Bei der Berührung mit der kalten "Wasserfläche kondensieren sich die Dämpfe; manche der so verdichteten
Flüssigkeiten mischen sich ohne weiteres mit dem Wasser (Essigsäure, Ammoniak) und
gelangen so zur Reizwirkung in derselben Weise, wie wenn man ihre wässerige L ösung einfach hätte
zufliessen lassen.
Von den letztgenannten Stoffen etwas verschieden verhalten sich diejenigen, die bei der Mischung
mit Wasser heftige Wirbelbewegungen veranlassen, wie A lk o h o l, Ä th e r , Chloroform. Durch
die oberflächlichen Wirbel werden die kondensierten Flüssigkeitsteilchen sofort in die tieferen Schichten
gerissen und gelangen so rascher und energischer zur Wirkung als die Stoffe der ersten Gruppe
(Ammoniak und Essigsäure). Diese Thatsache ist indessen vielleicht auch zum Teil dadurch zu erklären,
dass die Stoffe der zweiten Gruppe leichter flüchtig sind als die der ersten, und so gleich
grössere Mengen auf einmal zur Wirkung kommen. Beim Chloroform liegt noch der besondere Fall
vor, dass es, viel schwerer als Wasser,-unterzusinken strebt. Ob so kleine Mengen, wie sie an der
Wasserfläche sich kondensieren werden, übrigens wirklich untersinken, ist mir zweifelhaft; lässt man
nämlich einen k le in e n Tropfen Chloroform aus sehr geringer Höhe ins Wasser fallen, so sinkt er
meistens nicht unter, sondern verbreitet sich wie 01 an der Oberfläche. Offenbar ist die Oberflächenspannung
des Wassers stark genug, um das Gewicht des in Wasser sehr wenig löslichen Tropfens zu
überwinden.
Die ä th e r is c h e n Ö le bilden eine dritte Gruppe von Riechstoffen, die der in Wasser fast
unlöslichen. Sie sind durchgängig leichter als Wasser und breiten sich auf demselben in dünner
Schicht aus. Sie wirken ebenfalls „durch eine Wasserschicht hindurch“ reizend. Der Grund liegt
wahrscheinlich ebenfalls in Wirbelbewegungen, welche Teilchen in die Tiefe reissen. Die Wirbel entstehen
aber hier nicht oder nicht allein durch Lösung oder Mischung mit dem Wasser, sondern vielleicht
eher durch die plötzliche Änderung der Oberflächenspannung und die rasche Ausbreitung auf
der Oberfläche, welche auch Verschiebung nach der Tiefe bedingen wird.
Ich habe noch einen neuen Weg eingeschlagen, um festzustellen, wie es sich mit der Verbreitung
riechender Stoffe im Wasser und mit ihrer Riechbarkeit daselbst verhält. Ich brachte stark
riechende, dabei im Wasser gar nicht oder ganz wenig lösliche Stoffe ins Wasser, und setzte empfindliche
Wassertiere in denselben Behälter. Wasserkäfer, Wasserschnecken und selbst die so empfindlichen
Egel werden nicht in bemerkbarer Weise beunruhigt, wenn sich in ihrer Nähe ein grosses Stück
Campher oder ein Naphthalinkristall (beide müssen ihres geringen spezifischen Gewichtes wegen beschwert
werden) sich befindet; ich sah Egel um den Campher ganz ungeniert herumkriechen. Berührten
sie ihn mit den Lippen direkt, so schien sie das zu reizen, denn sie setzten sich nie daran
fest, ebenso nicht an Naphthalin. Aber nicht die geringste Fernwirkung war zu bemerken, selbst
nicht bei grossen Tropfen Chloroform, welche sich auf dem Boden des Gefässes befinden, und aufs
heftigste reizen, sowie sie den Körper eines der genannten Tiere direkt berühren.
Ein ganz besonders günstiges Versuchsobjekt fand ich in dem im allgemeinen sehr ruhigen,
dabei chemisch äusserst reizbaren Amphioxus lanceolaim, welcher in grösser Zahl mir zu folgenden
Versuchen diente.
Zunächst überzeugte ich mich, dass Chloroformwasser (hergestellt durch Schütteln von einem
Tropfen Chloroform mit Seewasser, Absetzen lassen, Abgiessen) auf den Amphioxus deutlich reizend
wirkt. Nun brachte ich eine Anzahl lebhafter Exemplare in eine Glasschale mit ebenem Boden, Seewasser
und Sand. Sodann liess ich mit einer Glaspipette einzelne Tropfen Chloroform auf den Boden
der Schale fliessen, wo dieselben in Gestalt abgeplatteter Kugeln liegen blieben. Es gelingt nun leicht
mittelst eines Glasstabes oder einer Nadel, einen Tropfen auf dem Boden zu verschieben, oder umgekehrt,
vorsichtig einen Amphioxus in die Nähe des Tropfens zu schieben, ohne dass diese vorsichtige
Bewegung den Amphioxus reizte. Man kann auf diese Weise den Chloroformtropfen einem Amphioxus
auf kleinste Entfernungen, etwa1/« mm, nähern, ohne dass s e lb s t im V e rlau fe von Minuten
eine R e iz Wirkung d es Chloroforms durch das Wasser h in d u rc h n a chw e isb a r wäre.
Der Amphioxus bleibt, wenn er im übrigen nicht gestört wird, unbegrenzt lange in der Nachbarschaft
des Tropfens liegen. Nähert man aber den Tropfen noch mehr, bis er das Tier berührt, so wird
dasselbe sofort heftig erregt und schnellt sich fort. Wird einer der ruhenden Amphioxus aufgejagt,
und fällt, wenn er sich wieder niedersinken lässt, auf einen solchen Chloroformtropfen, so schnellt er
sich rasch wieder in die Höhe; sind die Tropfen am Boden zahlreich, so kommt ein einmal aufgejagtes
Tier oft lange nicht mehr zum Liegen.
Ein Parallelversuch war der folgende: In einer flachen Glasschale befand sich eine Schichte
Sand, in und auf diesem eine Anzahl Amphioxus in flachem, V2 cm tiefem Wasser. Zuvor hatte ich
mich an anderen Exemplaren überzeugt, dass Rosmarinöl-Seewasser stark am ganzen Körper reizt.
Ich liess nun vorsichtig einige Tropfen R o sm a rin ö l auf das Wasser fallen, welche nicht wie Chloroform
untersinken, sondern das Wasser in zusammenhängender Schicht bedecken. Die einzelnen Lanzettfischchen
kommen der Ölschicht oft ganz nahe, wenn sie, halb im Sande vergraben, den Kopf in die
Höhe strecken. Gleichwohl reizt das Öl nicht, selbst in Minuten nicht.
Wird aber eines der Tiere irgendwie aufgejagt und bewegt sich lebhaft, so kommt es in Berührung
mit dem reizenden Stoffe, schnellt sich heftig umher, verteilt dadurch das Öl immer mehr
und nun werden alle Exemplare wild und schnellen sich im Wasser und dem ätherischen Oie umher
und gehen rasch zu Grunde. Ohne Störung, in Ruhe, leben die Tiere unter dem Öle lange.
Diese zwei Versuche zeigen, wie gering die Diffusion so flüchtiger Körper wie Rosmarinöl und
Chloroform im Wasser ist, trotzdem dass beide Stoffe in geringem Masse löslich sind. Die Luft im
Wasser ist nicht in solchem Zustande vorhanden, dass sie die Verdunstung an der freien Luft flüchtiger
Körper unterhalten könnte. Man kann einen Tropfen Chloroform in einem offenen Gefässe mit Wasser
Wochen lang, ja wahrscheinlich Jahre lang, stehen lassen, ohne dass er verschwindet^ Ich habe in
Wochen keine Volum Verminderung bemerkt; unbedeckt von Wasser verdunstet ein solcher Tropfen
in 10 Minuten. Anders ist es schon mit Kreosot, dies löst sich leichter in Wasser, „verdunstet“ daher
unter Wasser rascher, und teilt diesem seinen Geruch mit. Immerhin braucht ein erbsengrosser Tropfen
doch mindestens monatelang zum Verschwinden. Das Verdunsten oder die Verflüchtigung unter Wasser
ist nicht eine Auflösung in der im Wasser enthaltenen (absorbierten, gelösten) Luft, also Übergang in
Dampfform, sondern es ist Auflösung im Wasser mit nachheriger Abgabe von diesem an die Luft.
Wenn daher wässerige Lösungen eines Riechstoffes auf ein Wassertier einwirken, so ist das stets
dadurch, begründet, dass der Stoff im W a s se r se lb s t sich löst, nicht in der absorbierten Luft.
Campher, der sich im Wasser gar nicht löst, geht mit Wasser auch kein Verhältnis ein, in welchem er
deutlich reizend auf Wassertiere wirkt. Vanillin und Cumarin aber thun es, denn diese sind (in geringem
Masse) löslich, ebenso Naphthalin.
Interessant ist der Vergleich der G ra b e r ’schen Versuche (s. 0. pg. 57) mit den eben beschriebenen.
Gerade Rosmarinöl und Chloroform gehören zu jenen Stoffen, welche scheinbar „durch
das Wasser hindurch" wirksam für die Riechorgane sind Ich habe schon oben erwähnt, wie ich
dies Riechen im Wasser erkläre; nirgends aber liess sich so gut wie gerade an Amphioxus zeigen,
dass das Wasser Gerüche nicht leitet, und dass es auf Wirbelbewegungen der sich nicht mischenden
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