Die Verhältnisse werden nun dadurch verwickelter, dass die obersten (proximalen)
Tochterknospen unter lebhaften Pumpbewegungen sich successive von dem Manubrium loslösen
und frei schwimmende Mutterkolonien begründen. Die Ersatzknospen bleiben dagegen zunächst
noch sitzen, indem sie denselben Entwicklungsgang durchlaufen wie die frei gewordenen älteren
Tochtermedusen. An Grösse und entsprechendem Entwicklungsgrad gleichen die proximalen
Ersatzknospen den jüngeren distalen Tochterknospen. Es wird sich empfehlen, die eben erwähnten
Ersatzknospen als solche ersten Grades zu bezeichnen, denn die E r s a tz k n o s p e n
e r s te n G ra d e s le g e n i h r e r s e i t s E r s a tz k n o s p e n zw e ite n G ra d e s an , welch e
w ie d e rum in d i s t a l e r R ic h tu n g an G rö ss e abnehmen. Die letztgenannten Knospen
(a', b', c' . . .) sind den ersteren opponirt und können, wie ich dies bei Sarsia gemmifera sicher nachzuweisen
vermag, bereits angelegt werden, bevor die Tochtermedusen sich loslösen. Es bestehen
also hier die in ihrer Ausbildung am weitesten vorgeschrittenen Gruppen aus zum Loslösen
reifen Tochtermedusen (Fig. 5 A), an deren Manubrium mehrere Enkelknospen (a, ß, y) angelegt
werden, aus einer Ersatzknospe ersten (a) und einer Ersatzknospe zweiten Grades (a'). Da ich
n u n . auch an den ältesten (proximalen) Ersatzknospen ersten Grades wiederum Urenkelknospen
am Manubrium angelegt fand, so lässt sich an diesen prächtigen knospenden Sarsien die Geschichte
der Kolonie gewissermassen ablesen und das Schicksal jeder einzelnen Knospe für Vergangenheit
und Zukunft mit Sicherheit angeben.
Es ist selbstverständlich schwer zu sagen, wie oft dieser Vorgang des successiven Ersatzes
sich in distaler Richtung am Manubrium abspielt. Systematisch angestellte Züchtungsversuche
unter Bedingungen, welche jenen im freien Meere möglichst nahe kommen, werden
hierüber leicht Aufschluss geben. Ich verzichte deshalb darauf, an dieser Stelle meine Berechnungen
wiederzugeben, welche die erstaunliche Vermehrungskraft der proliferirenden Sarsien
unter der Annahme illustriren, dass jede Tochtermeduse, jede Enkelknospe und Ersatzknospe eine
Mutterkolonie begründet und dass an jeder Kolonie sich mehrmals der genannte Ersatz wiederholt.
Um indessen das Knospungsgesetz durch einige Formeln zu illustriren, so wende ich jene
Bezeichnungsweise an, welche für die Tafelerklärung gewählt wurde. Es seien die dem Manubrium
ansitzenden Tochterknospen mit A, B, C, D, E . . . bezeichnet, wobei A die älteste proximale,
E die jüngste distale Knospe bedeutet. Unter derselben Voraussetzung mögen mit a, b, c, d, e . . .
die Ersatzknospen ersten Grades, mit a', b', c', d', e ' . . . die Ersatzknospen zweiten Grades angedeutet
werden. Endlich erhalten die Enkelknospen die Benennung a, ß, y, 8, s . . . Es würden
sich dann folgende Formeln ergeben, wobei die links stehende Formel für eine eben frei gewordene
Meduse mit Tochterknospen, die rechts folgenden für die späteren Stadien Geltung haben.
A A. a A (a, ß) a A (a, ß, y, 8) a a' A (a, ß, y, 8, e) a a'
B B. b B (a) b B (a, ß, y) b b‘ B (a, ß, y, 8) b b' B («, ß, y, 8, e)
C C. c C. c C (a, ß) c C (a, ß, y) c c' c («, ß, r> 8) c
D D D. d D (a) d D (a, ß) d D (a, ß, y) d. d
E E E E. e E (a) e E («, ß) e
F F F F. f F («) f.
G G" G. g
b V
Es bleibt mir zum Schlüsse nur noch übrig, den Nachweis zu führen, dass mit dem hier
dargelegten Knospungsgesetze auch die von früheren Beobachtern publicirten Abbildungen knospender
Sarsien — mit Ausnahme der Sarsia siphonophora — in Einklang stehen.
Relativ einfach liegen die Verhältnisse bei den von K e fe rste in und Al Im an gegebenen
Zeichnungen, insofern wir es hier mit jungen Medusen zu thun haben, welche drei in distaler
Richtung an Grösse abnehmende Tochterknospen am Manubrium erkennen lassen. Auch das
jüngere von M e ts c h n ik o f f abgebildete Exemplar einer Dipurena (1871, Taf. III, Fig. 5) zeigt
drei distalwärts an Grösse abnehmende Tochterknospen, von denen die älteste zwei Enkelknospen
aufweist, deren Grössenverhältnisse genau dem Gesetze entsprechen. Was nun die älteren Stadien
anbelangt, so bemerke ich, dass Metschnikoffs Abbildung einer Dipurena dölichogaster mit fünf
Knospen sich wiederum leicht auf das obige Gesetz zurückführen lässt. Die drei oberen Knospen
nehmen distalwärts an Grösse ab und repräsentiren Ersatzknospen ersten Grades; die zwei unteren
Knospen sind Tochterknospen, deren Grössenverhältnisse richtig wiedergegeben wurden. Nur
insofern ist in der Abbildung ein kleines Versehen untergelaufen, als zwischen den beiden obersten
Knospen eine leichte knospenförmige Aussackung des Manubriums eingetragen wurde — dagegen
■ ist richtig an der obersten Knospe die Ersatzknospe zweiten Grades gezeichnet worden.
Mit besonderer Genugthuung betone ich, dass der Entdecker der knospenden Sarsiaden,
nämlich E d u a rd F o rb e s , seine Zeichnungen durchaus gewissenhaft entworfen hat. Von einer
gesetzmässigen Anordnung der Knospen hatte er keine Ahnung, indem er von ihnen ausdrücklich
hervor hebt: „They are not distributed over its surface in any regulär order according to their
degree of advancement, but intermingled.“ Zum Beweis dafür verweist er auf das vergrössert
dargestellte Manubrium der Sarsia gemmifera (1848, Taf. VII, Fig. 2e),
an dem sechs Knospen anscheinend regellos vertheilt sind. Bei dem
Interesse, welches der Gegenstand beansprucht, gestatte ich mir, eine
genaue Copie der genannten Abbildung von F o rb e s zu reproduciren
und nachzuweisen, dass auch sie durchaus im Einklang mit dem Knospungsgesetz
steht. Die Knospen alterniren ebenso an dem Manubrium,
wie ich es von einem jüngeren Stadium in Fig. • Ö dargestellt habe.
Sie zerfallen in zwei Sätze, welche in distaler Richtung an Grösse
abnehmen, nämlich in vier obere und in zwei untere Knospen, die ungefähr
auf der gleichen Entwicklungsstufe stehen wie die beiden oberen.
Die Deutung dieses Verhaltens fällt nun an der Hand des Knospungsgesetzes
nicht schwer: die vier oberen Knospen (a, b, c, d) sind Ersatzknospen
ersten Grades, die beiden unteren (E, F) sind Tochterknospen.
In der Abbildung von F o rb e s sind sogar richtig Ersatzknospen ersten
(e) und zweiten Grades (c') angedeutet!
Das Auftreten proliferirender Sarsiaden, von denen wir eine Art, nämlich die oben geschilderte
Dipurena dolichogaster, sowohl im geschlechtlich thätigen, wie im proliferirenden Zustand
kennen, möchte der Auffassung Vorschub leisten, dass beide Vermehrungsweisen in regelmässigem,
cyklischem Wechsel in die Lebensgeschichte der Art eingreifen. Es kann diese Auffassung nicht
ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden, obwohl wir andererseits sichere Angaben besitzen,
B ib lio th e c a zoologica. Heft 19. 2