(vergl. Rundschau VIII. 91) zu thun habe. Unseres Erachtens läge es hier näher, sich daran zu
erinnern, dass auch die viel weiter spezialisierten Nerven höherer Tiere auf Reize ganz verschiedener
Art reagieren, dass z. B. der Gesichts- und Gehörnerv rein mechanische Reize ihrer spezifischen
Qualität entsprechend zur Empfindung bringen, ohne dass man dabei an ein „Wechselsinnesorgan“
zu denken braucht . . .
v. H a n s te in hält also die von mir vertretene Auffassung jedenfalls für die nicht nächst-
liegende, Rawitz hält sie sogar für „völlig verfehlt/' Sollte dieser Urteilsspruch auf Wahrheit beruhen,
so habe ich wenigstens den einen Trost, meinen schweren Irrtum in Gemeinschaft mit Gelehrten
begangen zu haben, deren Namen zu den besten in der Wissenschaft zählen. Denn Hä ekel
H e rtw ig , W u n d t, Simroth u. A. haben in verschiedenen Schriften Äusserungen gethan, welche
eine Anschauung zu erkennen geben, ganz ähnlich oder gleich der hier von mir zum ersten Male
etwas breiter ausgeführten Hypothese.
Vielleicht war gerade der Umstand, dass ich es, wegen des Charakters meiner früheren Arbeit
als einer vorläufigen Mitteilung, unterliess, mich auf sichere Autoritäten zu berufen, mit ein* Grund
für die geringe Anerkennung, welche meine sinnesphysiologische Anschauung, nach den bisherigen
Referaten zu urteilen, gefunden hat. Ich glaube mit der Aufstellung des Begriffes des Wechselsinnesorganes
nur einem in der Luft liegenden Begriffe Worte geliehen und das von zahlreichen Autoren
gelegentlich Ausgesprochene in festere Form gefasst zu haben. Es wird ein solcher Begriff damit
greifbarer, freilich zugleich auch angreifbarer.
Ich unterlasse es, hier alle diejenigen Autoren namhaft zu machen, welche, wenn sie in ihren
Schriften auf Sinnesorgane, besonders der niederen Tiere zu reden komme, die Bemerkung machen :
dieses oder jenes Sinnesorgan brauche nicht als Organ eines unserer fünf Sinne aufgefasst zu werden,
sondern könne ein Organ eines uns unbekannten Sinnes oder auch das Organ verschiedener noch
nicht von einander abgegliederter Empfindungen sein. Vielmehr beschränke ich mich darauf, mich
auf diejenigen Forscher zu beziehen, bei welchen sich letzterwähnte Ansicht als ein Grundzug ihrer
Anschauung darstellt Freilich beurteilen weder diese Forscher die Sinnesphysiologie niederer Tiere
in übereinstimmender Weise, noch deckt sich meine Auffassung immer ganz mit der ihrigen, wie sich
dies im folgenden ergeben wird.
Jo u rd an schreibt bei Besprechung des Schmeckvermögens der Coelenteraten : (153 a pg. 131)
»Ich glaube sogar, dass es gar keine besonderen, im Dienste dieser Funktion stehenden Nervenendigungen
gibt. Die mit starren Wimpern versehenen Stäbchenzellen, welche zum Tasten dienen,
können recht gut auch zum Wahrnehmen chemischer Veränderungen dienen und als nervöse Endelemente
angesehen werden, welche für das Gefühl und den Geschmack zugleich funktionieren.“
pg. 144. „Mithin sind bei den Gliedertieren die Funktionen des Gefühls, G ßschmacks
und Geruchs sehr schwer von einander zu trennen und ein und dieselbe Nervenendigung scheint
mehreren Sinneswahrnehmungen dienen zu können.“
pg. 153. „Die Tentakeln, welche bei den Weichtieren den beschriebenen ähnliche Papillen
besitzen, können möglicherweise Geschmacksorgane sein, aber diese eine Funktion würde andere nicht
ausschliessen, die wie etwa das Gefühl neben dem Geschmack zugleich existieren können.“
„Eine Thatsache indessen, auf welche ich noch einmal die Aufmerksamkeit lenken möchte, können
wir den obigen Zeilen entnehmen, nämlich die Unmöglichkeit, die Nervenendigungen für den Geschmack
von denen für das Gefühl und den Geruch scharf zu sondern. Oft dient ein und dasselbe
Sinnesepithel allen diesen drei Sinnen zugleich und es ist vergebliche Mühe hier unterscheiden zu
wollen. Es gewinnt den Anschein, als ob der Urgefühlssinn noch zwei andere Sinne mit umfasst
habe: . . . . , .c,/‘ u. s. w.
Nun L eydig:
(192 pg. 312). »Wir müssen demnach annehmen, dass so wenig wie physiologisch zwischen
Tasten und Schmecken eine strenge Grenze sich hinzieht, auch morphologisch Tastborsten und Schmeck-
haarc nicht allerorts auseinander gehalten werden können: sie treten vielmehr dienstleistend für einander
ein. Kaum anders ist das Verhältnis von den Schmeck- zu den Riechorganen“ u. s. w.
Diese Worte, einer der neuesten Abhandlungen dieses auf dem Gebiet der Sinnesorgane
gewiss vielerfahrenen Forschers entnommen, dürfte als Citat aus seinen Schriften genügen.
In ähnlichem Sinne sprechen sich 0. und R. H e rtw ig aus.
(136 pg. ISS)/ „Indem wir die soeben in ihrer Verbreitung beschriebenen Sinneszellen vom
anatomischen Gesichtspunkt aus als indifferente bezeichnen, sind wir zugleich der Ansicht, dass sie
auch physiologisch diesen Namen verdienen, insofern sie Eindrücke unbestimmter und allgemeiner
Natur dem Organismus übermitteln werden. Wir halten daher dieselben in morphologischer und
physiologischer Beziehung für die p r im itiv s te n S in n e s e lem e n te und e rb lic k e n in ihnen
d ie G ru n d lag e , aus welcher sich die sp e z ifis c h e n S in n e so rg an e allm ä lich hervorg
e b ild e t h ab en.“
Diesen indifferenten Sinneszellen der Medusen werden spezifische Sinnesorgane (Tast-, Hör-
und Sehorgane) entgegengestellt, welche ebenfalls Vorkommen und als aus jenen entstanden angesehen
werden.
R a n k e (250) hat die „Ubergangssinnesorgane“ sogar zum Gegenstände einer eigenen Abhandlung
gemacht. An verschiedenen Stellen spricht er sich im Sinne der bisher citierten Forscher
aus; es würde zu weit führen, wenn ich seine diesbezügliche Worte hier alle wiederholen wollte.
Nur einen Satz führe ich an:
pg. 143: „Wir werden daher wohl bei der Vergleichung der Sinnesorgane verschiedener
Tiere auf Bildungen stossen müssen, welche erst den Anfang einer schärferen Differenzierung erkennen
lassen, oder bei denen wir wenigstens den gemeinsamen Ausgangspunkt mit Organen einer anderen
spezifischen Energie noch erkennen können.“
Da die Arbeit von Ranke die einzige ist, welche sich mit der Modifikation des Empfindens
und der Sinne bei niederen Tieren näher einlässt, komme ich auf dieselbe zurück. Die ebenfalls
hierhergehörige Anschauung Simrot-h’s bespreche ich im speziellen Teile.
Auch bei Eimer finden sich hierher gehörige Stellen, welche die Anerkennung von Wechselsinnesorganen
enthalten. So schreibt Eimer in seiner „Entstehung der Arten“ (Jena, G. Fischer
1888) (pg.. 358): „Es ist . . . . so viel bestimmt zu sagen, dass bei vielen niederen vielzelligen Tieren
einfache Oberhaut- oder doch Tastzellen zur Aufnahme verschiedener Reizqualitäten befähigt sein
müssen, wie denn des weiteren Tast- und Schmeck- und Tast- und Riechzellen ineinander übergehen
und wie Tastzellen teils zu Sehzellen, teils zu Hörzellen werden, während andererseits die sogenannten
Endknospen, welche zumeist zum Schmecken dienen, zu Augen geworden sind, was z. B. B. Grena
d i e r für die Arthropoden dargethan hat. Prachtvoll zeigt sich auch die Umbildung von Tast- oder
Tast- und Schmeckorganen in Augen bei Egeln. Wir sind selbstverständlich bei niederen „stumpfsinnigen“
Tieren nicht so leicht in der Lage zu entscheiden, ob und in wie weit sie für Schmeck-
und Riechreiz empfänglich sind und noch weniger, ob sie beide von Tastreizen unterscheiden. Aber