
Die starke Cuticula des ausgewachsenen, gcschlechtsreifen Tieres ist so widerstandsfähig gegen allerlei
chemische Agentien, dass man sich keine Situation denken kann, in welche das freilebende Tier geraten
könnte und in welcher seine Existenz durch ein chemisches Agens gefährdet würde. Andere
Tiere, welche nicht so gut geschützt sind, besitzen dafür die Fähigkeit, durch ihren chemischen Sinn,
durch ihr äusseres Geschmacksvermögen die Gegenwart reizender und schädlicher Stoffe zu bemerken
und diesen sodann durch die Flucht sich zu entziehen. Eine weitere Eigentümlichkeit kommt Gordius
neben seiner starken Schutzhülle zu, das ist der in der Zeit der Geschlechtsreife, welche er im Wasser
verlebt, obliterierte Mund und Yorderdarm. Infolge dessen können schädliche Stoffe gar nicht in
seinen Körper eindringen. Weiter wirkt der Verschluss des Mundes aber auch dahin, dass der Geschmackssinn
noch aus einem weiteren Grunde unnötig und wertlos wird: Das mundlose Tier nimmt
natürlich keine Nahrung auf, und bedarf daher auch keines Mittels zur Erkennung und Auswahl von
Nahrungsstoffen. Vor der Geschlechtsreife, also während der Wurm im Unterleibe von Raubinsekten
lebt (in Wasserkäfern, Silpha u. A., aber auch nicht selten in Heuschrecken und Raupen), ist er vor
der Gefahr schädlicher Einwirkung seiner nächsten Umgebung auf ihn noch sicherer, als im Freien,
bedarf daher keines weiteren Schutzes ausser seiner Cuticula. Und eines feinen Schmeckvermögens
am Munde bedarf er hier deshalb nicht, weil er wahllos einfach alles frisst, was er vorfindet. Schliesslich
hat er das ganze Abdomen seines Wirtes leer gefressen, und wandert nun aus. Eines Schmeckvermögens
werden nur die Embryonen bedürfen, die frei im Wasser eine zeitlang zubringen; ihnen fehlt noch die derbe
Cuticula und ihre Epidermis kann daher vielleicht als einfaches Wechselsinnesorgan noch Geschmackseindrücke
aufnehmen. Ebenso unempfindlich wie Gordius ist der ebenfalls durch derbe Cuticula geschützte
kleine T u life x rivulorum] er reagiert dagegen stark auf Erschütterungen. Chaetogaster
diaphanus, der in Menge auf Limnaeus schmarotzt, ist etwas empfindlicher gegen chemische Reizung,
ist aber zu Versuchen zu klein. Das gleiche gilt von N a is proboscidea. Die zahlreichen kleinen
Wurmarten, welche in Fröschen und anderen Tieren schmarotzen sind äusserst wenig empfindlich, so
dass man ihnen Geschmackssinn völlig absprechen kann.
D i e M o l l u s k e n .
Bezüglich der Organe des chemischen Sinnes der Mollusken stehen sich zwei hauptsächliche
Anschauungen gegenüber: Die- eine hauptsächlich von Cu v ie r vertretene und heute fast ganz verlassene
schreibt der g anzen H a u t die Fähigkeit des Riechens zu, die andere mit zahlreichen neueren
Vertretern sucht bestimmte Organe für den Geruchssinn festzustellen, und deren Homologie bei den
einzelnen Familien nachzuweisen.
Namentlich um den letzeren Punkt haben sich die Morphologen bemüht; es sollten womöglich
bei allen Molluskenordnungen Riechorgane gefunden werden, die sich als homologe Bildungen erkennen
Hessen, die eine bestimmte Lage am Körper, bestimmte Beziehungen zum Nervensystem hätten u. s. f.
Der Versuch S p e n g e l’s, das von G e g e n b a u r bei Pteropoden gefundene, bei anderen Mollusken
von L e u c k a r t beschriebene und dann von de L ac a z e -D u th ie rs neu „entdeckte“ sog. Lacaze’sche
Organ bei allen Molluskenordnungen nachzuweisen, ist von grossem Interesse, und ja auch zum Teil
gelungen. Unglücklich aber war die Idee, dass damit ein allen Weichtieren gemeinsames Riechorgan
gefunden sein sollte; davon unten näheres!
Verschiedene Forscher haben sich bemüht, experimentell den Sitz des Geruchsorganes bei den
Schnecken festzustellen. Wenn man jedoch die Arbeiten überblickt, welche über Riech-und Schmeck-
organe niederer Tiere geschrieben sind, so macht sich bei keiner Tierklasse so sehr wie bei den
Mollusken der bedauerliche Gebrauch geltend, nicht nur Arbeiten über das Riechorgan zu schreiben,
ohne Versuche in dieser Hinsicht anzustellen, sondern sogar die vorhandenen experimentellen Arbeiten
einfach unberücksichtigt zu lassen. Der Sache selbst hat das nicht zum Vorteil gereicht. Angesehene
Forscher haben Theorien über den Sitz des Geruchsorganes der Schnecken aufgestellt, über welche
wir jetzt nur erstaunen können. Es ist gewiss zuzugeben, dass das Experiment bei Mollusken oft
keine eindeutige Antwort gibt, so dass wiederholt verschiedene Forscher aus dem gleichen Experiment
entgegengesetzte Schlüsse ziehen konnten. Das darf aber doch nicht den Anlass geben, die
Versuche einfach zu ignorieren, cs sollte vielmehr dazu führen, dass man die Versuche vorsichtiger
anstellt und die Schlüsse vorsichtiger zieht. Meiner Ansicht nach haben sich Forschungen über noch
unbekannte Sinnesorgane und deren Bedeutung in erster Linie auf biologische Beobachtungen und experimentelle
Untersuchungen am lebenden Tiere zu stützen, womit eine Berücksichtigung der anatomischen
Verhältnisse verbunden werden muss. Das Mikroskop und Mikrotom können uns niemals für die Funktion
eines Organes Beweise geben, wenn die Physiologie nicht zu Hilfe kommt. Schon eher kann man
Erfolge haben, wenn man allein sich auf Versuche stützt, das einzig sichere aber ist das Zusammenwirken
beider Methoden.
Auch die erwähnte Tendenz, homologe Riechorgane für alle Ordnungen aufzustellen, hat der
Forschung nicht zum Vorteil gereicht. Sie beruht auf falschen Voraussetzungen. Man glaubte bei
den Insekten ebenso verfahren zu können, und das hat sich als unmöglich herausgestellt. Die Geschmacksorgane
haben sich an verschiedenen Stellen in der Gegend des Mundes aus den primitiven
Hautsinnesorganen herausgebildet, oder von diesen abgegliedert: Eine gewisse Homologie fanden wir
insofern, als z. B. das Gaumenorgan, bei allen Insekten Ordnungen wiederkehrt, aber es ist nur mor-
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