Bei Egeln, welche auf dem Lande leben, scheint es auch ein Riechvermögen zu geben, das
nach einer vorliegenden Angabe recht scharf sein müsste. Schma rd a berichtet in seiner „Reise um
die Erde“ von dem auf Ceylon häufigen Egel Hirudo ceylonica, dass er auf dem Lande lebt, im Walde
und selbst auf Bäumen. Dieser Egel wird den Menschen lästig, indem er sie sogar während des Marsches
anfällt, sich von den Bäumen herabfallen lässt und an der Haut festsaugt.l) Schmarda schreibt ihm
die Fähigkeit zu, Menschen oder Tiere aus der Ferne zu wittern, also ein Riechvermögen. Es müsste
interessant sein, dies Tier histiologisch zu untersuchen. Bei der grossen Empfindlichkeit, welche unsere
Egel gegen Riechstoffe haben, selbst gegen solche, welche, wie das Leuchtgas, nicht ätzen, ist es nicht
undenkbar, dass dieselben Organe, welche hier neben dem Gefühl dem Geschmacke dienen, dort mit
geringer Modifikation zu Riechorganen werden.
Schliesslich habe ich noch mitzuteilen, dass ich durch Cocain die Empfindlichkeit der verschiedenen
Egel herabsetzen, durch Strychnin erhöhen konnte. Das Cocain wurde mit einem weichen
Pinsel in 4°'o Lösung aufgestrichen und vernichtete vorübergehend an den bestrichenen Teilen die
Sensibilität, wie mir schien, fast völlig. Ein am Kopfe so behandelter Egel, der sich schon in reinem
Wasser einige Zeit erholt hatte, tauchte bei den lebhaften Bewegungen seines Vorderkörpers diesen
einmal in einen vorgehaltenen Tropfen 33°/o Essigsäure, ohne nur im mindesten zurückzuzucken, während
doch die Säure seine Haut heftig anätzte. (Vergl. auch R ic h a rd (263), welcher ebenfalls
lokale Anästhesierung beim Regenwurm beobachtete.)
Strychnin liess ich in Lösungen von 1 : 10000 bis 1 : 100000 stundenlang einwirken, und
fand dann Verdünnungen von Chinin und Chloralhydrat noch erregend wirksam, die zuvor wirkungslos
geblieben waren.
D e r R egenwurm.
Unsere gemeinen Regenwürmer sind für chemische Hautreizungen noch empfindlicher als die
Egel. Gemeinsam mit diesen ist ihnen die Eigenschaft, dass die Reizbarkeit am Kopfe bedeutend
grösser ist, als in der Körpermitte, überhaupt am Rumpfe. Dem Regenwurm eigentümlich ist eine
sehr hochgradige Empfindlichkeit des Hinterendes; dieselbe kommt der des Kopfes graduell ziemlich
gleich. Bei genauerer Prüfung stellt sich indessen ein Unterschied heraus. Das Kopfende nämlich besitzt
die Fähigkeit, dem reizenden Stoffe auszuweichen, wie beim Egel, und zwar je nach Umständen
entweder nach der Seite oder oben, oder durch Zusammenziehen der vorderen Körperringel, wodurch
der Kopf zurückgezogen wird. Das Hinterende dagegen ist nur der letzten Reaktionsart fähig, es
weicht nie seitwärts aus. Die Rückenseite ist empfindlicher als die Bauchseite.
Die Reaktion des Rumpfes ist der bei den Egeln gleich, d. h. man bemerkt örtliche Zusammenziehung
der gereizten Stelle, so dass die Ringel hier dichter als anderwärts stehen. Wenn die Rumpfoberfläche
in grösserer Ausdehnung von einer reizenden Flüssigkeit getroffen wird, gerät das ganze
Tier in heftigste Erregung und schnellt sich lebhaft umher. Ausweichen kann der Rumpf des Regenwurms
so wenig, wie der anderer Anneliden.
Alles dies gilt eben sowohl für flüssige wie für dampfförmige Reizstoffe.
Um die isolierte Reizung kleiner Stellen sicherer durchführen zu können, verwendete ich
möglichst grosse Exemplare (0,1—0,2 m lang),2) die zugleich sich als empfindlicher erwiesen, als kleine
Tiere. Die Reizstoffe waren dieselben wie bei den Egeln.
x) Diese Angabe bestätigt Hä e k e l in seinen „Indischen Reisebriefen.“
2) von der Spezies Lumbrieus terrestris.
Durch geeignete Verdünnung der Lösungen, welche am ganzen Körper reizen, lassen sich
Flüssigkeiten herstellen, die nur am Kopf und Hinterende, oder bloss am Kopfe reizen.
Von flüchtigen Stoffen reizen die stärksten überall (Rosmarinöl, Xylol etc.) andere (Kreosot)
nur an den beiden Enden, schwache, wie Schwefelkohlenstoff, nur am Kopfe.
Die hohe Empfindlichkeit des Vorderendes erstreckt sich nur auf den Kopf selbst, besonders
dessen Spitze und die Mundgegend; die nächstfolgenden Körpersegmente scheinen sich von den späteren
nicht zu unterscheiden.
Dass das Hinterende den Rumpf an Sensibilität übertrifft, ist nicht wunderbar, da es bei dem
nicht selten vorkommenden Rückwärtskriechen zur Untersuchung des Weges dient, und in diesem Falle
alle Reize, welche von diesem ausgehen, seien sie mechanischer oder chemischer Natur, zuerst empfängt.
Doch möchte ich glauben, dass die wirkliche Sensibilität des Afterendes nicht um so viel die des
Rumpfes übertrifft, wie es auf den ersten Blick scheint. Man kann hier eine Parallele zu der Empfindlichkeit
der Landschneckenfühler ziehen : Diese Teile sind es, an welchen der Erfolg der Reizung
besonders deutlich sichtbar wird. Das Zurückzucken des Hinterendes ist auffallender, als die Zusammenziehung
der Körperringel, wie die Einstülpung der Schneckenfühler ein auffallenderer Erfolg der
Reizung ist, als die Bewegung der in Wahrheit nicht viel weniger empfindlichen Lippen.
Das Ergebnis meiner Versuche am Regenwurm ist also unzweideutig und lautet: Der Regenwurm
besitzt an seiner ganzen Körperoborfläche Riech- und Schmeckvermögen, dessen Feinheit und
Empfindlichkeit gegen Kopf und After hin zunimmt. Weniger klar aber ist die Deutung dieses Resultates.
Beim Blutegel hatten wir wenigstens die eine Angabe, dass er gewisse im Wasser stehende
Pflanzen scheut, welche Stoffe an’s Wasser abgeben; da war es nun leicht denkbar, dass diese Stoffe
auf seiner mit Schmeckvermögen ausgestatteten Haut unangenehme Empfindungen hervorrufen, „unangenehm
schmecken.“ Anders beim Regenwurm; hier wüsste ich nichts anzuführen, was Zeugnis
dafür ablegte, dass ein freilebender Regenwurm Gebrauch von dem chemischen Sinne seiner Haut
machte. Ja nicht einmal den Geschmacksorganen in der Umgebung des Mundes wird viel zugemutet
werden, da der Regenwurm wahllos verdauliche Gegenstände mit unverdaulichen verschlingt, und die
Auswahl des für den Haushalt seines Organismus notwendigen erst von der resorbierenden Darmschleimhaut
treffen lässt. Er ist kein Feinschmecker und wozu benötigt er dann feinen Schmeckver-
mögens? Auch die Wahrnehmung gas- oder dampfförmiger Stoffe, das Riechvermögen, wird dem unintelligenten
Tiere wenig zu statten kommen. Ich vermute, dass die Bedeutung des so ausgebildeten
Schmeckvermögens zum Teil in der Wahrnehmung von Feuchtigkeit, von Wasser zu suchen sein könnte.
Freilich ist die Wahrnehmung der Feuchtigkeit, des Nassen, keine einfache Empfindung, wie die des
Süssen etc. Es ist nicht allein der Geschmackssinn, der dabei erregt wird — dass uns reines Wasser
geschmacklos erscheint, ist kein Grund für die Annahme, dass dieses bei Tieren ebenso sei, — es
kommen vielmehr bekanntlich zur Empfindung der Nässe Temperatur- und Tastsinn zusammen, und
bilden eine Mischempfindung. Wenn wir Nässe mit der äusseren Haut wahrnehmen, sind diese beiden
letzten Sinne die einzigen, die dabei ins Spiel kommen. Ob eine Flüssigkeit jedoch, die wir im Munde
haben, Wasser ist, zu dieser Entscheidung hilft auch der Geschmackssinn mit, freilich beim Menschen
nur in einer negativen Weise, indem er die Abwesenheit beigemischter schmeckbarer Stoffe konstatiert.
Die Thatsache, dass Wasser eine ganz bestimmte (süsse) Geschmacksempfindung im Munde erzeugt,
wenn man denselben vorher mit einer Lösung von Kaliumchlorat ausgespült hat, zeigt aufs
deutlichste, dass auch reines Wasser zu chemischen Umsetzungen in den Geschmacksorganen Anlass
geben kann, wenn dieselben zuvor, wie in diesem Falle durch jenes Salz, in einen besonderen Zu-
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