dem im allgemeinen Teile Gesagten als Beweis für Existenz von Schmeckvermögen der ganzen Haut.
Eine beträchtliche Steigerung der Empfindlichkeit gegen Geschmackseindrücke findet sich an der Oberlippe,
im übrigen ist der Körper ziemlich gleichmässig empfindlich. Aus begreiflichen Gründen lässt
es sich nur wahrnehmen, wenn der Reizstoff dem Tiere unangenehme Empfindungen verursacht. Die
Folge chemischer Reizung an einer beliebigen Hautstelle ist sofortige Kontraktion der gesamten Muskulatur
des Segmentes, welches direkt gereizt wurde und der nächst benachbarten Segmente. Es
reagiert also nicht etwa, wie bei manchen Mollusken, nur die unmittelbar betroffene Hautstelle durch
Zusammenziehung ihrer Muskulatur, sondern die Kontraktion ist stets eine zirkuläre, den ganzen Körperquerschnitt
betreffende. Und zwar scheinen sowohl Längs- wie Ringmuskeln in Thätigkeit zu treten.
Denn erstens rücken die ringförmigen Hautsegmente der gereizten Stelle sofort dichter zusammen, was
auf Wirkung der Längsmuskeln deutet, und zweitens wird der Körperquerschnitt an der gereizten
Stelle verkleinert, es bildet sich eine seichte zirkuläre Einschnürung. Dies muss auf Ringmuskelwirkung
beruhen.
Bei leichten Graden von Reizung, bei Anwendung schwacher Reizstoffe oder sehr verdünnter
Lösungen kann das Zusammenrücken der Segmente ausbleiben, und man sieht dann nur jene seichte
Einsenkung sich bilden. Umgekehrt, bei starker Reizung schliesst sich an die lokale Reaktion eine
allgemeine an. Der Egel macht lebhafte Bewegungen mit dem ganzen Körper und sucht zu entfliehen.
Häufig geht er dabei aus der kriechenden Bewegungsart in die schwimmende über, wobei das Wasser
seinen Körper wirksamer bespült und den unangenehmen Reizstoff beseitigt.
Bemerkenswert ist, dass eine gereizte Stelle in der Mitte des Körpers nie durch seitliches
Wegwenden, oder durch Tiefertauchen im Wasser reagiert, sondern stets nur auf die beschriebene Weise
durch lokale Zusammenziehung. Der Egel vermag also nicht mit einem beliebigen Teile seines Körpers
dem Reize zu entfliehen. Anders der Kopf; trifft diesen der chemische Reiz, so flieht er diesen
augenblicklich mit Sicherheit und Geschick. Er weicht entweder seitlich, nach oben oder unten ab,
oder er zieht sich gerade nach hinten zurück, indem der ganze Vorderkörper sich verkürzt. Diesen
Unterschied zwischen Kopf und Rumpf beobachtete ich bei allen meinen Versuchstieren aus der Klasse
der Würmer. Das hintere Körperende ist hierin dem vorderen nicht gleichwertig. Es ist beim Egel
der unempfindlichste Teil, es kann nie zum seitlichen Ausweichen gebracht werden, sondern wenn der
Reiz stark genug ist, um den Saugnapf zum Loslassen zu veranlassen, pflegt das ganze Tier gleich
die Flucht zu ergreifen.
Von den verschiedenen Chemikalien, welche ich zu den Reizversuchen verwandte, habe ich
noch einiges einzelne zu berichten. Chininbisulfat in der Koncentration Vso reizt so heftig am ganzen
Körper, dass eine Steigerung des Reizerfolges gegen den Kopf hin nicht zu bemerken ist. Das neutrale
Chininsulfat wirkt viel schwächer, vor allem wohi desshalb, weil seine grösstmöglichste Koncentration
immer noch relativ gering ist.
Auffallender Weise ist hier in einer Reihe mit dem Chinin das intensiv süsse Saccharin zu
nennen, indem dessen Wirkung auf Hirudo mit derjenigen des Chinins qualitativ identisch ist (es wurde
in starker Lösung verwendet, llio—V20). Noch stärker als das saure Chininsulfat reizt Strychninnitrat
in den Verdünnungen Viso, Veoo-, V1500, letztere Verdünnung wirkt etwa wie die Saccharinlösung.
Übrigens sind die individuellen Verschiedenheiten oft recht bedeutend. So wirkte bei einem Egel
Strychnin '/ibo nur so stark, wie bei einem anderen Exemplare Veoo; Viboo bei ersterem eben nur
noch nachweisbar, dagegen Saccharin sehr stark, Chinin auffallend schwach.
Schwefelwasserstoffwasser ist stets wirkungslos, und auch verschiedene Zuckerarten, die ich in
höchsten Concentrationen anwandte, unterscheiden sich von dem Saccharin durchaus, indem sie wie
Wasser an dem Egel abfiossen, ohne diesen irgendwie sichtbar zu erregen.
Auffallend war mir bei Hirudo, wie bei manchen anderen Wirbellosen, die grosse Empfindlichkeit
gegen Chloralhydrat. Für mich ist schon die Lösung Vso in kleineren Quantitäten geschmacklos.
Dieselbe Concentration veranlasst aber die Egel zu heftiger Znsammenziehung der Körperringel
und raschem Wegwenden des Kopfes. Ebenso die Verdünnungen ’/mo, V200, während ’/soo eben noch
deutlich augenblickliche Reaktion erkennen lässt. V400 bewirkte bei meinen Versuchstieren erst nach
5—10 Sek. langsames Zurückziehen des Kopfes.
Aus diesen Versuchen mit Substanzen, welche mit allem Rechte zu den „indifferenten“ gerechnet
werden dürfen, geht, wie ich glaube, unzweifelhaft hervor, dass die Haut des Egels Schmeckvermögen
besitzt, und zwar nicht nur die Mundgegend, sondern die ganze Haut. Dies stimmt nun
auch sehr gut mit dem anatomischen Befunde; denn wir finden die Organe, welche auf der zum
Schmecken naturgemäss am meisten benützten Oberlippe sich in grösser Zahl zusammenschaaren, spärlicher
verteilt auf der ganzen Körperoberfläche wieder. Wir finden ausser ihnen keine anderen Sinnes-
epithelien auf der Körperoberfläche verstreut, daher ergiebt sich von selbst der Schluss, dass jene
Organe dem Schmeckvermögen dienen. Ich glaube, wir brauchen nicht anzunehmen, wie es schon
geschehen ist, dass die 8 Augen des Blutegels dem Geschmacks- und Tastsinne neben ihrer Sehfunktion
dienen; dazu erscheinen sie doch schon zu weit spezifisch zu lichtempfindenden Organen umgebildet.
Die Thatsache, dass die Oberlippe, über welcher die Augen stehen, so speziell geschmacksempfindlich
ist, lässt sich ja auf die ungezwungenste Weise damit erklären, dass die Epithelknospen der
Haut sich an jener Stelle in ganz besonderer Weise häufen und hier dicht bei einander stehen.
Ein inneres Geschmacksorgan scheint den Egeln zu mangeln, wenigstens habe ich keine im
Munde gelegenen Nervenendapparate gesehen und auch nirgends eine Angabe über solche gefunden.
Dass die Egel von ihrem Geschmackssinne Gebrauch machen, ist bekannt, und es wird in
dieser Hinsicht immer angeführt, dass die Blutegel nicht dazu zu bringen sind, an nicht gereinigten,
schweissigen Hautstellen anzubeissen, dass sie dagegen besonders leicht anbeissen, wenn die betreffende
Stelle mit Milch, Blut oder Zuckerlösung bestrichen wird. Nach Milne Edwards soll selbst Milch,
welche mit Cöloquinthen bitter gemacht ist, den Egel nicht am Anbeissen hindern. Wie dies mit
meinen Beobachtungen über die hochgradige Empfindlichkeit gegen Bitterstoffe zusammen zu reimen
ist, weiss ich nicht.
Hierher ist noch eine Erfahrung zu zählen, die nämlich, dass Blutegel es lieben sollen, wenn
gewisse Pflanzen in dem von ihnen bewohnten Wasser wachsen, während andere, die dem Wasser
einen bestimmten Geschmack verleihen, welcher ihnen unangenehm ist (Ellern, Erlen), die Egel vertreiben
und an Teichen, in welchen Blutegel gezüchtet werden sollen, zu vermeiden sind.
Die kleine Egelart Nephelis scheint sich ganz wie Hirudo zu verhalten, auch in den histio-
logischen Verhältnissen der Sinnesorgane; experimentelle Untersuchungen sind wegen der Kleinheit
und der steten Unruhe namentlich junger Tiere ungleich schwerer auszuführen.
Der Rollegel Glepsine und der Pferdeegel Aulastomum verhalten sich insofern ähnlich, als bei
ihnen die Reizbarkeit im allgemeinen merklich geringer ist als bei erstgenannten zwei Arten, und dabei
deutlicher auf den Kopf hin concentriert ist. Der Kopf ist bei ihnen viel empfindlicher als der Rumpf,
welch letzterer auf Chinin oft gar nicht reagiert.
Bibliotheca zoologica. Heft 18. 19