als „Universalsinnesorgan“ bezeichnen. Es ist bekannt, dass nach der Annahme zahlreicher Forscher
die Pigmentflecken, welche manche Protisten besitzen, als Organ der Wahrnehmung von Licht- und
Wärmewcllcn funktionieren sollen, eine Annahme, die wir als unbewiesen aber immerhin wahrscheinlich
bezeichnen können. Damit wäre schon neben das Universalsinnesorgan eine Art von spezifischem
Sinnesorgan getreten. Da indessen auch zahlreiche pigmentlose Protisten das Licht empfinden, kann
sehr wohl auch bei jenen mit Pigmentfleck versehenen das übrige pigmentlose Protoplasma noch die
Fähigkeit der Lichtempfindung haben, und jener Fleck würde dann nur ein Mittel zur Verfeinerung
der Lichtempfindlichkeit darstellen.
Die Annahme von Universalsinnesorganon in der soeben kurz wiederholten Bedeutung bei
einzelligen und ncrvenlosen mehrzelligen Tieren darf ich wohl als in der Sache selbst fast allgemein
anerkannt voraussetzen und nur über die Art, wie man die Reaktionen dieser Art benennen soll,
könnten Zweifel bestehen. Meine Meinung ist nun die: Es is t höchst u nw a h rs c h e in lic h ,
ja kaum d e n k b a r, dass phylogen e tisch aus d ie sen u n iv e rs a le n S in n e so rg a n e n
g le ich das sp e zifisch d iffe ren z ie rte Sinnesorgan mit nur e in e r a d ä q u a te n R e iz m
o d a litä t e n ts ta n d e n sein sollte. Es muss v ie lm eh r e in e Zwischen form geben,
welche zwar die F ä h ig k e it, alle R e iz a rten zur richtigen D eu tu n g zu b rin g e n ,
c in g e b ü s s t h a t, a b e r immer noch au f e in e Meh rh e it von Reizen ab g e stimm t ist.
Diese Annahme scheint mir die notwendige Konsequenz der phylogenetischen Entwicklung der Organismen
überhaupt zu sein. Es ist schon vielfach ausgesprochen worden, dass die spezifischen
Sinnesorgane sich aus dem universalen Sinnesorgane der Protisten und demjenigen, welches im Ektoderm
oder „Sinnesblatt“ (Remak) der Gasträaden verkörpert ist, heraus entwickelt habe (Eimer, Häckel,
Hertwig.) Wie indessen diese Entwicklung zu denken sei, welche Stufen sie durchlaufen habe —
da sie doch nicht in einem einzigen Sprunge vom Universalsinnesorgan zum spezifischen Sinnesorgane
geschehen sein kann — darüber finden sich bei allen den genannten Autoren mit Ausnahme R a n k e ’s
eigentlich nur kurze Andeutungen.
R a n k e äussert sich, bei Gelegenheit der Besprechung des Hirudineenauges, wie folgt: Er
erwähnt zunächst, dass die Augen des Blutegels vom Reize schmeckender Substanzen wie von Berührungen
so gut wie die übrige Sinnesorgane am Mundrande getroffen werden müssen, (pg. 160.)
„Müssen wir nun daraus schliessen, dass das Sehorgan des Egels nicht nur Gesichtsempfindungen zu
vermitteln, sondern wenigstens gelegentlich auch noch zwei anderen von der ersteren und unter einander
selbst verschiedenen spezifischen Energien zu dienen vermag? Ich glaube, dass eine andere Anschauung
mehr Berechtigung besitzt.“
Diese andere Anschauung gipfelt nun darin, dass R a n k e annimmt, „dass die Gesichtsempfindung
des Blutegels, seinen Lebensbedingungen angepasst, noch etwas von einer Tastempfindung
und Geschmacksempfindung an sich trägt.“ R a n k e hebt hervor, dass die verschiedenen Sinnesempfindungen
auch beim Menschen noch zuweilen nahe Beziehungen aufweisen, und dass sie als aus
gemeinsamer Grundlage, dem Gemeingefühl, hervorgegangen zu denken sind.
Ich kann die Gegenüberstellung dieser beiden Anschauungen und die Bevorzugung der letzteren
vor der ersteren nicht zutreffend finden. Was soll damit gesagt sein: Die Gesichtsempfindungen des
Egels haben etwas von der Tastempfindung an sich? Die absolute Qualität der Empfindungen dieser
Tiere bleibt uns ja gänzlich verschlossen, wir können bestenfalls über die Beziehungen der verschiedenen
psychischen Reaktionen zu einander einige Klarheit gewinnen; und da scheint mir nun
doch die Hypothese nicht haltbar, dass die Empfindungen der einzelnen Sinne bei niederen Tieren
sich nur nach Gefühlen der Lust und Unlust unterscheiden lassen, wie Ranke an einer ändern Stelle
will. Ob ein Egel an seinem Munde von einem Geschmacksreiz, einer Berührung, oder einem Lichtstrahle
getroffen wird, das, glaube ich, unterscheidet er mit Sicherheit. Mit der Scheidung in Lust-
und Unlustgefühle kommen wir hier nicht zum Ziele. — Ich komme auf diesen Punkt nach Erörterung
einiger nötiger Vorfragen unten zurück.
Mit wenigen Worten habe ich noch die Wahl meines Namens „W c c h se ls in n e so rg a n “
zu begründen, namentlich die Bevorzugung dieses Namens gegenüber den von R an k e und Häcke l
gebrauchten Ausdrücken „Ü b e rg an g s sin n e so rg an “ bezw. „g emischtes S in n e so rg an .“
R a n k e giebt in seiner Abhandlung keine eigentliche Definition dessen, was er Übergangssinnesorgan
nennt, ja er verwendet diese Namen sogar nur in der Überschrift seiner Arbeit, im Texte
selbst nicht. Nun geht freilich seine Fassung des Begriffes aus seinen Worten, speziell auch den
oben citierten, klar hervor; wenn aber auch die soeben berührte Differenz in der prinzipiellen Auffassung
R a n k e ’s und der meinigen nicht bestände, hätte ich doch aus einem anderen Grunde Bedenken,
den von Ranke gewählten und sehr passenden Namen auch für meine Zwecke zu verwenden:
desshalb nämlich, weil unter den von Ranke besprochenen zwei Beispielen das eine sicherlich, das
andere vielleicht nicht unter den Begriff des „Wechselsinnesorganes“ fällt. Bei dem Gehörorgan der
Acridier halte ich durch seine Bauart einen Funktionswechsel, das Funktionieren als Organ mehrerer
Sinne für ganz ausgeschlossen, halte es also für ein wohl entwickeltes spezifisches Sinnesorgan. Beim
Egel ist es mir ebenfalls recht fraglich, ob seine Augen noch nebenbei Tast- und Geschmacksorgane
sind. Aus diesem Grunde halte ich es für verwirrend und desshalb unzweckmässig, den von Ranke
benützten Namen auf den Begriff, wie ich ihn fasse, zu übertragen.
Mit H ä c k e l glaube ich bezüglich der Auffassung der Funktion niedrig entwickelter Sinnesorgane,
soweit er sich in dieser Frage geäussert hat, übereinzustimmen. Häckel nennt „gemischte
Sinnesorgane“ solche, welche verschiedene Arten von Sinnesempfindungen, natürlich in unvollkommener
Ausbildung, zu vermitteln vermögen. (126 pg. 118.) Der Begriff deckt sich somit mit demjenigen des
Wechselsinnesorganes. Ich zog trotzdem den letzteren Namen vor, erstens weil er kürzer ist und dem
„Universalsinnesorgan“ besser entspricht, und zweitens, weil der Ausdruck „gemischtes Sinnesorgan“
sprachlich und begrifflich etwas anfechtbar gefunden werden könnte. ’) Auf einen weiteren Grund,
der mich gerade die Bezeichnung Wechsclsinnesorgan wählen liess, komme ich weiter unten zu
sprechen.
Ich möchte wohl wissen, wie Rawitz , der meine Deduktion so scharf verurteilt, v. Hans
te in und etwaige andere Gleichgesinnte, sich das spezifische Sinnesorgan entstanden denken. Irgend
eine Entstehungsart muss man sich doch vorstellen.2) Sollten die ersten Sinnesorgane, die bei Meta-
’) Das Sinnesorgan ist ja jedenfalls nicht gemischt, sondern höchstens könnte das von den Empfindungen gesagt
werden,- die es vermittelt.
H ä c k e r s Bezeichnung betrachtet mehr die Möglichkeit g l e i c h z e i t ig e n Zustandekommens verschiedenartiger
Reizungen,meine mehr das a b w e c h s e ls e ln d e Funktionieren im Dienste bald dieses, bald jenes Sinnes.
2) Man scheint sich aber hierüber zuweilen überhaupt keine Gedanken zu machen. Die Sätze der menschlichen
Physiologie werden ohne weiteres, nicht selten noch unrichtig gefasst, auf die niederen Tiere übertragen. Das Resultat
kann kein gutes sein.
Wie sonderbar anthropomorpliisierend sie handeln, dessen sind sich diejenigen Forscher wohl kaum bewusst