behandelt worden, so dass eine erneuerte Darstellung dieses Gegenstandes sióh Wesen#* als
eine Wiederholung der RösE’schen Schilderung gestalten würde, Desshalb beschränkte ich mich
auch im Verlaufe meiner Untersuchungen hauptsächlich darauf, einigen Fragen nachzugehen, an
welche sich ein besonderes theoretisches Interesse knüpft. Eine solche ist die erste Entwicklung
der Prämolaren des Ersatzgebisses. Die Erwägung, dass zwischen der ersten Anlage dieser
Zahne, resp. zwischen der Abschnürung der Schmelzleiste von den betreffenden Milchhackcnzähnon
und dem Durchbruche der Prämolaren ein ausserordentlich langer Zeitraum liegt — so ist die
erste Anlage des P 2 schon beim Embryo von 7‘/i Monate erkennbar, durchbricht aber erst im
10-~~12' Jahre das Zahnfleisch! — lässt von vornherein eigenthiimliche Modiücationen im Ent-
wicklungsproeess erwarten. Während nun über die Entwicklung der Prämolaren nach dem à S
treten von Hartgebilden an denselben zahlreiche Angaben in der Literatur vorliegen, geben die
mir bekannten Publicationen von den zeitigeren, vom allgemeinen Gesichtspunkte sehr intorcs,
santen Schicksalen derselben eine durchaus ungenügende Vorstellung. Die Thätsächen, welche
mir die Durchmusterung lückenloser Schnittserien — eine, wenn es sich um so grosse Objecte
wie Kiefer von Kindern handelt, besonders gednldpriifendc Methode — ergab, dürften ausserdmn
um so eher das Interesse,, der Fachgenossen beanspruchen können, als ja jeder neue: Befund, der
den Menschen betrifft, seine speciüschc Bedeutung hat.
Der erste Forscher, welcher einige Angaben über die frühesten Entwicklungsstufen der
menschlichen Prämolaren macht, ist K ollmann. Genauer beschreibt er aber nur die Anlage des
zweiten Prämolaren. Morgenstern hat an zwei Embryonen, die i und bsl< Monate alt waren, ') die
Anlage der Ersatzzähne stndirt. M. hat sich auf diese beiden Stadien beschränkt, weil er der
Meinung ist, dass „zur Lösung der Frage über den Ursprung der bleibenden Zähne zwei verschiedene
Alterstufen vollständig genügen« (!). Die im übrigen nicht besonders glückliche Arbeit,
welche R öse bereits einer Kritik unterzogen hat, enthält bratuibare Angaben und Abbildungen
von den Pramolar-Anlagen auf den fraglichen Stadien. Schliesslich theilt R öse (I) Beobachtungen
über das Auftreten, der Prämolaren mit, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Die Angaben der
erwähnten Autoren werden hei der folgenden Darlegung meiner eigenen, mehrfach abweichenden
Befunde Berücksichtigung finden.
’) Nach His Normaltafel würden die Maasse (19'/2 und 37’/2 Cmtr.) ein Alter von etwa 4 1/? und 7J/2 Monate angeben.
Folgende Unterkiefer habe ich auf Frontalschnitten untersucht:
Stadium A: Embryi3 T h Monate alt.
„ B: „ 8 „ „
„ C: Kind 3 Monate 1 Tag alt.
» D: » 3 „ 8 Tage alt.
» E: » 4 „ 15 „ „
» F : ». 6 D ^
„ G: „ 8 „ 10 „ „
„ H: „ 8 „ 29 „ ■ „
„ J : „ ■ 11 „ 10 „ „
„ K: „ 1 1 Jahr 3 Monate 4 T«
' „ L: 1 „ 10 „ 9
Wir wenden uns also zunächst zu den Prämolaren, welche ich, ohne damit etwas über
ihre Homologien ausgesagt haben zu wollen, in Uebereinstimmung mit dem gewöhnlichen Gebrauche
als P 1 und P 2 bezeichne.
Erster Prä/molar (P 1).
Stadium A. Die Schmelzleiste ist neben der Mitte des P d 1 an ihrem tiefen Ende
stark ängeschwollen, einen etwas unregelmässigen knospenförmigen Schmelzkeim (P 1) bildend,
welcher von einem deutlichen Zahnsaoke umgeben ist (Fig. 158 Sl’) ; auf dem abgebildeten Schnitte
hat er eine etwas unregelmässigere Form als auf den anderen Schnitten. Die grösste Breite des
Sehmelzkeimes beträgt 0,10 Mm. Oberflächlich hängt die Schmelzleiste mit einer langen Epithelperle
(e) zusammen; von dieser gehen einige Epithelstränge aus, welche den Best der Verbindungsleiste
mit P d 1 bilden.
S t a d ium B. Der Schmelzkeim (Fig. 159 Sl’), dessen grösste Breite 0,11 Mm. beträgt,
verhält sich wesentlich wie im Stadium A ; an seiner unteren Peripherie ist er deutlich eingekerbt.
Die hier beschriebenen Thatsachen stehen in — vielleicht mehr scheinbarem als wirklichem
— Widerspruche mit der Angabe B öse’s (I), dass selbst zur Zeit der Geburt noch keine
Spur von den Prämolaren vorhanden ist; denn er bemerkt ebenfalls, dass beim Neugebornen
„die Zahnleiste sich an der Stelle ihrer (d. h. der Prämolaren) späteren Entstehung eben erst
ganz leicht verdickt hat“, also mit anderen Worten, dass er die Prämolaren zur Zeit der Geburt
auf dem knospenförmigen Stadium beobachtet hat. Bei einem etwa viermonatlichen Embryo hat
dagegen Morgenstern (Fig. 3) den unverkennbaren knospenformigen Schmelzkeim des P 1 abgebildet.
Bei einem ältern Embryo, welcher ungefähr ebenso alt wie das von mir beschriebene
Stadium A ist, stimmt die von Morgenstern gegebene Abbildung (Fig. 12) der Anlage des P 1
in jeder Beziehung mit meiner Figur 158 überein. Wenn M. dagegen (pag. 241 und 356) behauptet,
dass „die beiden Ausstülpungen (am Schmelzkeim) zwei spätem Kronenhöckern entsprechen“,
so ist dieser Ausspruch als verfehlt zu bezeichnen, da, wie auch die folgenden Stadien
darthun, auf diesen zeitigen Entwicklungsstufen sicherlich kein Theil der zukünftigen Zahnkrone
durch Einkerbungen vorgezeichnet sein kann.
Im St a di um C und D ist P I , welcher neben der hintern Hälfte von P d 1 liegt,