so viel scheint mir eben nach vielfachen eigenen Untersuchungen und Beobachtungen unzweifelhaft,
dass ursprünglich eine und dieselbe Zelle für verschiedene Sinnesreize empfänglich ist, wie z. B.
thatsächlich manche augenlose Tiere, Insektenlarven und Würmer, offenbar durch ihre Oberhautzellen
für das Licht empfindlich sind, und zwar scheint dasselbe wie ein schmerzhafter Tastreiz auf sie
zu wirken.“
pg. 359. „Am längsten werden offenbar Tast-, Riech- und Schmeckempfindungen durch dieselben
Zellen zugleich vermittelt und desshalb sucht man vergebens bei vielen niederen Vielzelligen
getrennte Organe für diese Qualitäten.“
Auch die Worte eines Forschers, dessen Untersuchungen auf einem von denjenigen der bisher
citierten Autoren wesentlich abweichenden Gebiete sich bewegen, habe ich hier anzuführen, nämlich
Worte von W u n d t, welche beweisen, dass auch ihm die von mir als Wechsel- und Universalsinnesorgane
bezeichneten Begriffe für seine „Entwicklung der Sinnesfunktionen“ (in: Grundzüge der physiologischen
Psychologie 1) unentbehrlich sind. W u n d t sagt u. A. (pg. 289) „Schon früher wurde
bemerkt, dassj bei jenen niedersten Wesen, deren Leibesmasse aus Protoplasma besteht, sichtlich
diese kontraktile Substanz zugleich der Sitz der Empfindungen i s t ............ Bei der Gleichartigkeit
des Protoplasmas werden hier die Empfindungen als höchst gleichförmige vorauszusetzen sein, und
wir werden annehmen dürfen, dass diejenigen äusseren Reize, welche die Bewegungen des Protoplasmas
anregen, zugleich die Bedeutung von Sinnesreizen besitzen. Dies sind unter den normalen
Lebensverhältnissen der Protozoen die Druck-, Temperatur- und Lichtreize. Die beiden ersteren
können nicht nur auf die Tastoberfläche des Tieres, sondern auf dessen ganze Leibesmasse einwirken;
die Tast- und Gemeinempfindungen scheinen also noch ungetrennt zu seinj während Druck
und Temperatur bei der grossen Verschiedenheit der Bewegungen, die sie am Protoplasma verursachen,
bereits zu disparaten Empfindungen Anlass geben dürften. Da die thermische Reizung sichtlich mit
einer tiefer greifenden chemischen Veränderung der kontraktilen Substanz verbunden ist als die mechanische,
so liegt es nahe in dieser doppelten Reizbarkeit des Protoplasmas die Grundlage zu vermuten,
von welcher die Entw’ickelung der mechanischen und der chemischen Sinne ausgeht. Auch chemische
und elektrische Reize wirken auf die Protoplasmabewegungen ein. Doch gehören dieselben jedenfalls
nicht zu den gewöhnlichen Lebensreizen,]) und es ist zweifelhaft, ob sie andere als Druck- und
Temperaturempfindungen veranlassen. Am ehesten könnte man annehmen, dass chemische Veränderungen
der umgebenden Flüssigkeit, welche die Diffusionsbedingungen für die oberflächlichen Schichten
der kontraktilen Substanz verändern, in eigentümlicher Weise empfunden werden, worin ein primitives
Äquivalent für die späteren Geschmacks- und Geruchsempfindungen zu sehen wäre. Das Licht wirkt
bei den niedersten Protozoen ebenfalls auf das ganze Tastorgan; doch lässt sich die Annahme nicht
abweisen, dass die Pigmentflecken an der Körperoberfläche bei manchen Infusorien Vorrichtungen
zum Behuf der Lichtabsorbtion darstellen, welche das umgebende Protoplasma für Licht empfindlicher
machen und auf diese Weise als einfachste Sehorgane zu deuten sind.“
pg. 292. „Wenn von den Wirbellosen bis herauf zu den Arthropoden und Mollusken bestimmte
Organe, die der Geschmacks- und Geruchsempfindung dienen, nicht nachzuweisen sind, so
dürfte der Grund eben darin liegen, dass gewisse empfindlichere Tastwerkzeuge zugleich durch Ge-
') Dieser Satz W u n d ts kann offenbar neben den oben erwähnten Resalta ten P f e f f e r s , S t a h ls u. A., welche
ein hochgradig ausgebildetes Schmeckvermögen bei Protisten beweisen , nicht zu recht bestehen. Die chemischen Reize
sind in ihrer vitalen Bedeutung den ändern drei Reizarten (Druck, Temperatur, Licht) unbedingt gleichzusetzen.
ruchs- und Geschmackseindrücke in eigentümlicher Weise erregt werden.“ . . . „So deutet man denn
in der That manche cilientragende Tastzellen der Wirbellosen oder gewisse vorzugsweise bei der
Nahrungssuche beteiligte Tasthaare, wie sie bei den höheren Mollusken in der Nähe der Atmungsorgane,
bei den Insekten an den Antennen Vorkommen, als Geruchsorgane. Wo, aber selbst der
Beginn einer solchen Differenzierung noch nicht nachzuweisen ist, da dürften die mit hoher Tastempfindlichkeit
begabten Fühlfäden der niederen Wirbellosen zugleich mehr als andere Stellen der Hautoberfläche
chemischen Einwirkungen zugänglich sein und auf diese Weise als Riech- und Geschmacksorgane
funktionieren.“
Als letzten, aber nicht als den geringsten Zeugen führe ich H ä c k e l an; und zwar findet sich
die charakteristischste hierher gehörige Stelle in seiner Monographie der Gcryoniden. Sie erschien mir
so wichtig, dass ich sie an die Spitze meiner Abhandlung gestellt habe. Indem ich auf diese Stelle
zurückweise, schliesse ich hier noch ein Citat aus einer populären Schrift (125) desselben Autors an,
wo er sich in ähnlichem Sinne ausspricht.
(pg. 29). „Es ist daher wohl möglich, dass die sehr verbreiteten haartragenden Sinneszellen, die
wir auf der Hautoberfläche niederer Tiere antreffen, zum grossen Teil nicht bloss einfache Tast- und
Wärmeempfindungen, sondern auch Schallwahrnehmungen vermitteln, dass sie bereits Anhänge von
Hörorganen sind.“ . . . . „Die grosse Schwierigkeit der wir schon hier begegnen, einfache Tastorganc
von den ersten Anfängen wirklicher Iiörorgane zu unterscheiden, ist von hohem Interesse. Denn es
zeigt sich gerade hierin die nahe Verwandtschaft der verschiedenen Sinnesempfindungen, und es wird
dadurch erklärlich, wie sich die höheren differenten Sinne ursprünglich aus dem niederen indifferenten
Gefühl der äusseren Haut haben entwickeln können. Dieselbe Schwierigkeit tritt uns bei vergleichender
Betrachtung der anderen Sinne entgegen und findet auch hier dieselbe stammesgeschichtliche Erklärung.
Namentlich mit Bezug auf die beiden chemischen Sinneswerkzeuge, Geschmacks- und
G eruch sorg an, sind wir nicht im Stande, bestimmte Angaben über ihre charakteristische Beschaffenheit
und ihre Abgrenzung von indifferenten Tastorganen zu machen.“
Mit vorstehenden Citaten glaube ich zur Genüge dargethan zu haben, dass der Begriff, den
ich mit dem Namen „Wechselsinnesorgan“ bezeichne, nicht aus der Luft gegriffen, sondern von zahlreichen
Autoren bei ihren Untersuchungen über Sinneswerkzeuge niederer Tiere als zu recht bestehend
angenommen ist, wenn er auch bis jetzt noch keine ausführliche und zureichende Begründung erfahren
hat und namentlich eine zusammenhängende Behandlung des Gegenstandes gänzlich fehlt.
Ich habe oben zusammengestellt, was wir über die Sinnesäusserungen einzelliger Wesen wissen,
und wir fanden dabei, dass dieselben auf mehrere von einander weit abweichende Reizarten so deutliche
und charakteristische Reaktion zu erkennen geben, dass wir alles Recht haben, bei diesen Wesen
von der Existenz mehrerer Sinne zu sprechen, freilich mit dem Vorbehalt, dass hier der Begriff
„Sinn“ vielleicht etwas anders zu fassen sei, als bei höheren Tieren. Bei vielen Protisten kann man
durchaus keinem Teile des Zellteiles eine besondere Disposition für Reizaufnahme überhaupt zuschreiben,
bei anderen Arten sind es die Fortsätze des Protoplasmakörpers, welche vermöge einer
besonders geeigneten Struktur vorzugsweise der Perception von Sinnesreizen dienen. Ein Unterschied
in der Empfindlichkeit gegen die einzelnen Reizarten ist nicht zu bemerken und auch höchst unwahrscheinlich;
wir konnten daher, an den von H ä ck e l gebrauchten Ausdruck uns anlelmcnd, das —
durch die Körperoberfläche repräsentierte — Organ der sinnlichen Empfindungen mit gutem Grunde