vorgebildet sein, selbst „auf die Gefahr hin“, dass sie nie in Wirksamkeit treten könnten, wenn einmal
das eine oder andere Individuum, wie es deren tausende giebt, jene Gerüche nie zu riechen bekommt?
Der begeistertste Anhänger teleologischer Weltauffassung wird nicht so weit gehen, zu behaupten,
in der menschlichen Riechschleimhaut sei eine so weise Anordnung getroffen, dass jedem
existierenden Riechstoffe empfindende Zellen zugeteilt seien, so dass die Nase so viel Zellarten enthielte,
als unterscheidbare Geruchsqualitäten existieren. Nun wäre freilich die Annahme möglich, dass
eine relativ kleinere Zahl von primären, einfachen Elementargerüchen durch mannigfache Combination
die zahllosen uns unterscheidbaren Gerüche konstituieren. Es gibt unzweifelhaft Mischgerüche, welche
nicht als gemischte Eindrücke erkannt werden, wenn nicht die einzelnen Componenten dem Geruchssinne
bekannt sind.
Berechnet man für eine willkürlich gewählte kleine Zahl, welche man als Zahl der etwa
existierenden hypothetischen Elementargerüche definiert, nach der Methode der Combinationsrechnung
ohne Wiederholung einzelner Faktoren die Summe der möglichen Combinationen, so kommen allerdings
schon grosse Zahlen heraus. Nimmt man z. B. 10 Elementargerüche an, so liessen sich diese
in mehr als 1000 Arten combinieren.*) Man sieht es wäre theoretisch nicht undenkbar, aus einer
kleineren Zahl von Elementargerüchen sich die sämtlichen Geruchsqualitäten zusammengesetzt zu denken,
um so mehr, da, wie ich oben erwähnte, Mischgerüche keineswegs immer als solche empfunden werden,
sondern den Eindruck eines Elementargeruchs machen können. Ich bin daher auch der Überzeugung, dass
ein grösser Teil der bekannten und einfach erscheinenden Gerüche sich als zusammengesetzt wird
nachweisen lassen. Für die Hypothese jedoch, dass es in der Riechscbleimhaut eine kleine bestimmte
Zahl von spezifisch verschieden disponierten Nervenendapparaten giebt, welche dadurch, dass die ihnen
spezifischen Empfindungen sich in mannigfacher Weise combinieren, die Vielheit der Gerüche erklären
könnten, fehlt der Boden noch gänzlich. Die Erscheinung der Mischung und Combination der Gerüche
lässt sich ohne diese Annahme erklären.
Solange nun die spezifische Verschiedenheit der einzelnen Riechzellen noch so sehr in Frage
steht, wie es der Fall ist, steht es mit derselben Annahme für die Geschmackszellen ebenfalls schlecht.
Sollte aber die Hypothese O h rw a ll’s in unzweideutiger Weise bestätigt werden, so würde dies zugleich
für die Geruchsphysiologie von grösster Bedeutung, in dem oben besprochenen Sinne, sein.
Noch weit mehr Schwierigkeit bezüglich der Voraussetzung spezifischer Disposition als der
menschliche Riech- und Schmeckapparat machen die Sinnesorgane vieler Tiere. Ein Beispiel: in der
Haut der meisten Fische und vieler Amphibien finden sich Sinnesorgane, die auf den ersten Blick
etwas an die Geschmacksorgane auf der menschlichen Zunge erinnern (die sogenannten Seitenorgane).
Daneben finden sich noch weitere Hautsinnesorgane, die den Geschmacksknospen der Zunge sogar
zum verwechseln gleichen. Die Organe erstgenannter Art und die eigentliche Knospen der Fischhaut
haben das gemeinsam, dass sie aus einer Anzahl zu einer Gruppe zusammengeordneter innervierter
*) Auch die Methode der Combination mit Wiederholung einzelner Faktoren dürfte vielleicht angewendet werden,
und ergiebt natürlich noch viel grössere Werte. Die notwendige Konsequenz davon, dass man eine solche'Combination
als zulässig betrachtete, wäre aber folgende Annahme: der Mischgeruch müsste für die Empfindung qualitativ anders aus-
fallen, wenn der Elementargeruch a mit einem zweiten b im Intensitätsverhältnis m: n sich combiniert, als wenn sie sich
im Verhältnis mi : ni oder m2 : 112 combinieren (wobei m n mi ni m2 n2 beliebige Zahlen sind.) Damit würde die Zahl
der möglichen Combinationen natürlich unendlich gross.
Sinneszellen bestehen, während die Haut in der Umgebung des Sinnesorgans von gewöhnlichen Epithel-
lagèn gebildet ist, welche mit Nerven keine Verbindung haben. Dieser Typus findet sich sehr weit
verbreitet in der Haut der Wassertierc. Auch bei Würmern und Mollusken finden wir ganz ähnliche
Knospenbildungcn vor. In allen diesen Fällen, so auch bei den Fischen und Amphibien, pflegen die
Sinneszellen feine Haare zu tragen, die als ein integrierender Bestandteil der Sinnesapparate betrachtet
werden. Da ich nun diese Seitenorgane als den Geschmacksknospen so ähnlich bezeichnet habe, wie
kommt es da, dass, wie wir weiter unten sehen werden, diese beiden Organarten ungleiche Funktion
haben? Warum sind die Seitenorgane so ganz unempfindlich gegen Geschmackseindrücke, die doch
von den Geschmacksknospen ganz vorzugsweise, vielleicht sogar ausschliesslich percipiert werden?
Wir dürfen uns nicht verhehlen, dass, so sehr diese Frage berechtigt ist, wir ihr nichts destoweniger
bis jetzt ratlos gegenüber stehen. Es giebt nun allerdings Forscher, welche nicht genug die prinzipielle
Verschiedenheit der Knospen und der Seitenorgane betonen können (ich will nur Merkel, Mal-
branc und F. E. S chulze nennen), und die es für einen fundamentalen Irrtum halten, wenn man
beide Organformen zusammenwirft. Sehen wir aber zu, worin die morphologischen Verschiedenheiten
derselben bestehen, so sind dies folgende:
Seitenorgane ! Becherorganc (Geschmacksknospen)
Segmentale Anordnung, diffuse Verbreitung,
Verbreitung über den ganzen Rumpf, vorzugsweise am Kopf und im Munde zu finden,
Vorkommen nur bei Wassertieren, auch bei Landtieren,
Sinneszellen kurz, bimförmig, Sinneszellen lang, fadenförmig,
Die Sineszellen tragen lange Haare (Borsten). 1 Die Sinneszellen tragen kurze Haare (Stäbchen).
Es ist ohne weiteres klar, dass diese Unterschiede gar nichts beweisen, am wenigsten der Unterschied
in der Gestalt der Zellen, auf welche so grosses Gewicht gelegt wird. Mit allen den angegebenen
Charakteren versehen könnten wir uns jene beiden Organformen doch sehr wohl ganz der nämlichen
Funktion dienend denken.
Am wertvollsten sind die längeren Borsten der einen Form gegenüber den kürzeren Stäbchen
der ändern. Sie mögen die Einwirkung mechanischer Reize, vielleicht sogar, wie man schon angenommen
hat, der Schallwellen begünstigen — wie aber sollten sie es bewirken, dass diese Organe
von chemischen Reizen nicht beeinflusst werden? —- Keine der angeführten Eigenschaften der Seitenorgane
und der Schmeckbecher reicht hin, um uns einigermassen eine Aufklärung dafür zu geben,
dass das eine Organ chemischen, das andere mechanischen Reizen gegenüber seine Thätigkeit entwickelt.
Aehnliche Fällen liessen sich in grösser Zahl anführen. Sie leiten uns zu dem Kernpunkte
der Frage von den spezifischen Energien der Sinnesapparate. Die Erscheinungen, welche man unter
diesem Namen zusammenfasst, zerfallen eigentlich in zwei wesentlich geschiedene Gruppen, diese sind :
1) Die T h a tsa c h e , dass je d e r sp e z ifisch e S in n e s a p p a ra t, b e s te h e n d aus
S in n e so rg a n , L e itu n g sn e rv und einem k o rre sp o n d ie re n d e n B e z irk e des Z e n tra lo
rganes, auf jed e wirksame Re izu n g mit der ihm sp e z ifisch en Empfindungsmoda-
l i t ä t re a g ie r t. (Die sp e z ifisch e E n e rg ie im en g e ren Sinne.)
2) Die T h a ts a c h e , dass sp e z ifisch e S in n e s a p p a ra te ü b e rh a u p t nur auf be-
stinimte E in flü ss e (Reize) mit Empfindung re a g ie r e n , und fü r d ie s e dann h e rv o rragend
empfänglich sin d , während sie au f an d e re (inadäquate) E in f lü s s e gar nich t
re ag ie ren . (Die s p e z ifis c h e D isp o s itio n der Sinnesorgane.)